Sa., 11.09.21 | 16:00 Uhr
Das Erste
Wer blockiert den Windenergieausbau?
Spätestens seit den deutschen Flutkatastrophen im Sommer 2021 ist es den meisten klar: Wir müssen mehr gegen eine ungebremste Klimaerwärmung tun. Der deutsche Bundestag hat es außerdem bereits beschlossen: Deutschland soll bis 2030 seine CO2-Emission um 65 Prozent des Wertes von 1990 reduzieren. Und bis 2050 sollen wir ganz CO2-neutral werden. Viele Wissenschaftler in Deutschland haben berechnet, ob das überhaupt zu schaffen ist. Technisch halten sie die Ziele für machbar, allerdings muss das Tempo der Energiewende deutlich erhöht werden. Ganz wichtig bei diesen Überlegungen ist die Tatsache, dass wir künftig mit den regenerativen Energiequellen nicht nur unseren heutigen Strombedarf decken müssen, sondern zusätzlich die Energie für Heizung und E-Mobilität. Unser Bedarf an sauberem Strom wird also deutlich steigen. Wissenschaftler des Ökoinstituts, Wuppertal-Instituts Prognos und des Fraunhofer-Instituts haben die erforderlichen Veränderungen im Energiesektor sehr detailliert berechnet und beschrieben (siehe die verlinkten Studien weiter unten).
Wunsch und Wirklichkeit der Energiewende
Um die Klimaschutzziele erreichen zu können, wird neben Photovoltaik vor allem die Leistung der Windenergie deutlich ausgebaut werden müssen. Das bedeutet mehr und leistungsfähigere Windräder. Und das Gros der Anlagen wird dabei an Land stehen müssen, trotz Verdreifachung der Windkraft in der Nordsee bis 2030 und bis 2050 fast einer Verzehnfachung. Die Wissenschaftler des Freiburger Fraunhofer Instituts ISE gehen davon aus, dass ab sofort circa 2.000 neue Windräder pro Jahr an Land installiert werden müssen, um in Zukunft über genug CO2-freie Energie zu verfügen. Nur, wo sollen all diese Anlagen stehen?
2020 sind gerade einmal 450 neue Windräder ans Netz gegangen. In der Windbranche klagt man darüber, dass neue Standorte sehr schwer zu finden sind, weil die saubere Energie zwar bei allen sehr beliebt, bei der konkreten Umsetzung aber starkem Gegenwind aus der Bevölkerung ausgesetzt sei. Die Folge ist, dass die Behörden immer mehr Gutachten von den Windkraftplanern fordern, um sich gegen spätere Klagen abzusichern. 2019 ermittelte eine Umfrage bei Windkraftplanern, dass über 2.000 Anlagen von Gegnern und Behörden blockiert werden.
Sperrzonen für die Windenergie
Zum Beispiel scheiden viele Standorte aus, weil sie von der deutschen Flugsicherung nicht genehmigt werden. Man befürchtet mögliche Störungen von Radar-Anlagen in der Nähe von Flughäfen, sogenannte Drehfunkfeuer, die für die Navigation von Piloten sehr wichtig sind. In einem Umkreis von 15 Kilometern von diesen Anlagen müssen deshalb alle geplanten Windradstandorte vorab geprüft werden. 2019 wurden hierdurch circa 1.000 Windräder blockiert.
Außerdem gibt es in Deutschland 17 Wetterradare, in deren 15 Kilometer-Umkreis alle Windkraftanlagen auf mögliche Signalstörungen hin geprüft werden müssen. Und dann gibt es noch militärische Sperrzonen. Auch hier geht es um mögliche Störungen von Radarsignalen, aber auch um Tiefflugkorridore für Hubschrauber der Bundeswehr oder der Nato. Da die genaue Lage der militärischen Sperrzonen geheim ist, müssen Windkraftplaner grundsätzlich jedes Windrad vom Militär prüfen lassen, um zu erfahren, ob eine Sperrzone betroffen ist.
Zumindest die Flugsicherung wird durch technische Modernisierung in Zukunft einige Flächen für die Windenergie wieder freigeben können.
"Windkraft ja, aber nicht bei uns"
Viele Menschen fürchten Ruhestörungen durch Windräder in ihren Gemeinden, Schattenwurf oder eine tiefgreifende Veränderung der Landschaft. Die Behörden fordern deshalb von den Windkraftplanern entsprechende Gutachten, die nachweisen, dass die Grenzwerte eingehalten werden. Auch Windparkplaner sind bei diesen Gutachten an sehr exakten Ergebnissen interessiert, da sich bei Nichteinhaltung der Grenzwerte später, also nach dem Bau der Windräder, erhebliche Folgekosten durch Gegenmaßnahmen und Abschaltungen der Anlagen ergeben können.
Aber letztlich lassen sich Windräder natürlich nicht verstecken. Sie werden das Bild unserer Landschaften verändern, aber Kohleabbau und Klimakatastrophen tun das ebenfalls. Auch die Vorgabe von pauschalen Mindestabständen zu den nächsten Siedlungen wie in Bayern ist keine Lösung, da die Anzahl der erforderlichen Flächen für den beschlossenen Windenergieausbau so nicht bereitgestellt werden kann.
Naturschutz versus Klimaschutz
Das schärfste Schwert gegen den Ausbau der Windkraft ist zurzeit das strenge Naturschutzgesetz in Deutschland. Darin werden Baumaßnahmen an Standorten, an denen es zur Tötung von besonders geschützten Tieren kommen kann, untersagt. Wörtlich heißt es im Gesetzestext, dass das "Tötungs- und Verletzungsrisiko für Exemplare der betroffenen Arten nicht 'signifikant" erhöht sein darf." Das Gesetz lässt an dieser Stelle sehr viel Interpretationsspielraum, wodurch bei Streitigkeiten zwischen Naturschutzbehörden und Windanlagenplanern, Gerichtsverfahren häufig in die Länge gezogen werden. Auch unterschiedliche Auslegungen der Naturschutzgesetze in den Bundesländern erschweren den Planern ihre Arbeit. Die Behörden verlangen deshalb umfangreiche Gutachten zum Naturschutz. Zum Beispiel müssen über ein ganzes Jahr lang seltene Tierarten im Gebiet kartiert werden. Brütet etwa ein Wespenbussard in der Nähe des geplanten Windrads, kann das ein Aus für den Standort bedeuten. Außerdem müssen Ausgleichsmaßnahmen, wie Aufforstungen oder andere ökologische Aufwertungen für den geplanten Eingriff in die Natur durchgeführt werden. Werden seltene Tierarten wie zum Beispiel Schwarzstörche durch Windräder bedroht, führt das häufig zum Aus für den Standort.
Aussichten für die Windkraft
Sollen wirklich künftig an Land pro Jahr zirka 2.000 neue Windanlagen ans Netz gehen, scheinen Kollisionen zwischen Klimaschutz durch Windkraft und Naturschutz unausweichlich. Dabei bedeuten Klimaschutzmaßnahmen langfristig immer auch Naturschutz, denn wenn sich das Klima ungebremst erwärmt, wird es zu großen Verlusten im Tier- und Pflanzenreich kommen. Allerdings werden wir die Ziele der Energiewende bis 2030 und 2045 kaum erreichen, wenn wir den Genehmigungsaufwand für neue Windenergie weiterhin erhöhen, statt zügig neue Standorte bereitzustellen.
Autor: Jörg Wolf (SWR)
Stand: 09.09.2021 15:47 Uhr