Sa., 10.10.20 | 16:00 Uhr
Das Erste
Auto Superstar!
Obwohl das Auto in Deutschland erfunden wird, bleibt es zunächst exotisch und größtenteils unbeliebt. Für den Großteil der Bevölkerung ist es schlicht unerschwinglich. Erst 70 Jahre nach dem Patent auf den ersten Motorwagen von Carl Benz 1886, beginnt die Massenmotorisierung in den Wirtschaftswunderjahren. Mitte des 20. Jahrhunderts geht es los – gefördert durch staatliche Subventionen: etwa durch die Pendlerpauschale, Senkung der Automobilsteuer und den Bau zahlreicher neuer Straßen. Kaum jemand denkt damals darüber nach welchen Konsequenzen es hat, wenn man Stadt- und Verkehrsplanung nahezu bedingungslos dem Autoverkehr unterordnet.
Das Auto fordert seinen Tribut
Während 1950 in der Bundesrepublik auf 1.000 Einwohner nur 12,7 Autos kommen, sind es 1960 schon 81,2 – also fast siebenmal so viele. Die Verkehrsleistung des Autoverkehrs hat sich im gleichen Jahr im Vergleich zum Vorjahr mehr als verfünffacht. Gleichzeitig steigt die Zahl der Verkehrsunfälle. 1960 werden fast eine halbe Millionen Menschen im Straßenverkehr verletzt, mehr als 14.000 sterben. Zum Vergleich: 2019 gab es 3.046 Verkehrstote.
Schon damals reagieren einzelne Verkehrsplaner: Ein vielversprechendes Konzept stammt vom Architekten und Stadtplaner Hans Bernhard Reichow. Für ihn steht der Mensch im Mittelpunkt der Planung. Er trennt Autostraßen und Fußgängerverkehr voneinander. Fußgänger erreichen die wichtigen Punkte einer Siedlung durch kurze, direkte Wege. Autofahrer müssen außen herumfahren. Dafür gibt es keine Kreuzungen. Die hat Reichow als Unfallschwerpunkte ausgemacht und durch schräg einlaufende T-Kreuzungen ersetzt. Das Konzept funktioniert, zum Beispiel in der am Reißbrett entworfenen Siedlung Bielefeld-Sennestadt, die zwischen 1956 und 1965 entsteht.
Die Blechlawine rollt
Doch den meisten Städten fehlt dafür der Platz, Alternativen werden kaum in Betracht gezogen. Stattdessen wird Platz für Autos geschaffen und den Fußgängern weggenommen. Es entstehen riesige Durchgangsstraßen durch die Innenstädte. Fußgänger werden durch Unterführungen geleitet oder müssen lange an Ampeln warten. Die Folge: Der Autoverkehr wird attraktiver, zu Fuß durch eine Stadt zu gehen immer unattraktiver. So drängen immer mehr Autos in die Innenstädte. Noch breitere Straßen sollen Staus verhindern. Dadurch verlieren die Innenstädte weiter an Lebensqualität. Die Folge: Lärm, Luftverschmutzung, wenig Grünflächen. Wer es sich leisten kann, zieht in die Vorstädte und pendelt mit dem Auto in die Stadt. Eine Erkenntnis der Verkehrsplaner: Wer mehr und größere Straßen baut, erntet noch mehr Autoverkehr und noch mehr Staus. Eine Lösung gegen den Verkehrskollaps ist das also nicht.
Die Mobilitätswende muss schneller gehen
Das Auto hat die Verkehrs-Infrastruktur in Deutschland seit über 60 Jahren geprägt. Der Weg zur Arbeit, zum Einkaufen, ins Grüne – mit dem Auto meist in kurzer Zeit machbar, Parkplatz inklusive. Und noch immer fließt das meiste Geld für Verkehrsinfrastruktur in den Bau und Unterhalt von Autostraßen. Der öffentliche Nahverkehr kann mit dem Auto meist nicht konkurrieren. Er ist oft langsamer und unbequemer, seine Infrastruktur nicht gut genug ausgebaut. Und unsichere Radwege halten Menschen davon ab, aufs Fahrrad umzusteigen. Das muss sich sehr bald ändern, sollen die Innenstädte nicht am Autoverkehr ersticken.
Damit die Mobilitätswende in Gang kommt, müssen zum Beispiel Autofahrer Privilegien abgeben. Das sorgt für Protest. Vorwärts geht es also nur mit gegenseitigem Verständnis und der Erkenntnis, dass von Menschengerechten Städten am Ende alle profitieren. Und es braucht politischen Mut, entsprechende Konzepte auch durchzusetzen.
Autor: Manuel Gerber (SWR)
Stand: 10.10.2020 17:32 Uhr