Sa., 07.08.21 | 16:00 Uhr
Das Erste
Risikofaktor Feinstaub
Ende Oktober 2020 feierte der neue Berliner Hauptstadtflughafen (BER) Eröffnung und der alte Flughafen Tegel ist nun endgültig Geschichte. Während die Einen aufatmen, weil endlich Ruhe ist, sind die Anderen besorgt, weil sich bald alles für sie ändern wird. Für die Wissenschaft hingegen ist der Umzug eines Großflughafens eine seltene Chance.
Ultrafeinstaub: Risiken unbekannt
Sobald der BER richtig durchstartet, wird sich die Luftqualität in einem Umkreis von mehreren Kilometern verschlechtern. Vor allem die Flugzeugturbinen stoßen in Bodennähe Feinstaub der allerkleinsten Sorte aus. Die ultrafeinen Partikel sind maximal 100 nm groß, 500 Mal kleiner als der Durchmesser eines menschlichen Haars. Sie sind so klein, dass sie erst seit wenigen Jahren überhaupt gemessen werden können. Deshalb gibt es zu den gesundheitlichen Risiken von Ultrafeinstaub bisher auch wenig gesicherte Erkenntnisse.
Studie untersucht Auswirkungen auf Kinder
Die Grundschule der Brandenburger Gemeinde Eichwalde liegt genau in der Einflugschneise des neuen Flughafens. Sie ist eine von vielen Schulen im Umkreis des alten und neuen Flughafens, die an der "Berlin Brandenburg Air Study" (BEAR-Studie), der Berliner Charité teilnehmen. 800 Grundschüler werden vor und nach der Verlagerung des Flugverkehrs mehrfach im Jahr von den Forschenden getestet. Durch die parallele Erfassung der Feinstaubbelastung hoffen sie so wertvolle Erkenntnisse über die Folgen für Gesundheit und Entwicklung der Schüler zu gewinnen. "Kinder sind besonders gefährdet", sagt Studienleiterin Dr. Miriam Wiese-Posselt, "denn ihr Körper ist noch im Wachstum und dadurch empfindlicher. Bezogen auf ihre Größe atmen die Kinder mehr Luft und damit auch mehr Schadstoffe ein."
Die Wissenschaftlerinnen prüfen Wachstum, Gewicht, Blutdruck und Entzündungswerte in der ausgeatmeten Luft. Außerdem testen sie die Lungenfunktion, Konzentrationsfähigkeit und Aufmerksamkeit der Dritt- und Viertklässler. Es gibt Hinweise darauf, dass eine hohe Feinstaubbelastung langfristig das Lungenwachstum und die kognitive Entwicklung beeinträchtigen. Weil die Partikel so klein sind, können sie besonders tief in den Körper eindringen und da ihre Oberfläche vergleichsweise groß ist, gelten sie als besonders reaktionsfreudig.
Entzündungen im ganzen Körper
Von gröberem Feinstaub (Partikelgröße zwischen 2500 und 10.000 nm) ist inzwischen bekannt, dass er über die Lunge in die Blutbahn gelangt und oxidativen Stress verursachen kann. Über eine längere Zeit steigt so das Lungenkrebsrisiko, Gefäße können verkalken, Herzinfarkte treten vermehrt auf. Die feinen Partikel sind bereits im Gehirn nachgewiesen worden.
Wäre die Luft reiner, würden Europäer rein statistisch gesehen zwei Jahre länger leben. Geschätzte 63.000 Deutsche sterben laut Daten der Europäischen Umweltagentur jedes Jahr vorzeitig an den Folgen der Luftverschmutzung. Feinstaub gilt inzwischen als gefährlichster Luftschadstoff überhaupt.
Feinstaubbelastung nimmt ab
Deshalb ist es eine gute Nachricht, dass die Feinstaubbelastung in den vergangenen Jahren stetig abgenommen hat. "Das ist sicherlich auf die politischen Maßnahmen wie zum Beispiel verpflichtende Partikelfilter zurückzuführen", so der Leipziger Aerosolforscher Prof. Alfred Wiedensohler. Der Straßenverkehr gilt neben Flugverkehr und Industrie als einer der Hauptverursacher von Feinstaub. Er entsteht nicht nur durch Verbrennungsprozesse, sondern auch durch Reifen- und Bremsbelagabrieb. Wiedensohler schätzt, dass Ultrafeinstaub 80 bis 90 Prozent der normalen Feinstaubbelastung in der Stadt ausmacht. Doch bislang können nur rund zwei Dutzend Messgeräte bundesweit Ultrafeinstaub erkennen. Denn dafür müssen die Partikel zuerst erhitzt werden, damit die flüchtigen Bestandteile verdampfen. Anschließend wird jedes einzelne gezählt. Herkömmliche Messtationen an verkehrsreichen Straßen hingegen wiegen den Feinstaub. Die feineren Partikel fallen dabei kaum ins Gewicht.
Grenzwerte sind zu hoch
Von Entwarnung in Sachen Feinstaub will die Umweltmedizinerin Prof. Barbara Hoffmann aus Düsseldorf deshalb nichts wissen: "Wir müssen uns klarmachen, dass man die Gesundheitseffekte bis runter zu den niedrigsten Belastungen sieht. Es gibt keine sichere Schwelle." Die in Europa geltenden Grenzwerte seien zu hoch angesetzt. Für Feinstaub der Größe PM2,5 (ab 2.500 nm) liegt er bei 25µg/m³. Die WHO empfiehlt maximal 10µg/m³, weniger als halb soviel. Für Ultrafeinstaub gibt es bislang noch gar keine Grenzwerte.
"Wir haben ihn bis vor Kurzem noch gar nicht messen können. Deswegen gibt es keine Studien", sagt Hoffmann. "Weil es keine Studienergebnisse gibt, kann man nicht sicher einschätzen, wie gefährlich Ultrafeinstaub ist. Deswegen kann man keine Grenzwerte festsetzen und ohne Grenzwerte wird nicht gemessen. Diesen Teufelskreis müssen wir zerbrechen."
Neue Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation im Herbst erwartet
Einen kleinen Beitrag dazu wird die Berliner BEAR-Studie liefern, wenn sie in wenigen Jahren erste systematische Daten liefert. Bislang geht es den untersuchten Kindern gut. Von den kurzfristigen Belastungen erholen sich ihre Lungen schnell. Ohnehin seien es nur Nuancen von Veränderungen, die wir erwarten, so Studienleiterin Wiese-Posselt. Nuancen, die sich über Jahre allerdings potenzieren könnten. Denn der Luft können wir nicht entkommen: Atmen müssen wir alle, mindestens 20.000 mal am Tag.
Autorin: Annette Schmaltz (NDR)
Stand: 05.08.2021 15:00 Uhr