So., 30.03.25 | 23:05 Uhr
Das Erste
Simon Stranger: "Museum der Mörder und Lebensretter"
Familien- und Zeitgeschichte aus Norwegen in einem eindringlichen Roman
Diese Geschichte sollte eigentlich unerzählt bleiben. Vergangenheit, die mit der Zeit ins Vergessen absinkt. Der norwegische Autor Simon Stranger, geschätzt für historische Tatsachenromane, hat ein Verbrechen neu aufgerollt. Ein Verbrechen, das an einem Nachmittag im Mai 1943 ans Licht kommt, als südöstlich von Oslo ein toter Mann vom Grund eines Waldsees auftaucht, eine Woche später eine tote Frau.
"Ihre Körper waren mit Draht gefesselt und an ihrer Kleidung waren Steine befestigt, in der Hoffnung, dass sie für immer auf dem Grund des Sees liegen und unentdeckt bleiben würden", berichtet Stranger.
Krimi und Lehrstück über die Geschichte

Spätere Untersuchungen ergaben demnach, es war Klingeldraht, womit das Ehepaar Feldmann gefesselt worden war: Juden aus Oslo, die auf der Flucht vor der Deportation ins neutrale Schweden waren. In Todesangst hatten sie ihre Wohnung verlassen, sich zwei Männern der norwegischen Widerstandsbewegung anvertraut, die gegen die deutsche Besatzung und die norwegisch-faschistische Marionetten-Regierung kämpfte. Die beiden Männer sollten ihre Retter sein, wie Simon Stranger recherchierte:
"Natürlich stellt sich die Frage: Warum haben die beiden Helden des Widerstands das Paar getötet, dessen Rettung sie versprochen hatten? Das ist das dunkle Rätsel dieses Romans."
Autor stößt auf irritierende Fakten über die eigene Familie

Simon Stranger verbindet in seinem Roman gekonnt fiktionale Schilderungen und in der Nationalbibliothek recherchierte Fakten. Das Ehepaar hatte viel Geld bei sich, tagelang saßen sie gemeinsam mit den Männern vom Widerstand versteckt in den Wäldern. Auch die fürchteten um ihr Leben. War es Raubmord oder die Tat in einer ausweglosen Situation, um die Frage kreist er bei seinen Recherchen:
"Zur selben Zeit suchten in der Gegend tausende Polizisten nach einem anderen Mann vom norwegischen Widerstand. Es war gefährlich", weiß Stranger.
In einem Prozess nach dem Krieg wurden die beiden Mörder freigesprochen. Einer von ihnen, Peder Pedersen, hatte nach dem Mord an den Feldmanns noch hunderten norwegischen Juden das Leben gerettet, indem er sie versteckt auf seinem LKW nach Schweden brachte. Auch die jüdische Familie von Simon Strangers Frau war darunter. Ein konsternierender Fakt, auf den er erst bei der Recherche zu seinem Buch stieß.
"Die Familie meiner Frau wurde von einem Mann gerettet, der vier Wochen zuvor ein jüdisches Paar ermordet hatte. Das bringt mich in die seltsame Lage, einem Mörder den hellsten Moment meines Lebens zu verdanken. Das Leben meiner Frau und das Leben meiner Kinder."
Kollaboration zwischen Norwegen und Nazi-Deutschland

Das Holocaust Center in Oslo informiert heute über die Verfolgung der jüdischen Bevölkerung in Norwegen. Einst war hier die Arbeitsstätte des norwegischen Nazi-Kollaborateurs Vidkun Quisling. Von hier aus erging im Oktober 1942 der Befehl, zunächst alle jüdischen Männer ab 15 Jahren zu verhaften und im November die gesamte jüdische Bevölkerung.
Mit Schiffen wurden sie von Oslo nach Stettin deportiert und von dort nach Auschwitz in den Tod. Simon Strangers Buch "Museum der Mörder und Lebensretter" ist eine aufwühlende Geschichte über eine Vergangenheit, die noch lange nicht ruht, wie Simon Stranger beim Blick auf ein Foto in der Ausstellung betont.
"Darüber wurde in vielen Familien geschwiegen"

"Dieses Foto wurde am 26. November, 15 Uhr von einem norwegischen Widerstandskämpfer aufgenommen: eins von nur drei Fotos, die den norwegischen Holocaust bezeugen. Zu sehen ist das Schiff "Donau", an Bord waren 529 Jüdinnen und Juden, alte Leute, Frauen, Kinder und Babys", erläutert Stranger und resümiert:
"Die Geschichte, die wir uns in Norwegen über 50 Jahre nach dem Krieg erzählt haben, war die Geschichte von Helden, vom norwegischen Widerstand. Aber es gab eine Menge Leute, die die Nazis unterstützt haben. Es waren norwegische Polizisten, die alle norwegischen Juden verhaftet haben. Darüber wurde in vielen Familien geschwiegen."
Autor TV-Beitrag: Jens-Uwe Korsowsky
Stand: 30.03.2025 22:19 Uhr
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