So., 09.03.25 | 23:05 Uhr
Das Erste
Plüsch, Psyche und erhängte Engel
Träumen mit dem Kunst-Shootingstar Precious Okoyomon im Kunsthaus Bregenz
Kunst als widerständige Praxis
Ein Teddybär, riesig, im Mund Vampirzähne, Plüschtiere mit Vogelfedern, die engelgleich im Raum schwingen – oder sind sie erhängt? Kunst von Precious Okoyomon. Das Niedliche wirkt hier unbehaglich.
„Wir leben in einer sehr gewalttätigen Welt, jeden Tag Gewalt! Und ich arbeite ständig daran, mir klarzumachen, dass das nicht normal ist, ich versuche immer in der Fülle der Freude zu leben, das ist meine Form des Widerstands“, sagt Precious Okoyomon.
Kunst als widerständige Praxis. Im Garten Puppen, die zu Schmetterlingen werden, Transformation, ein wiederkehrendes Motiv. Precious Okoyomon - queer und genderfluid - wurde 1993 in London geboren, ist in Nigeria und Ohio aufgewachsen und seit der Kindheit tief verbunden mit der Natur.
„Ich sehe keine Trennung zwischen Natur und Mensch. Das habe ich nie. Und Gärten sind für mich ganz besondere Orte der Freiheit, weil du da viel lernst, dich erweiterst und mit etwas arbeitest, das du nicht kontrollieren kannst. Mit dem Boden zu arbeiten ist wie ein Eintauchen in das Erinnerungs-Archiv der Erde. Du lernst Entschleunigung und Loslassen. Und wenn du etwas langsam wachsen siehst – das ist wie ein Wunder“, so Precious Okoyomon weiter.
Shooting Star der internationalen Kunstszene
Bei der Venedig-Biennale vor drei Jahren hat Okoyomon auch einen Garten gestaltet, mit Schmetterlingen und Skulpturen, umrankt von einer asiatischen Pflanze, die die USA importierten, um die Bodenerosion zu bekämpfen, die vom extensiven Baumwollanbau kam.
„Sie dringt einfach in den Boden ein, bildet ihre kleinen starken Wurzeln und breitet sich so aus, dass sie die Plantagen übernimmt. Sie verschlingt sozusagen den Süden. Jeder sagt, was für eine schreckliche Pflanze, dabei tut sie das, was sie immer tut: widerstandsfähig sein und den Boden befestigen. Wenn man die Wurzeln ausreißt, zerbröselt der Boden. Und das gilt so auch für schwarzes Leben in den USA, für Kolonisierung und Migration. Die Natur ist dabei wie ein schöner Spiegel, in den wir schauen können“, erklärt die Künstler:in.
Diese Installation war der Höhepunkt der Biennale, Precious Okoyomon avancierte zum Shooting Star der internationalen Kunstszene.
„Ich bin wirklich glücklich darüber, weil ich dadurch kontinuierlich lernen und mich erweitern kann. Mein Problem ist, dass ich zu viele Fragen habe. Daher bin ich glücklich, dass ich viel Raum, Zeit und die Ressourcen bekommen habe, auf meine Fragen Antworten zu suchen“, erzählt Precious Okoyomon.
Trauma und Ängste
Fragen zu Träumen, Erinnerungen und verborgenen Gefühlen, die Okoyomon mittels sogenannter „Existential Detectives“ an das Publikum weitergibt. Es geht darum, in die Tiefen der eigenen Psyche einzutauchen, fragiler zu werden, weicher im Umgang mit anderen.
„Ich möchte, dass sich die Welt um mich herum verändert, wie eine Transformation. Das braucht gemeinsame Zeit, gemeinsames Träumen, damit wir unser kollektives Unbewusstes und unsere Ängste verstehen“, sagt Precious Okoyomon.
Trauma und Ängste sind Themen, mit denen sich Okoyomon auch poetisch auseinandersetzt. Okoyomon steuert ein Flugzeug über Ohio und rezitiert das Gedicht an den Himmel:
„Versuch keine Angst zu haben, du brauchst keine Angst haben.“
„Nein zum Ego.”
„Nein zum kolonialen Kontext der Gedanken.”
„Nein zu unaufrichtiger Zärtlichkeit.“
„Nein zur Selbstzerstörung.”
„Nein zu Gurus.”
„Poesie ist der Samen meiner Kunst. Ich schreibe ein Gedicht, und manchmal verwandelt sich das Gedicht in ein Essen, das ich mit meinen Freunden koche. Oder es wird zu einem Gespräch, das ich mit jemandem führe. Oder aber es enthält keine Sprache und muss ein Objekt sein, ein Raum. Man muss darin leben und es wird eine Installation“, so die Künstler:in.
„Wir brauchen eine Auszeit“
Das Gedicht „I wanted to kill but had nothing to kill” wurde zu dieser Installation. Wie in einem rätselhaften Traum lässt Okoyomon die Plüschtiere, die in der Kindheit Beschützer waren, an Henkerschlingen baumeln. Mischwesen, neu zusammengenäht, surreal, absurd, wie auch der Teddybär. Hier sollen die Besucher:innen, begleitet von dieser meditativen Soundinstallation tagträumen.
„Wir brauchen eine Auszeit. Wir brauchen eine gemeinsame langsame Zeit außerhalb der Zeit. Und dann können wir uns ausruhen. Probieren wir mal den Teddybären aus, um uns gemeinsam hinzulegen und gemeinsam zu träumen. So können wir da rauskommen. Denn wenn wir nicht gemeinsam versuchen an neuen Welten zu arbeiten und sie aktiv zu erträumen, dann haben wir keine Zukunft“, sagt Precious Okoyomon.
Autorin: Carola Wittrock
„ONE EITHER LOVES ONESELF OR KNOWS ONESELF“ im Kunsthaus Bregenz bis 25. Mai 2025.
Stand: 09.03.2025 19:47 Uhr
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