Sa., 06.02.21 | 16:00 Uhr
Das Erste
Corona-Langzeitfolgen
Viele Covid-19-Patienten aus der ersten Welle im vergangenen Frühjahr leiden noch immer unter den Folgen der Infektion mit dem neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2. "Was wir am häufigsten sehen, sind fatigueartige Bilder, also eine Art Erschöpfungssyndrom mit eingeschränkter Belastbarkeit, neurologische Beschwerden, also Gedächtnis und Konzentrationsstörungen. Viele Patienten berichten, dass Geschmacks- und Geruchssinn weiterhin eingeschränkt sind. Und dann gibt es eine große Gruppe, die noch Atembeschwerden hat, also Kurzatmigkeit, insbesondere bei Belastung", berichtet Infektiologe Prof. Siegbert Rieg, von der Covid-Nachsorgemabulanz der Uniklinik Freiburg. Sein Team untersucht unter anderem alle Covid-Patienten, die in der Uniklinik stationär behandelt wurden. Das Ziel: Die Erkrankung wissenschaftlich besser verstehen, um so den Patienten besser helfen zu können.
Gute Prognose für die meisten Covid-19-Patienten
"Man hat vieles bislang nur ansatzweise verstanden", erklärt Prof. Rieg. "Die gute Nachricht ist, dass es bei der überwiegenden Mehrheit der Patienten nach einigen Wochen bis zu drei, vier Monaten zu einer deutlichen Besserung kommt. Dann ist der Großteil der Patienten wieder beschwerdefrei und normal belastbar. Bei einer kleineren Gruppe von Patienten sehen wir auch zum Teil nach sechs Monaten noch Einschränkungen, insbesondere die, die auf der Intensivstation waren, die ein schweres Lungenversagen hatten."
Die Ärzte werten alle medizinischen Befunde aus, befragen die Patienten ausführlich und machen Nachuntersuchungen von Lunge, Herz, Nieren, Nervensystem – je nachdem, unter welchen Beschwerden die Patienten noch leiden.
Nicht nur die Lunge ist betroffen
Das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 befällt nicht nur die Lunge, wie man anfangs dachte. Es attackiert vielmehr vor allem die Gefäßwände – in der Lunge, aber auch in vielen anderen Organen, wodurch es in der Folge beispielsweise auch zu Herzinfarkten, Schlaganfällen oder Nierenversagen kommen an. Intensivmediziner Dr. Johannes Kalbhenn war einer der ersten, die diesen Zusammenhang erkannt haben. Er hat zahlreiche schwerkranke Covid-19-Patienten behandelt.
Auch Wolfgang Gerteisen, der Ende März 2020 auf seine Intensivstation kam und zu diesem Zeitpunkt schon zusätzlichen Sauerstoff brauchte. "Er hat selbst von dieser Atemnot gar nicht viel verspürt", berichtet Dr. Kalbhenn. "Das ist etwas, was wir immer wieder sehen, bei diesen schwer erkrankten Corona-Patienten, dass die Patienten, obwohl sie objektiv ganz klaren Sauerstoffmangel haben, diese Atemnot in dem Sinne gar nicht verspüren. Wir haben dann, weil es sehr schnell schlechter wurde uns dazu entschieden, ihn in Narkose zu versetzen und ihn zu intubieren und künstlich zu beatmen."
Wochenlanger Kampf ums Überleben
Wolfgang Gerteisen kommt als gesunder, gut durchtrainierter, sehr sportlicher Mittsechziger auf die Intensivstation. Anfangs wird er über einen Beatmungsschlauch durch den Mund beatmet. Wenig später aber machen die Ärzte einen Luftröhrenschnitt, um in darüber künstlich zu beatmen. Der Vorteil: Ohne den störenden Schlauch im Rachen, können die Patienten bei Bewusstsein sein, ohne Betäubung. Wach können sie aktiv an ihrer Genesung mitarbeiten. Sie können im Bett mit einem Bettfahrrad trainieren, sich aufsetzen, aufstehen – später mit Hilfe auch gehen. All das trainiert die Muskulatur, die unter einer Intensivtherapie stark leidet. Wolfgang Gerteisen hat dennoch 15 Kilogramm verloren und kaum noch Muskeln. Es ist ein enorm kräftezehrender Kampf – bis an die Grenze der Belastbarkeit.
Nach vielen Wochen, in denen er wegen der künstlichen Beatmung nicht sprechen konnte, hat er endlich eine Sprechkanüle. Einen Aufsatz, der ihm in Beatmungspausen das Sprechen wieder ermöglicht. "Das Ziel ist einfach, so normal wie irgend möglich wieder leben zu können", sagt Wolfgang Gerteisen. "Selbstbestimmt. Nicht von anderen abhängig sein. Natürlich Sport treiben können, mit Freunden Dinge unternehmen können, logisch. Aber ich denke, wieder ein selbstbestimmtes Leben führen zu könne - das ist wichtig. Das ist das Ziel."
Häufig kommt es zu schweren Komplikationen
Auf dem Weg zu diesem Ziel kommt es wieder zu schweren Rückschlägen. "Er hat sich bei ihm leider noch mal eine bakterielle Pneumonie, eine bakterielle Lungenentzündung obendrauf gesetzt", sagt Dr. Kalbhenn. "Das ist gar nicht selten, weil die Schleimhaut der Lunge so angegriffen ist und durch diese Corona-Infektionen, auch das gesamte Immunsystem der Patienten ist so angegriffen, dass Bakterien dann relativ leichtes Spiel haben." Mit einer gezielten Antibiotikatherapie bekommen die Ärzte die zusätzliche Infektion in den Griff – aber es sind immer wieder bange Momente, in denen es um Leben oder Tod geht. Eine große Belastung auch für die Angehörigen – von Beginn an.
Constanze Jacke, die Frau von Wolfgang Gerteisen, musste immer wieder um das Leben ihres Mannes bangen: "Mein Mann hat mir, bevor er auf die Intensiv verlegt wurde, seine allerletzte WhatsApp geschickt, und das war der schlimmste Moment, weil er hat mir geschrieben, dass er das nicht schaffen wird, dass er davon ausgeht, dass er das nicht schafft – und hat aber gleichzeitig sich bedankt für die schöne Zeit, die wir miteinander hatte und, …das rührt mich jetzt noch, …das war das Schlimmste aber es war auch das Schönste."
"Leben mit Corona" – Hilfe für Betroffene
Insgesamt ist Wolfgang Gerteisen knapp drei Monate auf der Intensivstation. Anschließend zwei Monate in der Rehabilitation, in denen er täglich viele Stunden trainiert, um zurück in sein normales Leben zu kommen. Seine Frau gründet unterdessen den Verein "Leben mit Corona", um Menschen helfen zu können, die unter massiven Folgen einer Covid-19-Erkrankung leiden. „Kann ich überhaupt noch 100-Prozent schaffen? Muss ich reduziert weitermachen, weil ich gar nicht mehr die Energie habe?" Das seien die drängenden Fragen, mit denen sich Betroffene an sie wenden, berichtet Constanze Jacke. "Ich habe ein Telefonat mit einer Zahnärztin geführt, die eine eigene Praxis hat, Mitte 30 ist, die ein kleines Kind hat. Die sagt: Ich habe meine Praxis vor zwei Jahren aufgemacht und auf einmal kann ich nicht mehr arbeiten. Dann habe ich das kleine Kind zu Hause. Wie soll das weitergehen?"
Der anstrengende Weg zurück ins Leben
Wolfgang Gerteisen hat – gut 10 Monate nachdem er sich mit dem neuartigen Coronavirus infiziert hat – etwa 80 Prozent seiner früheren Leistungsfähigkeit wiedererlangt, sagt er. Auch nach der Reha hat er täglich mehrere Stunden trainiert. Ohne dieses intensive Training, da ist er sich sicher, wäre er nicht so weit gekommen.
Hoffnung für Betroffene
In Gedanken sind die beiden noch oft auf der Intensivstation und bei den Tausenden Menschen, die derzeit auf den Intensivstationen um ihr Leben kämpfen – oder als Angehörige bangen. "Sie sollen alle daran glauben, dass es zu schaffen ist", sagt Constanze Jacke. "Die Angehörigen, die sollen dranbleiben, am Ball bleiben: Da ist was möglich! Und ich glaube auch die Kraft, die ein Angehöriger mitbringt, kann ausschlaggebend sein für die Entwicklung des schwer Erkrankten."
"Solange der Kontakt nicht möglich war", sagt Wolfgang Gerteisen, "damals auch wegen der Isolation keine Besuche möglich waren, habe ich mich allein gefühlt. Und wie dann der Besuch möglich war, da habe ich gemerkt, dass die Kraft wieder beginnt, dass es sich lohnt dafür zu kämpfen. Und das hat mir dann enorm viel Kraft gegeben."
Im März 2020 hat er sich mit Corona infiziert – war 3 Monate auf der Intensivstation, 2 Monate in der Reha. Jetzt – nach gut 10 Monaten – hat er endlich das Gefühl, den Kampf gegen Corona gewonnen zu haben.
Autor: Patrick Hünerfeld (SWR)
Stand: 06.02.2021 13:36 Uhr