So., 09.03.25 | 23:05 Uhr
Das Erste
Niki de Saint Phalle
Ein kraftvolles Biopic über die Entstehung einer Künstlerin
Eine „Phönix aus der Asche“-Geschichte
Zuerst ist sie eine namenlose Projektionsfläche, ein Model für Kleidung oder Schmuck.
„Komm schon. Du siehst traurig aus. Kann man nicht irgendwas machen?“, sagt der Fotograf, der Niki ablichtet.
Niki hat eine Obsession, Messer horten. Ihr Mann vermutet, sie wolle sich oder anderen etwas antun. Er will auch die Kinder schützen und bringt seine Frau in die geschlossene Psychiatrie. Das ist der Ausgangspunkt für den Plot im Film „Niki de Saint Phalle“. Er erzählt die zehn Jahre vor dem künstlerischen Durchbruch.
„Ich habe mich in Niki verliebt. Ich war fest davon überzeugt, dass wir ihr heute zunächst mal zuhören müssen, dass sie uns was zu sagen hat, jetzt, da dieser Teil ihrer Geschichte so aktuell ist, sollten wir sie mit einem neuen Blick noch einmal erzählen“, sagt Céline Sallette.
Céline Sallette, ist eine französische Schauspielerin, die hier zum ersten Mal Regie führte. Sie hatte die Autobiographien von Niki de Saint Phalle gelesen und entdeckte darin so etwas wie eine „Phönix aus der Asche“-Geschichte. „Es ist ein Film darüber, wie sie Künstlerin wird und, wie sie sie wird, wie sie zu ihrer Stärke kommt“, so Sallette.
Kunst als Mittel zu überleben
Eine Suizidgefahr wird auch von den Ärzten vermutet, sie behandeln Niki mit Elektroschocks. Sie darf in der Psychiatrie keine Farben haben, also behilft sie sich in ihrem Drang nach Beschäftigung und Kreativität mit anderen Mitteln.
„Es war eine Art zu überleben. Und mit dem Lebendigen, mit der Erde in Kontakt zu kommen und sich so von ihren morbiden Gedanken zu lösen, das hat ihr so viel Kraft gegeben. Sie sagte: „Ich habe die Kunst gefunden!“ Das war unglaublich und sie hat sich dazu bekannt: „Ich habe die Kunst bei den Verrückten gefunden!“, erzählt Céline Sallette.
Nach ihrer Entlassung will sie ihre früheren Tätigkeiten nicht wieder aufnehmen. Sie will nie mehr die Projektionsfläche für andere sein. Und lehnt Angebote ab:
Nikis Mann: „Niki, das war schon wieder Bresson! Was soll das, es ist eine Hauptrolle!“
Niki: „Das ist mir egal. Ich will keine Schauspielerin mehr sein. Ich will etwas Eigenes erschaffen! Das ist meine Berufung.“
Vergewaltigung durch ihren Vater
Sie gilt als geheilt, doch dann bricht der Brief ihres Vaters über sie herein, er offenbart, dass er sie als Kind vergewaltigt hat. Niki de Saint Phalle brauchte lange, bis sie darüber auch öffentlich sprechen konnte.
„Sie litt als junge Erwachsene unter traumatischer Amnesie, konnte sich nicht an die Vergewaltigungen erinnern. Heute weiß man, dass Niki normal war, angesichts des Traumas, das sie durchlebte. Sie war nicht verrückt, im Gegenteil. Für mich ist das ihr stärkster künstlerischer Akt – die Enthüllung ihres Inzests“, so Sallette.
Bei den letzten Filmfestspielen in Cannes wurde der Film uraufgeführt. Die Hauptdarstellerin ragte heraus: Charlotte Le Bon über die Schlüsselszene.
„Sie hatte diesen Beweis in der Hand und gab ihn ihrem Arzt in der Psychiatrie. Und er verbrannte den Brief vor ihren Augen“, Charlotte Le Bon.
Das Geständnis des Vaters existiert nicht mehr.
„Ich glaube, Inzest ist ein so schreckliches Ereignis, dass die Gesellschaft nicht will, dass er existiert“, so Charlotte Le Bon weiter.
Erst 1994, im Alter von 64 Jahren machte Niki de Saint Phalle die Vergewaltigung durch ihren Vater öffentlich. Beschrieb die Qualen, die sie erlitten hat, in ihrer letzten Autobiographie. Verschwieg aber, ob es sich um einen kontinuierlichen oder einmaligen Missbrauch handelte. Doch anstelle von Mitgefühl und Verständnis erntet sie: Ablehnung.
„Sie hat ihren Vater nie zur Rede gestellt. Solange sie lebte, haben viele Menschen, einschließlich ihrer Schwiegertochter, alles abgestritten, sie der Lüge bezichtigt. Das Problem von Inzest ist, dass er unsichtbar ist, so kann man ihn leicht als Fiktion abtun“, erzählt Céline Sallette.
Verleugnung durch die Familie
Die Familie wollte, dass das so bleibt, der Inzest nicht thematisiert wird. Die Enkelin hat als Vorsitzende der „Fondation Niki de Saint Phalle“ jegliche Mitarbeit verweigert und der Regisseurin verboten, das Werk ihrer Großmutter im Film zu zeigen. So sieht man sie nur werkeln, mit ihren typischen Materialien, das Ergebnis, die Kunst sieht man nie.
„Ich musste meine eigene Poesie, meine eigenen Bilder finden“ sagt Sallette. „Tatsächlich habe ich diese Einschränkung vollkommen akzeptiert, weil ich sie sehr vernünftig fand. Und in der Tat, das gibt dem Film eine Kraft, macht ihn bizarr. Ich weiß, dass es entweder diesen oder gar keinen Film gegeben hätte. Ich wollte, dass es diesen Film gibt.“
Der Film ist sicher kein cineastisches Meisterwerk aber eine gute Geschichte darüber, wie Missbrauch Menschen zerstört und wie Niki de Saint Phalle ihre Wut, das Gewalttätige in ihr, in Kunst verwandelte.
Die Geburt einer der bedeutendsten Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts
„Wir wissen nicht, was genau sie durchgemacht hat. Wir wissen nur, was sie geschrieben hat. Aber man weiß auch, dass ihre jüngere Schwester Elisabeth und ihr jüngerer Bruder Richard Selbstmord begangen haben. Also wenn man das Bild dieser Familie zeichnet, dann ist es das einer inzestuösen Familie, in der die Kinder mit schrecklicher Gewalt aufgewachsen sind“, sagt Céline Sallette.
In einer Szene macht Niki Schießübungen.
„Wird es sie nicht ankotzen, ein zotteliges Mädchen in der Familie zu haben, das auf Bilder schießt, um sie zu töten?“, wird Niki gefragt.
„Es wird sie umbringen“, sagt Niki, schießt und lacht.
Das zielt auf ihre Familie. Die Geburt einer der bedeutendsten Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts findet genau in diesem Moment statt.
Autorin: Carola Wittrock
R: Céline Sallette, „Niki de Saint Phalle“, ab 20. März im Kino.
Stand: 09.03.2025 19:46 Uhr
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