So., 05.05.24 | 23:05 Uhr
Das Erste
Wie die Mafia Deutschland übernimmt
Sandro Mattiolis Recherche zu einer unterschätzten Gefahr
Die Mafia – ein rein italienisches Problem? Weit gefehlt: Deutschland ist die zweite Heimat der ’Ndrangheta. Sie hat gelernt, sich hier unauffällig breit zu machen, denn die Gesetzeslage ist vorteilhaft und es gelingt bisher kaum, Mafiosi als Mitglieder einer kriminellen Vereinigung hinter Gitter zu bringen. Seit über 15 Jahren recherchiert der Journalist und Aktivist Sandro Mattioli zur Mafia und warnt davor, dass wir sie unterschätzen – so auch in seinem aktuellen Buch "Germafia". ttt hat Sandro Mattioli in Berlin getroffen und auch mit dem ehemaligen Mafia-Boss und Kronzeugen Luigi Bonaventura gesprochen.
Schleichende Gefahr
Sandro Mattioli ist es gewohnt, dass Recherchen schwierig sind, blockiert werden, Zeugen ihr Leben riskieren, auch er bedroht wird. Und dass er weiter macht, seit über 15 Jahren. Mattioli ist Journalist und Aktivist, er kämpft gegen die Mafia in Deutschland und hält sie für eine immer noch unterschätzte Gefahr: "Tatsächlich ist es eine schleichende Gefahr und bei schleichenden Gefahren ist es immer schwierig, sie zu erkennen. Und aus meiner Sicht ist die Tatsache, dass wir jetzt in knapp zehn Jahren eine Verdoppelung der offiziellen Zahl an Mafiosi in Deutschland haben, absolut ein Alarmzeichen."
Mattiolis Buch "Germafia" liefert ein Füllhorn an Geschichten über die große kriminelle Energie der Mafia. Seit 2007 sechs Männer in Duisburg vor einem italienischen Restaurant erschossen wurden – eine Racheaktion – ist es nur vermeintlich ruhig geworden. Tatsächlich hat die 'Ndrangheta, die mittlerweile mächtigste Mafiaorganisation weltweit, nur ihre Strategie angepasst, meint Sandro Mattioli: "Nach dem Sechsfachmord in Duisburg 2007 hat die 'Ndrangheta auch ganz klar beschlossen, dass solche Dinge hier nicht passieren sollen, sondern man tritt als freundlicher Unternehmer, freundlicher Gastwirt, als jovialer Partner, als Geschäftspartner auf."
Der Kronzeuge
Mattioli beschreibt in seinem Buch, wie die 'Ndrangheta weiter ihre klassischen Geschäfte betreibt: Drogenhandel, Schutzgelderpressung, Geldwäsche. Vor allem aber, wie sie sich zunehmend besser integriert und organisiert, weltweit. Mattioli recherchiert in Deutschland und Italien, dort trifft er regelmäßig Luigi Bonaventura, einen ehemaligen Mafia-Boss, seit knapp 20 Jahren Kronzeuge, eine zentrale Figur in Mattiolis Buch. Bonaventura analysiert: "Deutschland ist für die ‘Ndrangheta die zweite Heimat. Das Land hat keine ausreichenden Antimafia-Gesetze, da fühlt sich die ‘Ndrangheta sehr wohl. Lange Zeit wurde in Deutschland überhaupt nicht geprüft, woher das investierte Geld kam. Es gibt keine ‘Ndrangheta-Familie, in der nicht mindestens einer Deutsch spricht oder in Deutschland gelebt hat." Mittlerweile sind Sandro und Luigi Freunde geworden, verbunden durch den Kampf gegen die Mafia, aber nicht nur dadurch. "Er hat auch eine große menschliche Qualität", meint Mattioli über Bonaventura, "was für mich zunächst mal überraschend war, weil ich natürlich, als ich ihn kennengelernt habe, dachte: 'Du sitzt jetzt hier einem Mörder gegenüber.' Aber man merkt einfach, das ist nicht einfach nur eine Geschichte von Kriminalität, sondern es ist eine kulturelle Frage, es ist eine soziale Frage."
Prozesse gegen die Mafia
Wie viele Mafiosi hat Luigi nicht selbst entschieden, kriminell zu werden. Aber es war sein Entschluss, auszusteigen. "Ich bin der 'Ndrangheta nie beigetreten", sagt Luigi Bonaventura, "ich wurde hineingeboren. Schon mein Vater, Großvater und vielleicht auch mein Urgroßvater waren Mafiosi. In Wahrheit haben wir 'Ndranghettisti ein stumpfes, düsteres Herz. Wir denken dauernd an Hass, Rache, Geld und an das Töten. Aber seit ich diesen Weg gewählt habe, schlägt mein echtes Herz wieder: rot, voller Leben und stark." Bonaventura hat beim Mammut-Mafiaprozess letztes Jahr in Italien ausgesagt. Ein schwerer Schlag gegen die 'Ndrangheta, über 200 Verurteilte. Mafiosi dingfest zu machen, warum gelingt das so selten in Deutschland? Unzureichende Gesetze? Harmlose Behörden? Der große Mafiaprozess in Düsseldorf läuft bereits im dritten Jahr und kein Ende in Sicht. "Diese Frage muss aus meiner Sicht gestellt werden, weil wir es hier eben nicht mit einer Zirkustruppe zu tun haben, sondern mit einer kriminellen Organisation, die strategisch agiert und ein klares Ziel verfolgt", sagt Sandro Mattioli, "und wenn wir in Deutschland so blöd sind und das nicht kapieren, dann ist es eben eine Gefahr für uns."
Kleine Erfolge und große Gefahr
Es gibt aber auch Erfolge im Kampf gegen die Mafia. Der Besitzer einer Berliner Trattoria weigerte sich vor Jahren erfolgreich, Schutzgeld zu zahlen. Und hat bis heute Ruhe. Mattioli dazu: "Hier in Berlin sind zwei Sachen zusammengekommen, als diese Schutzgelderpressung vereitelt worden ist. Zum einen Italiener, die mit der Mafia nichts zu tun haben wollten und auch den Mut hatten, sich zu äußern. Zum anderen die Polizei, die öffentlich gesagt hat: 'Wir nehmen dieses Thema ernst.' Wenn man wirklich will und wenn die Sensibilisierung auf allen Seiten da ist, dann kann man auch was erreichen." Dafür engagiert sich der Verein „Mafianeindanke“. Einst von Gastwirten gegründet, wirkt er heute über die italienische Community hinaus in Politik und Gesellschaft, sucht auch international Verbündete, wie Luigi Bonaventura. Sein Einsatz bleibt hochriskant: "Ja, ich könnte plötzlich sterben, auch nach diesem Interview, weil ich mein Leben dafür riskiere, anders zu sein als die 'Ndrangheta. Wenn es nötig ist, bin ich bereit, den Preis zu zahlen. Die Mafia bezieht ihre Stärke aus unserer Angst. Aber unser Mut macht ihnen Angst."
Autorin: Claudia Kuhland
Stand: 05.05.2024 18:35 Uhr
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