Sa., 01.02.20 | 16:00 Uhr
Das Erste
MOSAiC – Arktis-Expedition erforscht das Klima
Es ist die größte Arktis-Expedition aller Zeiten: Im Rahmen von MOSAiC (Multidisciplinary drifting Observatory for the Study of Arctic Climate) erforschen rund 300 internationale Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 20 Nationen die Arktis ein ganzes Jahr lang. Bis zum Herbst 2020 driftet der deutsche Forschungs-Eisbrecher "Polarstern" dazu eingefroren im Eis durch das Nordpolarmeer. Unter Leitung des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), arbeiten über 70 Institute in einem Forschungskonsortium zusammen. Unterstützt werden sie von fünf Eisbrechern, Polarflugzeugen und Helikoptern. Das Budget der Expedition beträgt über 140 Millionen Euro. Eine gewaltige Investition, die angesichts der offenbar bedeutenden Rolle der Arktis im sich beschleunigenden Klimawandel überfällig war. "In MOSAiC wollen wir das gesamte Klimasystem der Arktis besser erforschen. Die komplexen Wechselwirkungen zwischen Atmosphäre, Eis, Ozean, Ökosystem, Biogeochemie. Es ist nicht so, dass wir zu wenig Daten haben, wir haben aus dem Winterhalbjahr überhaupt keine Daten. Wir müssen verstehen, was hier vor sich geht, denn sonst werden wir auch das Klimasystem im Rest der Welt nicht verstehen", erklärt Expeditionsleiter Markus Rex.
Volle Scholle Kurs Nordpol
Die Expedition startete am 20. September 2019 in Tromsø. Durch die Fjorde Norwegens ging es in die Barentssee, an Franz-Josef-Land vorbei ins Zielgebiet. Hier begann unverzüglich die Suche nach einer Eisscholle, an der die "Polarstern" festfrieren und mit der sie in den Folgemonaten durch das Nordpolarmeer hindurchdriften kann. Dafür musste eine Scholle gefunden werden, die groß und vor allem dick genug ist, um die gesamte Forschungsinfrastruktur der Expedition zu tragen. Die Suche mit Hilfe von Satelliten, zwei Eisbrechern, Helikopterflügen und Erkundungsmissionen auf dem Eis war eine enorme Herausforderung: Nach dem ungewöhnlich warmen Sommer in der Arktis war das Eis der meisten infrage kommenden Schollen in der Startregion der Expedition zu dünn. Und viel Zeit blieb nicht, denn vor Einbruch der monatelangen Polarnacht musste das Schiff seinen Platz im Eis gefunden haben. An der Scholle, auf die die Wahl schließlich fiel, ist die Polarstern dann planmäßig festgefroren und driftet seit Oktober 2019 ihr mit sieben bis zehn Kilometer pro Tag Richtung Nordpol.
Klimaforschung auf der Eisscholle
Die Expedition, die seit Jahren bis ins kleinste Detail geplant wurde, ist und bleibt ein Abenteuer mit allerlei Unwägbarkeiten: Sobald die Polarstern im Eis "festsaß", begann der Aufbau eines ausgedehnten Forschungscamps auf der Scholle, rund um das Schiff. Die Vorgänge im und unter dem Meereis, im arktischen Schnee und der Atmosphäre zu erforschen ist eine logistische Herausforderung. Die verschiedenen Messapparaturen, darunter der höchste Messturm der zentralen Arktis, müssen bei teils äußerst rauen Wetterbedingungen und Temperaturen von bis zu minus 45 Grad Celsius in der monatelangen Finsternis der Polarnacht funktionieren. Oder gegebenenfalls repariert werden – und das praktisch ohne den im Labor gewohnten Nachschub an Ersatzteilen. Was die "Polarstern" nicht an Bord hat, gibt es – zumindest für längere Zeit – nicht. Harte Bedingungen also für Mensch und Material.
Klimaforschung abseits der Scholle
Der Schwerpunkt der Forschung läuft im Camp rund um die "Polarstern". Doch auch wenn die sich mit der driftenden Eisscholle über weite Distanzen durch die Arktis bewegt: Auf die hier gemachten – aber gewissermaßen doch lokalen Beobachtungen und Messungen – stützt sich die MOSAiC-Expedition nicht allein. Ein weiteres Team an Bord des russischen Eisbrechers "Akademik Fedorov" übernimmt zeitgleich einen weiteren wichtigen Teil von MOSAiC: Die Forscher bauen mit Hochdruck das sogenannte Distributed Network auf – ein weit verzweigtes Messnetzwerk. Es besteht im Wesentlichen aus vielen verschiedenen autonom arbeitenden Sensoren, die ins Eis eingebracht werden. Darunter zum Beispiel Geräte, die sich an Kabeln von der Eisschicht bis ins darunter liegende Wasser rauf und runter bewegen. Dabei messen sie kontinuierlich Werte wie den Salzgehalt oder die Temperatur. Das verzweigte Netzwerk hilft so dabei, die lokalen Ergebnisse des Forschungscamps an der "Polarstern" auf eine größere Skala zu übertragen.
Forschung mit Risiken und ungewissem Ende
Die Arbeiten im Forschungscamp mussten bereits mehrfach unterbrochen werden: Eisbären-Alarm. Die Expedition findet in einem Ökosystem statt, dass vom größten Landraubtier der Erde durchstreift wird. Bewaffnete Wachleute haben daher stets ein Auge auf die Umgebung des Camps, vermeiden aber möglichst tödliche Begegnungen. Bei Alarm ziehen sich alle auf das Schiff zurück und allzu neugierige Bären werden mit Schreckschusswaffen vertrieben. Ein weiteres Risiko ist dagegen kaum beherrschbar. Die driftende Eisoberfläche, auf der das Forschungscamp steht, ist äußerst dynamisch: Expeditionsleiter Rex: "Das Eis wird vom Wind über den Nordpolarbereich geschoben. Und es verformt sich dabei. Es bilden sich Presseisrücken, es reißt immer mal wieder auf und darunter ist ein kalter, tödlicher Ozean. Es gibt immer noch sehr, sehr viele Unwägbarkeiten. Wir wissen auch nicht, wo wir hin driften werden, während dieses Jahres. Wir konnten auswählen, wo die Expedition losgeht. Wo sie endet, das wird die Natur bestimmen."
Eine Natur, in der sich das Eis radikal zurückzieht. Was bedeutet die sich rasch verändernde Arktis für das Klima unseres Planeten? Das wissen wir hoffentlich genauer, wenn die Expedition aus der Polarnacht zurückkehrt.
Autor: Philipp Grieß (NDR)
Stand: 16.11.2020 15:43 Uhr