Sa., 24.04.21 | 16:00 Uhr
Das Erste
Weg vom Ego-Trip – Grenzen der Selbstoptimierung
Einen fitteren Körper, einen wacheren Verstand und eine stärkere Persönlichkeit: Der Wunsch, sich ständig in allerlei Hinsicht zu verbessern, beschäftigt viele. Doch wer sich als Mangelwesen empfindet, leidet darunter. Ergebnisse einer sozialpsychologischen Forschungsgruppe lassen erahnen, wie verbreitet das Problem ist. Doch es gibt Auswege.
Mit dem Begriff der Achtsamkeit verbinden viele Gestresste die Hoffnung auf ein gesteigertes Wohlbefinden. Sie können Kurse belegen, in denen Coaches ihnen die Achtsamkeitsmeditation beibringen. Und falls sich das Wohlbefinden partout nicht steigern lassen will, gibt es seit einiger Zeit auch eine App namens Psygraph. Deren Erfinder Alec Rogers behauptet, dass Achtsamkeitsbewusste damit messen können, ob sie ihren Alltag auch achtsam genug bewältigen.
Vorgestellt hat Rogers die App 2018 auf einer Konferenz von "Quantified Self", einem in den 2010er Jahren im Umfeld von Kaliforniens Technikindustrie aufgekommenen Kultur- und Marketingphänomen. "Quantified Self" wurde möglich durch Fitnessarmbänder, Smartwatches und andere internetfähige Geräte, die in der Lage sind, vielerlei Vitalparameter wie Blutdruck, Atemfrequenz oder die Anzahl der pro Tag zurückgelegten Schritte zu messen und die Ergebnisse in sozialen Netzwerken zu teilen. Die Protagonisten dieser Bewegung erhoffen sich davon Selbsterkenntnis und -verbesserung.
Ursprünge der Selbstoptimierung
Den Drang nach Selbstoptimierung hat es wohl schon immer gegeben, und sie kann auch heute noch ohne internetfähige Gadgets stattfinden, wie die in Basel lehrende Philosophin Dagmar Fenner 2020 in einem Aufsatz für die Bundeszentrale für politische Bildung erwähnt. So zählt sie auch Bildung, Körpertraining und Meditation dazu. Auch wenn es demnach das menschliche Bedürfnis nach Selbstoptimierung wahrscheinlich genauso lange gibt wie die Menschen selbst, verdichten sich nach ihrer Beobachtung seit einiger Zeit die Hinweise, dass solche Methoden nicht zwangsläufig eine Lösung darstellen, sondern auch Probleme schaffen.
Diese Beobachtung machen auch andere: Schon 2015 vermutete ein Mediziner im Ärzteblatt, es könnte einen Zusammenhang zwischen dem Zwang zur Selbstoptimierung und Burn-out geben. Und die private Krankenversicherung Ottonova warnte im selben Jahr ihre Kunden, dass zu viel Selbstoptimierung krank machen könne.
Folgen der Selbstoptimierung
Forscher, die das Thema noch intensiver untersucht haben, kommen zu ähnlichen Ergebnissen. Etwa ein von der Volkswagen-Stiftung gefördertes Forschungsprojekt mit dem Titel "Das vermessene Leben" unter Leitung der Sozialpsychologin Vera King, des Soziologen Hartmut Rosa und der Psychoanalytikerin Benigna Gerisch. Das Forschungsteam identifizierte fünf Typen von Selbstoptimierern. Darunter Burn-out-Patienten, Menschen mit Depressionen oder Menschen mit Ess-Störungen. Die Forschenden stellten diesem Personenkreis dieselben Fragen zu ihrer Lebenssituation, wie auch einer Kontrollgruppe mit Menschen ohne solche Diagnosen.
Das Überraschende Ergebnis für Benigna Gerisch, Professorin für Klinische Psychologie und Psychoanalyse an der International Psychoanalytical University in Berlin, war: "Dass auch Menschen, die noch nicht klinisch auffällig geworden sind, sehr wohl erhebliche Störungsanteile aufwiesen – auch im Sinne von Symptomen, die aber bisher noch nicht diagnostiziert worden sind." Ein Indiz dafür, wie negativ die Folgen zwanghafter Selbstoptimierung sein können und möglicherweise erst einmal unentdeckt bleiben.
Besonders deutlich zeigte sich das bei einer Probandin Anfang 30, die als Juristin Karriere in einer international tätigen Anwaltskanzlei Karriere machte. Zu ihrem Alltag gehörten häufige Dienstflüge, ins Ausland, wenig Schlaf und ein unter diesen Umständen ehrgeiziges sportliches Trainingspensum. Die Probandin litt unter Gastritis und Haarausfall – für Benigna Gerisch klare Anzeichen einer psychosomatischen Erkrankung: "Ein subjektives Leiden hatte sie nicht artikuliert, was uns in besonderer Weise bemerkenswert erschien", so die Forscherin. Denn die Probandin habe das in Kauf genommen und sich weder in Behandlung begeben noch ihre Lebensweise geändert.
Wie Muster aus der Wirtschaft in unser Leben eindringen
Einigen aus der Wirtschaft bekannten Optimierungsideen, wie dem aus Japan stammenden "Kaizen"-Ansatz, oder der hierzulande verbreiteten "Managementmethode des kontinuierlichen Verbesserungsprozesses", liegen Denkmuster zugrunde, die viele Menschen bewusst oder unbewusst auch nach Feierabend weiterverwenden.
Selbst die Partnersuche sei nicht frei von Optimierungs-Phantasien, so Benigna Gerisch. Befördert von einer Flut an Dating-Apps, die den Wunsch beziehungsweise die Suche nach einem vielleicht noch perfekteren Ergebnis bedienen: "Bei den meisten, die wir befragt haben, hat es eine sehr deutliche, auch narzisstische Instrumentalisierung des Partners gegeben", erklärt die Psychologin. Die Befragten hätten nicht nur den Ehrgeiz gehabt, sich selbst zu perfektionieren: "Auch der Partner soll nicht die Lusche sein, sondern soll einer sein, der auch solchen Idealen genügt und entspricht."
Auswege aus der Optimierungsfalle
Einen Ausweg aus der Optimierungsfalle finden manche erst nach einem längeren Leidensweg, so wie die Fotografin und "Body-Positivity"-Aktivistin Silvana Denker: "Für mich bedeutet Body-Positivity", mit sich selber im Reinen zu sein, sich selber erst einmal anzunehmen, ohne Selbsthass mit sich umzugehen." Von der Pubertät an machte ihr anderthalb Jahrzehnte lang die Angst zu schaffen, nicht hübsch oder gut genug zu sein. Doch woher kommt dieser Druck? Ist es ein Konformitätsdruck, den die Gesellschaft ausübt? Oder sind es die Selbstoptimierenden selbst, die sich diesen Druck machen? "Beide Positionen scheinen einseitig und tendenziös zu sein", heißt es dazu bei Philosophin Dagmar Fenner, "weil Prozesse der Wertbildung äußerst komplex sind und die Menschen von klein an geprägt werden von gesellschaftlichen Idealen." Allerdings würden diese Ideale nur solange gelten, wie sie von einer Mehrheit anerkannt werden.
Bewegungen wie "Body-Positivity" zeigen, dass da etwas in (Gegen-)Bewegung gerät. Das zeigt beispielsweise auch ein großer Internet-Modehändler, der in seinen Werbespots aktuell Models auftreten lässt, die nicht dem gängigen Schlankheitsideal entsprechen.
Silvana Denker konnte sich von dem Druck befreien, der sie lange Zeit belastete. Sie spricht von einer inneren Ruhe, die bei ihr nun eingekehrt sei: "Ich lebe wesentlich entspannter seitdem. Und ich kann das jetzt auch nutzen, um anderen auf ihrem Weg zu helfen."
Autor: Frank Drescher (SWR)
Stand: 23.04.2021 13:07 Uhr