Sa., 21.03.20 | 16:00 Uhr
Das Erste
Großraumbüro: Vorhölle oder Chance?
Rund 18 Millionen Bildschirm- und Büroarbeitsplätze gibt es laut einer aktuellen repräsentativen Studie derzeit in Deutschland. Gut zwei Drittel der Beschäftigten sitzen allein im Büro oder teilen es mit nur einem Kollegen. Gut 20 Prozent arbeiten in Räumen mit bis zu fünf Personen – und gerade einmal 15 Prozent der Befragten sitzen aktuell in einem Großraumbüro mit mehr als fünf Kollegen. Doch die Zahl der Großraumbüros steigt.
Großraumbüro: Hauptproblem Lärm
An der Bundesanstalt für Arbeitssicherheit und Arbeitsmedizin in Dortmund erforscht ein Team um Dr. Lars Adolph, wie der Job in Großraumbüros unsere Gesundheit belastet – vor allem dann, wenn es dort zu laut ist. Wegen des Lärms seien die Beschäftigten erregt, ärgerten sich oder seien abgelenkt, so die Experten. Das würde zudem das psychische Wohlbefinden beeinträchtigen. Je stärker eine Tätigkeit Gedächtnis und Aufmerksamkeit fordert, umso stärker belastet Lärm. Die Konzentrationsfähigkeit nimmt ab, weil sich der Mensch anstrengt, die störenden Geräuscheinwirkungen aus seinem Bewusstsein zu verdrängen. Vorzeitige Ermüdung, Konzentrationsschwäche oder Kopfschmerzen können die Folge sein. Deshalb darf der mittlere Schallpegel bei einfachen oder überwiegend mechanisierten Bürotätigkeiten maximal 70 dB(A) betragen, bei überwiegend geistigen Tätigkeiten höchstens 55 dB(A). Bei hochkonzentrierter Arbeit sei solch ein Schallpegel indes ein echtes Problem, so Dr. Lars Adolph.
Test: Wie stressig ist Büro-Lärm?
Wie sich Lärm konkret auf die Arbeit auswirken kann, haben wir mit einer Probandin – einer erfahrenen und Stress gewohnten Sekretärin – getestet. Wir nehmen von ihr eine Speichelprobe und messen, wie hoch die Konzentration des Stresshormons Cortisol ist, und zwar zunächst in einem ruhigen Einzelbüro. Wir lassen sie dort vier Stunden lang einen Leistungstest machen und nehmen danach noch einmal eine Speichelprobe.
Nach dem ruhigen Tag im Einzelbüro ist unsere Probandin am nächsten Tag dem Lärm eines Großraumbüros ausgesetzt. Sie macht dort den gleichen Leistungstest, zudem werden wieder Speichelproben genommen.
Und, wie sind ihre Stresswerte im Vergleich zum ruhigen Vortag? Ihr Cortisolwert ist im Großraumbüro in den vier Stunden leicht gestiegen, im Einzelbüro – im gleichen Zeitraum – gesunken! Der Test ist allerdings nur eine Momentaufnahme und bedingt aussagekräftig. Bislang gibt es auch keine Studien, die über einen längeren Zeitraum untersucht haben, wie sich das Arbeiten im Großraumbüro auf Stress-Level und Cortisol-Spiegel auswirken. Klar ist nur: Je weniger Lärmstress im Großraumbüro, desto besser für die Menschen. Im Großraumraumbüro ist es aber nur selten wirklich still.
Lärm ist nicht gleich Lärm
Welche Geräusche dort richtig stressen, wollen die Dortmunder Forscher mit speziellen Konzentrationstests herausfinden. Die Lautstärke ist dabei nur eins von mehreren Kriterien. Auch der Störeinfluss moderater Geräusche wird untersucht. Denn leise Geräusche können ebenfalls belasten – etwa der nervenzehrende tropfende Wasserhahn. Doch ob laut oder moderat: Wenn wir unter der Belastung von Geräuschen konzentriert arbeiten müssen, haben wir mit einer Verschlechterung der Leistung zu rechnen, sagt der Arbeitsforscher Dr. Lars Adolph.
Was heißt das konkret? Hat sich das auch in dem Test mit unserer Probandin gezeigt? Im Einzelbüro schaffte sie elf von 20 Testaufgaben, im Großraumbüro nur zehn. Der Produktivitätsverlust scheint gering, wäre aber für ein Unternehmen – wenn alle Beschäftigte in diesem Umfang weniger leistungsfähig wären – durchaus ein Problem. Nach Ansicht von Dr. Lars Adolph sollten Unternehmen, die ein Großraumbüro planen, schon im Vorfeld die Tätigkeiten und die Anforderungen an Kommunikation und soziale Prozesse sehr genau kennen. Dazu gehöre eben auch, dass man die Beschäftigten einbezieht und analysiert, welche Bedürfnisse sie am Arbeitsplatz konkret haben.
Software für Lärmsimulation
Die Dortmunder Arbeitsmediziner haben ein Softwareprogramm entwickelt, mit dem Bauherren, Ingenieure oder Architekten bereits in der Planungsphase für ein Großraumbüro den Lärm darin simulieren können. Je nachdem, wie man etwa Tische, Drucker oder Raumtrenner anordnet, verändert sich die Geräuschkulisse erheblich. Das Programm macht akustisch deutlich, wie Raumtrenner oder Wandverkleidungen Lärm reduzieren können. Es ersetzt dabei nicht die Planung des Architekten, kann aber bereits im frühen Stadium Planer und Bauherren sensibilisieren.
Kluge Planung ist das A und O
Das Münchner Beratungs- und Architekturunternehmen CSMM beschäftigt sich seit 16 Jahren mit der Planung von Großraumbüros. Geschäftsführer Timo Brehme sagt, dass viele Büros von Anfang an falsch geplant seien. Wenn ein Unternehmen als Beweggrund für das Großraumbüro ausschließlich Flächen- und Kosteneinsparung im Fokus habe, dann habe es eigentlich schon verloren. Das Credo des Münchner Architekten: Ob ein Großraumbüro Fluch oder Segen ist, hängt vom Platz ab, den die Beschäftigten insgesamt haben – und wie sinnvoll dieser genutzt wird.
In der heutigen Arbeitswelt wird zunehmend auf Teamarbeit gesetzt. Beschäftigte müssen flexibel sein, sind daher nicht mehr an einen festen Arbeitsplatz gebunden. Oft brauchen sie nur noch Stift, Laptop und ein Handy, um überall arbeiten zu können. Ihr Arbeitsplatz kann also durchaus immer kleiner werden. Architekten und Planer wie Timo Brehme raten aber dazu, dass in diesem Fall weitere Flächen geschaffen werden: zum Beispiel Teamräume zum Diskutieren und gemeinsamen Planen sowie kleinere, abgetrennte Bereiche für den Gedankenaustausch, ohne andere dabei akustisch zu stören. Auch Einzelräume sollte es weiterhin geben, damit sich Beschäftigte bei Bedarf zum Arbeiten zurückziehen zu können.
Unser Fazit: Gute Planung zahlt sich aus. Für die Unternehmer – vor allem aber für die Beschäftigten und ihre Gesundheit.
Autor: Stefan Venator (hr)
Stand: 20.03.2020 13:37 Uhr