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Grönland: Kampf ums Überleben

Eis in der Arktis
Auf Grönland spüren Mensch und Natur den Klimawandel besonders. | Bild: NDR

Die Grönländische Arktis verändert sich rasant, nirgendwo auf der Welt schreitet der Klimawandel so schnell und mit so deutlichen Folgen voran. Noch bedeckt eine Schicht aus Meereis den Nordpol und seine umliegenden Gewässer. Zu denen zählen auch die Küstengewässer der größten Insel der Welt. Früher zog das Meereis an Grönlands Küsten im Winterhalbjahr weit südwärts. Doch das ändert sich durch den Klimawandel zunehmend. Jedes Jahr geht die Ausdehnung des Meereises weiter zurück. Immer größere Abschnitte der Gewässer bleiben eisfrei. Allein diese Entwicklung bedroht das empfindliche Ökosystem des Nordpolarmeeres. Hinzu kommt, dass auch das Inlandeis der Insel, das nach der Antarktis den zweitgrößten zusammenhängenden Eisschild der Erde bildet, mit zunehmender Geschwindigkeit schmilzt. Noch dehnt er sich über 1,7 Millionen Quadratkilometer aus und ist bis zu 3.000 Meter dick. Darin stecken kaum vorstellbare Massen an Süßwasser.

Die Folgen des Tauwetters

An wärmeren Tagen fallen ganze Eiskathedralen mit einer Höhe von 50 bis 80 Metern auf einem Gebiet von Tausenden Fußballfeldern einfach in sich zusammen und schmelzen. Das abfließende Süßwasser höhlt die Gletscher von unten weiter aus und beschleunigt damit den Prozess. In reißenden Strömen fließt das Süßwasser ins Meer. Dadurch kommt zur ohnehin schon erhöhten Temperatur nun noch der abnehmende Salzgehalt, durch den Verdünnungseffekt des Süßwassers. So bedingen sich die Folgen der Erderwärmung an Land und im Meer gegenseitig und mit noch weitgehend unabsehbaren Folgen für das Ökosystem. In Grönland wird die Komplexität der Erderwärmung so deutlich, wie in keinem anderen Land der Erde. Es werden nur die Bewohner der eisigen Insel den Wandel überleben, die sich an die veränderten klimatischen Bedingungen und ihre Folgen anpassen können.

Den Eisbären schmilzt der Lebensraum weg

Das primäre Jagdrevier der Eisbären ist das treibende Meereis. Hier kommen sie am besten an ihr wichtigstes Beutetier heran, die Ringelrobbe. Gezwungenermaßen müssen sie die jedes Jahr früher brüchig werdende Eisschicht im Sommer verlassen und sich an Land bis in den Spätherbst mit wesentlich geringerer Aussicht auf Beute aufhalten. Es kommt häufiger vor, dass Eisbären auf großen Eisschollen weit aufs Meer hinausgetrieben werden. Obwohl sie hervorragende Schwimmer sind, die Hunderte Kilometer nonstop zurücklegen können, ist das für sie lebensbedrohlich. An Land müssen die Bären Einfallsreichtum beweisen, um Nahrung zu finden. Die gefährlichen Kämpfe mit der weltweit größten Robbe, dem Walross, würden sie eigentlich lieber vermeiden. Doch die größten Landraubtiere der Welt sind hungrig und haben keine Wahl. Das macht sie auch noch gefährlicher für Menschen, die sie durchaus als Beute betrachten – und umgekehrt. Es gibt eine geringe Abschussquote für Eisbären. Ist die ausgeschöpft, dürfen die Tiere nur noch getötet werden, wenn sie eine akute Gefahr darstellen.

Konflikte zwischen Eisbär und Mensch

Eisbär
Eisbären nähern sich zur Nahrungssuche den Menschen. | Bild: NDR

Es sind vor allem Speisereste auf den Müllkippen von Siedlungen, die zunehmend auf dem Speiseplan der Eisbären stehen, und sie dadurch immer mehr in die Nähe des Menschen treiben. Ittoqqortoormiit ist die nördlichste Stadt an Grönlands Ostküste. Sie wird immer öfter von Eisbären aus dem nahegelegenen Nationalpark angesteuert. Das hat bereits den Alltag ihrer Einwohner verändert. Der örtliche Kindergarten ist durch einen hohen Zaun gesichert. Die Leiterin Lone Madsen beklagt den Verlust an Lebensqualität: "Früher konnten wir noch lange Ausflüge unternehmen, sogar in die Walrossbucht gehen, ohne ein Gewehr dabei zu haben, ohne besorgt und verängstigt zu sein. Aber jetzt können wir ohne eine Waffe oder ein Fahrzeug nirgendwo mehr hingehen." Kein Wunder, dass viele Eltern für ihren Nachwuchs täglich mit Quads abholen. Ausflüge gibt es zwar weiterhin, aber nur in der Gruppe, ein bewaffneter Aufpasser stets in der Nähe.

Der Eisbär-Manager

Rücken die Bären den Menschen bei der Nahrungssuche zu nah auf die Pelle, dann ist ihr Schicksal besiegelt. Trotz limitierter Abschussquote gilt: Lässt ein Bär sich nicht vertreiben, wird er erschossen. Jagdaufseher Erling Madsen und sein Sohn wollen tödliche Mensch-Bär-Begegnungen deshalb möglichst vermeiden. Im Nebenberuf arbeitet Erling als Eisbär-Manager für die Naturschutzorganisation WWF und hält die hungrigen Tiere auf Distanz zur Stadt Ittoqqottoormiit. Tauchen sie in der Nähe der Stadt auf, vertreibt Erling sie mit Schreckschuss-Granaten, die er aus einer Art Leuchtpistole verschießt. Aber natürlich hat er zur Sicherheit ein Gewehr mit Gummigeschossen stets im Anschlag. Und im äußersten Notfall darf er auch mit scharfer Munition schießen.

Ackerbau auf Grönland

Moschusochse
Karibu und Moschusochsen profitieren von den wärmeren Sommern der vergangenen zehn Jahre. | Bild: NDR

Die längeren Sommer und die höhere Durchschnittstemperatur infolge des Klimawandels, haben für viele Bewohner der eigentlich kargen Arktisregion durchaus auch positive Seiten: für Ringelrobben zum Beispiel. Ihr ärgster Feind, der Eisbär setzt ihnen nicht mehr so zu – gut für die Populationsentwicklung. In jüngster Zeit wurden in den Gewässern vor Ittoqqottoormiit mehrfach Dorsche gefangen. Denen ist das Wasser in dieser Region bisher zu kalt gewesen. Auch Fänge von Kapelanen, ebenfalls Speisefische, gelten als höchst ungewöhnlich. An Land profitieren Karibu und Moschusochsen von den wärmeren Sommern der vergangenen zehn Jahre. Das veränderte Klima ließ Pflanzen besser und länger wachsen. Es klingt paradox, aber Grönland ist grüner geworden. So satte Weidegründe wie zurzeit, gab es hier früher nicht. In bestimmten Regionen wird bereits Ackerbau betrieben, jedoch handelt es sich noch um die ersten Projekte dieser Art. Der Tourismus nimmt auch immer mehr Fahrt auf. Doch all das ist nur eine Momentaufnahme.

Meeresspiegel könnte um sieben Meter steigen

Die Entwicklung birgt hohe Risiken, nicht nur für Grönland selbst. Die Veränderungen in der Natur durch den Klimawandel sind heute schon deutlich, wenn auch (noch) nicht einseitig negativ. Langfristig könnten sie katastrophal werden: Knapp zehn Prozent der weltweiten Süßwasserreserven sind in Grönlands Eisschild gespeichert. Sollte er restlos abschmelzen, würde allein dadurch der Meeresspiegel um sieben Meter steigen! Das ist zwar in der jüngeren Klimageschichte unseres Planeten noch nie der Fall gewesen, aber er war auch noch nie so aufgeheizt.

Autor: Lars Pfeiffer

Stand: 31.01.2020 22:47 Uhr

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