So., 26.01.25 | 23:05 Uhr
Das Erste
Gerettete Kunstschätze aus der Ukraine
Die Ausstellung "Von Odesa nach Berlin"
Das Museum für Westliche und Östliche Kunst in Odesa – angelehnt an die ukrainische Schreibweise – verfügt über eine beeindruckende Sammlung von Kunstwerken aus dem 16. bis 19. Jahrhundert. Mit Kriegsbeginn 2022 wurden die wertvollsten Stücke in ein geheimes Notlager evakuiert, von dort nach Berlin transportiert und konservatorisch betreut. In der Ausstellung "Von Odesa nach Berlin" werden viele der Werke bis Juni 2025 präsentiert. Zur Ausstellungseröffnung sind der Direktor des Museums für Westliche und Östliche Kunst in Odesa Ihor Poronyk und seine Stellvertreterin Iryna Gliebova eigens angereist. ttt hat sich von ihnen sowie der Direktorin der Berliner Gemäldegalerie, Dagmar Hirschfelder, die Bedeutung der Sammlung erläutern lassen.
Trauer und Freude zugleich
Leben und Vergänglichkeit – farbenprächtig vereint im "Stillleben mit Hummer" von Cornelis de Heem. Die Gräfin Tolstoi mit ihren zarten Federn im Portrait von Domenico Morelli oder die sanfte Madonna des Renaissance-Stars Francesco Granacci: Welche Geschichten erzählen diese Meisterwerke, gerettet vor dem Krieg? Aus Odesa sind Ihor Poronyk und Iryna Gliebova angereist – zur Eröffnung der Ausstellung in der Berliner Gemäldegalerie – um die spektakuläre Rettung der Bilder zu feiern. "Ich begreife hier und in diesem Moment, dass das Leben weitergeht! Was soll ich sagen, der Krieg ist schrecklich. Die Ausstellung großartig", stellt der Direktor des Museums für Westliche und Östliche Kunst in Odesa Ihor Poronyk fest. Und seine Stellvertreterin Iryna Gliebova ergänzt: "Ich empfinde eine riesige Freude, die Kunstwerke wiederzusehen, denen ich mein Leben gewidmet habe. Ich bin glücklich: Sie mussten nicht erleben, was wir in diesen drei Jahren erlebt haben. Raketenangriffe, Shahed-Drohnen! Allein im vergangenen Jahr ertönte in Odesa 811mal der Luftalarm."
Rettung der Kunst vor dem Krieg
Das Museum für Westliche und Östliche Kunst befindet sich mitten in Odesas prunkvoller Altstadt. Sofort nach Beginn des russischen Angriffskrieges schleppt Direktor Ihor Poronyk Sandsäcke, sichert mit seinem Team das Museum. Iryna Gliebova löst die Bilder aus ihren Rahmen, verpackt sie - für die Evakuierung. Ihor Poronyk erinnert sich: "Es war ein solches Gefühls-Chaos: Angst und Sorge, gleichzeitig die Hoffnung, dass der Krieg bald vorbei sein würde. Und als wir die Bilder evakuierten, wusste ich erst nicht, wohin sie kommen, weil sie staatliches Eigentum sind." Die 78 wertvollsten Gemälde der Sammlung werden in der Westukraine in einem Bunker in Sicherheit gebracht. Das Weltkulturerbe Odesa gerät unter russischen Raketenbeschuss. "In diesem Krieg wird einfach alles vernichtet", sagt Ihor Poronyk, "40 Museen wurden bereits vorsätzlich zerstört und niedergebrannt. Kultur hilft den Menschen, sich als Teil einer Gemeinschaft zu verstehen. Das soll zerstört werden. Es geht nicht nur darum, Menschen physisch zu vernichten, auch ihr kulturelles Gedächtnis soll ausgelöscht werden."
Kooperation Odesa – Berlin
Eine großangelegte Museumskooperation mit Berlin startet: Ihor Poronyk bringt 2023 unter hohen Sicherheitsauflagen die Bilder nach Berlin. In Schutzanzügen nehmen Restauratorinnen der Gemäldegalerie die Werke unter die Lupe. Die Direktorin der Berliner Gemäldegalerie, Dagmar Hirschfelder, erzählt: "Sie waren ja in einem feuchten, oberirdischen Betonbau, waren auch nicht technisch in der Form klimatisiert, wie wir uns das eigentlich wünschen, für Alte Meister. Und darum war nicht klar, ob die Werke möglicherweise mit Schimmel kontaminiert sind." Dagmar Hirschfelder und Ihor Poronyk haben diese Ausstellung, ergänzt mit Werken aus der Berliner Gemäldegalerie, gemeinsam entwickelt. Gleich im Entree der Stadtplan von Odessa, auf Panzersperren und ein riesiges Foto der zerstörten Kathedrale. "Es geht uns natürlich auch darum, in der Öffentlichkeit das Bewusstsein dafür wachzuhalten, dass dieser Krieg weitergeht, dass es auch um eine Haltung geht, helfen zu wollen", erklärt Dagmar Hirschfelder. Ihor Poronyk meint: "Es ist ja nicht nur eine Hilfe für ein ukrainisches Museum in Odesa, dass diese Arbeiten hier sind. Sie gehören der ganzen Welt. Wir zeigen, dass wir die gleichen Werte teilen, dass wir nicht der Hinterhof Europas sind."
Kulturelles Gedächtnis
Das Ausstellungs-Highlight sind die beiden Evangelisten von Frans Hals. Lange schlummerten sie unerkannt im Museum in Odesa. "Lukas“ trägt noch immer die Wunden eines Diebstahls, als er einst brutal aus dem Rahmen geschnitten wurde. Die Geschichten um die Bilder erforscht Iryna Gliebova seit fast 50 Jahren. Auch, wer die Bilder gesammelt hat und wie sie ins Museum gekommen sind. Sie erzählt: "Das Reizvollste an meiner Arbeit ist, dass man durch die Bilder die Schicksale der Menschen erkennt. Ich war in vielen Archiven – auch in KGB-Archiven – um Details aus dem Leben dieser alten Bilder zu erfahren." Eine Madonna des italienischen Meisters Francesco Granacci stammt aus Odesa, aus einer Kirche, die 1917 nach Gründung der Sowjetunion geplündert wurde. Auch aus Privatsammlungen wurden Bilder beschlagnahmt, verstaatlicht, ins Odesa Museum gegeben, dessen Sammlung europäischer Malerei zu den bedeutendsten in der Ukraine gehört und jetzt in Berlin zu erleben ist. Ihor Poronyk fasst die Bedeutung dieser Rettung zusammen:"Zu Beginn des Krieges dachten viele: Was soll die Sorge um die Bilder? Menschen werden getötet! Und: Wirst du morgen noch leben? Aber während des Krieges wurde mir so klar, wie wichtig diese Kunst, dieses Gedächtnis ist. Durch sie verstehen wir, wer wir sind, wohin wir gehören – wie wir in dieser Welt verankert sind."
Autorin: Petra Dorrmann
Stand: 26.01.2025 22:21 Uhr
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