Sa., 01.02.20 | 16:00 Uhr
Das Erste
Nordostpassage – Klimawandel macht den Seeweg frei
Noch bedecken Treib- und Packeisfelder auf Millionen Quadratkilometern die Arktis. Doch in der nördlichen Polarregion herrscht immer öfter Tauwetter, die Durchschnittstemperaturen steigen hier schneller als irgendwo sonst auf der Erde! In den Sommermonaten, das zeigen Satellitenaufnahmen der NASA, schrumpfte die Ausdehnung der Polareisfläche seit 1979 um mindestens 25 Prozent. Auf der Restfläche nimmt die Eisdicke rapide ab!
Das ist ziemlich sicher eine Folge des Klimawandels und zugleich Sinnbild einer ökologisch äußerst bedrohlichen Entwicklung. Doch nicht jeder richtet seinen Blick auf die damit verbundenen Risiken, mancher erkennt in der Entwicklung vielmehr eine lang ersehnte Chance: Denn das schwindende Eis gibt auch einen Seeweg, den bislang fast ausschließlich Abenteurer und Forschungsexpeditionen befuhren – und das auch nur im kurzen arktischen Sommer. Besonders die Route entlang der sibirischen Küste von Europa nach Asien hat im Zuge des Klimawandels plötzlich großes wirtschaftliches Potenzial für die weltweite Handelsschifffahrt.
Polareis 2000 bis 2016 im Vergleich
Nordostpassage: Warenverkehr soll zunehmen
Der "neue" Seeweg führt entlang der norwegischen und sibirischen Küste nach Fernost. Die Strecke Hamburg - Shanghai ist auf dieser Route nur 7.600 Seemeilen lang, also deutlich kürzer als der Weg durch den Suezkanal mit 11.400 Seemeilen. Von Juli bis Oktober ist die arktische Abkürzung bereits passierbar. Rund 150 Frachter und Tanker wagten in den letzten fünf Jahren den Weg durch die Nordostpassage. Laut "Northern Sea Route Administration (NSRA)", der russischen Koordinierungsstelle für den neuen Seeweg mit Sitz in Moskau, wurden 2018 rund 20 Mio. Tonnen Handelsgüter durch die Passage transportiert. Zum Vergleich: Durch den Suezkanal waren es im selben Jahr 983 Mio. Tonnen. Doch mit dem schwindenden Eis soll der Warenverkehr über die Nordostpassage zunehmen: 2025 erwartet die NSRA bereits 80 Millionen Tonnen.
Im August 2018 fuhr mit der dänischen "Venta Maersk" das erste Containerschiff die arktische Route. Das 200 Meter lange Schiff besitzt die höchste Eisklasse für Frachtschiffe. Ein Eisbrecher, der in Ostsibirien als Begleitschutz mitfuhr, musste nicht eingreifen.
Behinderungen durch Eisschollen und Packeis
Doch die Passage ist anspruchsvoll. Jörg Kaufmann vom Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie kennt viele Berichte der Kapitäne: "Neben Eisschollen kann sich Treibeis an Meerengen jederzeit zu Packeis zusammenschieben. Gegebenenfalls brauche ich Unterstützung durch Eisbrecher, die ich mir von Russland teuer mieten muss, damit ich die Passage fahren kann. Das macht die Tour noch nicht so rentabel." Und der Tiefgang der Schiffe ist in den flachen Küstengewässern auf zwölf Meter begrenzt. Auf einer Teilstrecke von 2.500 Seemeilen gibt es kaum Infrastruktur: "Es gibt keine großen Häfen, keine Such- und Rettungskräfte oder Ölbekämpfungsschiffe. Wenn es zu einer Havarie kommt, ist die Schiffsbesatzung auf sich allein gestellt."
Umweltschützer befürchten eine ökologische Katastrophe, sollte es in den arktischen Gewässern zu einem schweren Schiffsunglück kommen. Die Havarie des vor Alaska gesunkenen Öltankers "Exxon Valdez" hat gezeigt, dass sich die arktische Umwelt wegen der extrem niedrigen Temperaturen nur sehr langsam erholt. Um Ölaustritte möglichst zu verhindern sind sogenannte Doppelhüllentanker entlang der Nordostpassage vorgeschrieben. Auch verlangt die NSRA für das russische Hoheitsgebiet für Handelsschiffe eine hohe "Eisklassifikation".
Die Suche nach eisgängigen Frachtschiffen
Die für vorgeschriebene Eisklassifikation nötigen Verstärkungen des Rumpfs führen zu höheren Eigengewichten und steigenden Baukosten bei gleichzeitiger Verringerung der Transportkapazität der Schiffe. Frachtschiffe müssen also einerseits den rauen Ansprüchen des arktischen Meeres genügen, anderseits sollen sie möglichst günstig Waren transportieren können. Schiffsbauer weltweit tüfteln deswegen an möglichst effektiven, eisgängigen Frachtschiffen. Weltweit führend auf diesem Gebiet: Die Hamburger Schiffsbauversuchsanstalt.
Die Ingenieure testen Gas- und Öltanker, aber auch Frachter, die meterdickes Eis durchqueren können. Hierfür ziehen sie maßstabsgetreue Rumpfmodelle der geplanten Schiffe durch einen 70 Meter langen Eiskanal. Die bis zu sieben Meter langen Rümpfe aus Holz sind vollgestopft mit Mess-Sensoren. "Durch unsere Versuche sparen die Schiffe später bis zu zehn Prozent Kraftstoff ein", so Versuchsleiter Niels Reimer. "Wir erreichen das, indem wir die Rumpfgeometrie verändern und durch die Anordnung der Propeller, die im Eis möglichst effektiv arbeiten sollen." Genaue Details sind häufig geheim, die Auftraggeber wollen das Know-how für sich behalten. "Reeder wollen zum einen ihre Betriebskosten senken, zum anderen wollen sie wissen, wie sich ihr Schiff im Eisgang verhält. Für die Nordostpassage bekommen wir vermehrt Anfragen ostasiatischer Reeder. Zurzeit testen wir wieder einmal einen chinesischen Frachter."
China und Russland bauen auf neue Schiffroute
China setzt große Hoffnungen auf den neuen Handelsweg durch das Eis – eine "Arktische Seidenstraße" als Abkürzung nach Europa. Daneben profitiert vor allem Russland von der neuen Schifffahrts-Route. Erst das zurückweichende Eis ermöglicht den Abbau und den Abtransport der arktischen Rohstoffvorkommen. Mit chinesischem Geld bauen die Russen Häfen wie in Sabetta auf der sibirischen Halbinsel Jamal. Dort steht bereits die weltweit größte Gasverflüssigungsanlage. Spezialtanker wie die "Christophe de Magerie" wurden entwickelt, um das Gas abzutransportieren. Das 300 Meter lange Schiff hat die Eisklasse "Arc7", ist mit sieben Zentimeter dicken Stahlplatten bewehrt und dadurch in der Lage, durch bis zu 1,7 Meter dickes Eis zu fahren. Es ist das erste einer Flotte von 14 weiteren geplanten Schiffen gleicher Bauart.
Nordostpassage: Ab 2040 neun Monate befahrbar?
Ab 2040, so die Prognosen, wird die Nordostpassage für mindestens neun Monate im Jahr befahrbar sein. Weil das Eis bei ungebremst steigenden Temperaturen immer weiter zurückweichen wird, könnte die Route eines Tages sogar nahe am Nordpol vorbeiführen. Diese Strecke wäre dann noch kürzer als die Nordostpassage.
Autor Georg Beinlich (NDR)
Stand: 31.01.2020 22:46 Uhr