Sa., 14.11.20 | 16:00 Uhr
Rätselhafte Wolken – Die große Unbekannte im Klimasystem
Wolken sind bei der Klimaerwärmung von entscheidender Bedeutung, denn sie können kühlend wirken. Besonders die sogenannten Cumuli in niedriger Höhe, gerne auch als "Schäfchenwolken" bezeichnet. Doch erstaunlicherweise weiß man noch recht wenig über die flüchtigen Gebilde am Himmel, unter welchen Bedingungen sie entstehen, sich auflösen oder zu größeren Clustern zusammenballen. Wolken sind die größte Unbekannte im Klimasystem der Erde. Deshalb haben Klimaforscher die größte Kampagne zur Wolkenforschung gestartet, die es je gegeben hat.
Wolken – der "Faktor X" im Klimasystem
Rund 1.000 Kilometer vor der Küste Venezuelas liegt Barbados. Die "Insel im Wind" gehört zur Kette der Kleinen Antillen und ist ein Hotspot der Wolkenforschung. Hier sind Wissenschaftler den rätselhaften Cumulus-Wolken auf der Spur. An der Ostküste, wo der Passat-Wind ungebremst über den Ozean weht, steht das Wolkenobservatorium des Max-Planck-Instituts für Meteorologie. Prof. Bjorn Stevens und sein Team interessieren sich für die ganz tiefen Cumulus-Wolken. Sie sind ständig in Bewegung, haben den größten Klimaeffekt und deshalb eine enorme Bedeutung für die Zukunft unseres Planeten. Warum erklärt Klimaforscher Stevens so: "Verändern sich die tiefen Wolkenschichten nur um wenige Prozent, kann der Effekt einer Verdopplung oder Halbierung der CO2-Konzentration in der Atmosphäre entsprechen, das heißt, der Treibhauseffekt kann verdoppelt oder halbiert werden."
Das klingt gigantisch! Die bisherigen Daten reichen jedoch für eine genaue Berechnung nicht aus. Deshalb fahren die Forscher alles auf, was moderne Messtechnik zu bieten hat.
Forschung zu Lande, zu Wasser und in der Luft
An Land schießt ein Laser 29 Kilometer hoch in den Himmel. Mit ihm messen Wissenschaftler Wasserdampf, Strahlung, Temperatur und Aerosole. Forschungsschiffe und Flugzeuge, vollbepackt mit Instrumenten, sind startklar. Auch Katapult-Drohnen sind Teil der Messkampagne. Außer Deutschland beteiligen sich daran Wissenschaftler aus Frankreich, dem Vereinigten Königreich, den Niederlanden, der Schweiz und den USA. Name des Projekts: EUREC4A. Die Forscher nennen es schlicht "Eureca". Das internationale Team soll einen einzigartigen Datenschatz über Wolken zusammentragen.
An Bord des deutschen Forschungsschiffs "Meteor" beschäftigt sich Klimaforscherin Geiske de Groot mit den vielen Wolkenphänomenen, die sich über dem Atlantik bilden. Und die haben wirklich coole Namen wie "Zucker", "Kies", "Fisch" und "Blumen". Die häufigsten sind "Zucker", grau-weiße Wolken, die das Licht kaum reflektieren. Sie sehen aus wie Puderzucker, den man auf einen Kuchen streut. Die können sich zu riesigen Strukturen aus einzelnen Wolken zusammenballen, gut zu sehen auf dem Satellitenbild.
Doch ausgerechnet die niedrigen Wolken, für die sich Klimaforscher besonders interessieren, sind für die Satelliten unsichtbar. Um diese hoch dynamischen Wolken-Strukturen zu vermessen, sind ganz andere Instrumente erforderlich.
In der Luft
Auch das Forschungsflugzeug "HALO" ist einsatzbereit für eine neunstündige Mission in den Wolken. Prof. Stevens: "Wir messen die Wolken nicht direkt, sondern leiten ihre Eigenschaften indirekt mit ganz unterschiedlichen Instrumenten ab. Vergleichbar mit der Persönlichkeit eines Menschen, über den man ein Bild gewinnt, indem man viele verschiedene Leute befragt und das geht mit diesem Forschungsflugzeug besonders gut."
Viele Faktoren bestimmen das Wachstum der Wolken. Tröpfchengröße, Partikeldichte, Strömungsverhalten, Temperatur und Strahlungsintensität – alles spielt eine Rolle und wird nach einem ausgeklügelten Plan vermessen. Dazu sind mehrere Flugzeuge in der Luft, unterstützt von Schiffen und autonomen Wasserfahrzeugen. Alle vier Minuten wird eine Sonde abgeworfen, um vertikale Strömungen und Turbulenzen zu messen. Ziel ist es, den gesamten Lebenszyklus von Wolken zeitlich und räumlich zu erfassen.
Ein anderes Team im Flugzeug arbeitet an der bildlichen Darstellung von Wolken, die auch hoch dynamische Prozesse nachvollziehbar machen soll. Dazu sind im Flieger zwei Kameras für Stereoaufnahmen installiert. Diese Stereo-Informationen sollen 3D-Rekonstruktionen von Wolkenoberflächen liefern. Mit diesen Rekonstruktionen wollen die Forscher den Lebenszyklus höherer Wolken verstehen, wie sie auch auf Satellitenbildern zu sehen sind. Was hier aufgezeichnet wird, hat ebenfalls enorme Bedeutung für das Gleichgewicht auf unserem Planeten.
Zu Wasser
Warum sind Atmosphäre und Wolken so extrem relevant für unser Klima? Auf dem Forschungsschiff "Meteor" suchen die Wissenschaftler nach Indizien. Mit einem Doppler-Radar wird etwa die Fallgeschwindigkeit von Wolkentröpfchen in den klimarelevanten, niedrigen Cumuli gemessen. "All die kleinen blauen Pixel, die wir sehen, das sind die Wolken“, erklärt Prof Heike Kalesse, Meteorologin von der Uni Leipzig. Am Bildschirm erkennt man die Wolkenunterkante bei etwa 800 Meter und die Oberkante bei etwa 1.000 Meter, das heißt, die Wolken sind nur 200 Meter dick. Um die hier sichtbaren, kleinen Cumulus-Wolken geht es bei dem Experiment. "Wir wollen nämlich rausfinden", so die Forscherin, "wie diese Wolken reagieren, wenn es auf der Erde wärmer wird. Was gibt es für Cluster-Arten dieser Wolken, manchmal sind die näher zusammen, manchmal sehr weit auseinander, die Größe ändert sich, die beeinflussen sich auch gegenseitig. All das wollen wir bei dem Experiment herausfinden."
Ein weiterer "Faktor X" bei der Wolkenbildung ist der Austausch zwischen Ozean und Atmosphäre. Ein Team der Universität Hamburg hat sich zum Ziel gesetzt, diese Kreisläufe mit Sensoren an einem Ausleger am Bug und auf dem Mast zu messen. Zum Beispiel, wieviel CO2 und wieviel Wasserdampf durch Wirbel in der Atmosphäre vom Ozean in die Atmosphäre gelangen - wichtige Daten für Klimamodelle.
Alles dreht sich um die entscheidende Frage: Verdampft durch den Treibhauseffekt mehr Wasser aus den Ozeanen, so dass die Wolkenmaschine angetrieben wird? Oder lösen sich gerade die niedrigen Wolken schneller wieder auf?
Ziel: Verlässliche Klimamodelle
Entscheidende Fragen, die oft den Unterschied in den aktuellen Klimamodellen ausmachen. Je nachdem, wie die Wolkeneffekte eingerechnet werden, gibt es zum Teil deutliche Differenzen. Deshalb könnte die Auswertung Kampagne EUREC4A Licht in eines der größten Rätsel der Klimaforschung bringen. Bjorn Stevens zeigt sich vorsichtig optimistisch: Vielleicht werden sich in einer wärmeren Welt auch mehr kühlende Wolken bilden. Noch ist das unklar und selbst wenn es so wäre gilt es, eine weitere Erwärmung des Planeten zu verhindern.
Autorin: Luise Wagner (SWR)
Stand: 12.11.2020 18:16 Uhr