Sa., 11.09.21 | 16:00 Uhr
Das Erste
Wo hakt es bei der Mobilitätswende?
Mit Blech überfüllte Städte und Autobahnen, hohe CO2-Emissionen, Lärm, Flächenverbrauch – die aktuelle Mobilitätskultur fordert einen hohen Preis. Seit langem wird über eine Mobilitätswende diskutiert. Dabei stoßen alle Pro-Wende-Argumente auf gegenläufige Aussagen. Ein lähmender Diskurs. Wer hat Recht? [W] wie Wissen hat einige der Hauptargumente untersucht.
Geschwindigkeitsbegrenzung
Über das Tempolimit wird schon lange gestritten. Immer wieder hört man, auf Autobahnen bringe das nichts. Stimmt das? Es stimmt nicht. Es gibt viele Argumente für ein Tempolimit. Bei hohen Geschwindigkeiten haben Autos eine hohe Bewegungsenergie. Im Fall eines Unfalls hat das Folgen: Fahrer und Fahrzeuge sind erheblich größeren Kräften ausgesetzt.
Fahren auf der Autobahn wäre mit Tempolimit entspannter und es würde auch günstiger. Denn bei niedrigen Geschwindigkeiten braucht das Fahrzeug weniger Sprit. Umgekehrt gilt: Bei hohem Tempo steigt der Luftwiderstand. Damit steigt der Spritverbrauch. Bei SUVs mit ihren großen Frontflächen ist dies ein besonderes Problem.
Laut Umweltbundesamt würde ein Tempolimit den Ausstoß von Treibhausgasen deutlich mindern. Je nach Ausgestaltung um 1,9 bis 5,4 Millionen Tonnen pro Jahr. Ein Tempolimit von 120 brächte 6,6 Prozent Einsparungen. Dr. Wiebke Zimmer, Mobilitätsexpertin vom Öko-Institut, erklärt, außerdem würde der Verkehrsfluss harmonisiert und es gäbe weniger Staus. Was sie über die ökologischen Kosten des fehlenden Tempolimits ärgert, ist Folgendes: "In Deutschland ist schon die Situation so, dafür dass ein paar Menschen mit wirklich PS-starken Autos rasen dürfen, müssen andere mit dem Leben bezahlen."
Wohin mit dem Güterverkehr?
Der Güterverkehr in Deutschland wächst und wächst. Mehr davon müsste auf die Schiene. Doch Kritiker sagen, das sei unwirtschaftlich. Stimmt das? Tatsächlich hat der Lkw-Gütertransport einige Vorteile gegenüber dem Transport auf der Schiene. Doch die ergeben sich im Wesentlichen durch Wettbewerbsverzerrungen, die beseitigt werden müssten. So wird der Lkw-Diesel subventioniert, ein Preisvorteil für die Straße.
Das gleiche gilt für den Straßenanschluss zu Gewerbegebieten: Er ist für die ansässigen Firmen kostenlos. Den Gleisanschluss müssen sie bezahlen und teuer unterhalten. Das führte zur Stilllegung der meisten Gleisanschlüsse und machte Güterzüge weniger flexibel. Wiebke Zimmer weist besonders auf die Wettbewerbsverzerrungen durch die übersehenen externen Kosten hin, verursacht durch Lärm, Treibhausgase, Luftschadstoffe oder Unfallopfer: „Das sind die sogenannten externen Kosten. Und beim Güterverkehr ist es so, dass der Lkw pro zurückgelegten Kilometer etwa zwei bis viermal höhere Kosten – externe Kosten - verursacht als der Transport auf der Schiene."
Elektromobilität
Die schicken neuen E-Mobile glitzern auf den Messen. Für Otto-Normalverdiener unerschwinglich, oder? Sind sie wirklich so teuer wie immer gesagt wird? Der Eindruck wird verstärkt, weil es hier bisher kaum Gebrauchte gibt. Doch durch staatliche Förderung liegt bei einem E-Mittelklassewagen der Einstiegspreis etwa auf dem Niveau der Verbrenner. Die laufenden Kosten sind bei einem Stromer allerdings deutlich geringer als bei einem Verbrenner. So entfällt für die Elektroautos bis 2030 die KFZ-Steuer. Zwar liegen die Stromkosten im Moment etwa gleichauf mit den Spritkosten, doch Benzin und Diesel werden in Zukunft auch durch die CO2-Bepreisung deutlich teurer.
Die Mobilitätsexpertin Zimmer vom Ökoinstitut erklärt, die deutsche Autolobby habe sich der Elektromobilität jahrelang entgegengestellt: "Die deutsche Industrie ist weltweit führend bei allen Technologien rund um den Verbrennungsmotor. Und unter anderem deshalb sind in Deutschland auch viele Mythen in die Welt gesetzt worden, warum Elektromobilität jetzt nicht wirklich was für den Klimaschutz bringt oder schwierig umzusetzen ist.“ Durch diese Mythen sei Deutschland bei der Elektromobilität technologisch in Hintertreffen geraten. Dabei hat E-Mobilität gerade auch technologische Vorteile, die bewirken, dass sie unterm Strich günstiger als die vorherrschende Antriebstechnik ist: Autos mit Explosionsmotoren haben viele Verschleißteile. Das erzeugt Reparaturkosten. Und: E-Autos sind – ohne Getriebe und Auspuffanlage – langlebiger als Verbrenner.
Nutzungsgewohnheiten ändern
ÖPNV – Grüne Welle für Vernunft. Doch landläufig gilt: ÖPNV ist teuer umständlich und langsam. Stimmt das? Das stimmt besonders in Städten nicht. Fahrpläne sind hier dicht und zuverlässig. Ein wesentlicher Zeitgewinn ergibt sich, weil die Suche nach dem Parkplatz entfällt. Auch kosten Parktickets oft mehr als Bustickets. Wenn man dann noch Spritkosten und Wertverlust des PKW einbezieht, fährt man mit ÖPNV meist günstiger als mit dem Auto.
Anders sieht es auf dem Land aus, wo das Netz aus Bus- und Bahnverkehr nicht so dicht ist. Aber für Pendler gibt es Park-und-Ride-Angebote, die Innenstädte noch viel stärker entlasten könnten. Ein weiteres Argument für Busse und Bahnen: Hier kann man freie Zeit verbringen – dabei Lesen zum Beispiel und muss nicht auf den Verkehr achten. Und: Viele Arbeitgeber bieten Mitarbeitern Jobtickets an und reduzieren damit die Kosten für ÖPNV erheblich. Verkehrsexpertin Zimmer ist Fan des ÖPNV. Doch man sollte auch mehr zu Fuß gehen oder Radfahren. Im Ganzen sieht sie das große positive Potenzial: "Wenn wir es schaffen eine Mobilitätswende hinzubekommen, dann profitiert nicht nur das Klima davon, sondern wir hätten auch eine viel höhere Lebensqualität in den Städten.“
Ein lohnenswertes Ziel. Das Leben würde mit der Mobilitätswende auch ein Stück gesünder und sicherer.
Autor: Frank Wittig (SWR)
Stand: 09.09.2021 15:48 Uhr