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Wie sinnvoll ist das Training mit Strom?

Ein EMS-Teilnehmer an der Sporthochschule in Köln reagiert auf die ersten Stromreize durch die Ganzkörper-Weste.
Das erste EMS-Training ist für die meisten Menschen besonders, die Stromimpulse von außen sind ungewohnt. | Bild: WDR

Mehr als jedes zehnte Fitnessstudio in Deutschland bietet mittlerweile Trainingseinheiten mit Strom an. Die Werbeversprechen sind groß, laut Anbietern sollen nur 20 Minuten Training pro Woche ausreichen. Das EMS-Training soll das konventionelle Krafttraining im Studio ersetzen können, und der Sportler mehrere Stunden Trainingszeit pro Woche einsparen. Wie realistisch ist das?

Muskeln unter Spannung

Für den Körper sind Stromimpulse nichts Ungewöhnliches. Auch natürliche Aktionen – z.B. wenn wir laufen oder etwas aufheben – funktionieren über elektrische Impulse. Eine bestimmte Gehirnregion, der Gyrus präfrontalis, sendet die entsprechenden Befehle über das Rückenmark an die Nervenenden auf unserer Skelettmuskulatur.

Ein Blick auf das animierte Gehirn und den hier leuchtenden Gyrus Präfrontalis.
Natürliche Muskelkontraktionen erfolgen ebenfalls nach Stromimpulsen, die eine spezielle Region im Gehirn entsendet. | Bild: WDR

EMS-Westen bringen über die Haut zusätzlichen Strom an die Muskeln. Das verstärkt deren Anspannung. Das Training ist in den meisten Studios so angelegt, dass der Strom vier Sekunden fließt, dann folgen vier Sekunden Pause. Dabei fließt Strom mit Frequenzen bis zu 150 Hz und Stromstärken bis 100 Milliampere. Im Training nehmen die Teilnehmer bestimmte Haltungen ein, mit denen bereits eine Grundanspannung auf Bein-, Rumpf- und Armmuskulatur ausgeübt wird. Nach einem Dutzend dieser Posen mit EMS-Weste ist das Training nach 20 Minuten in der Regel vorbei. Was auf Werbefotos meistens locker lässig ausschaut, ist im Trainingsalltag aber durchaus anstrengend. 

Was bringt EMS-Training?

Mittlerweile gibt es einige Studien, die den Erfolg von Elektromyostimulation untersucht haben. Im Schnitt konnten untrainierte Probanden ihre Kraft dabei um fast ein Viertel (23,5 Prozent) steigern. Auch der Fettabbau am Bauch, das sogenannte abdominale Fett, war häufig effektiver als bei anderen Trainingsmethoden. 

Ein EMS-Teilnehmer trainiert in an der Deutschen Sporthochschule in Köln.
Die Haltungen sind meist statisch. Der zusätzliche Strom soll die Muskelkontraktion verstärken. | Bild: WDR

Die Erfolge aus den Studien lassen sich jedoch nicht eins zu eins auf das Training im EMS-Studio um die Ecke übertragen. Bei vielen "untrainierten" Studienteilnehmern handelte es sich um übergewichtige und eher unsportliche Menschen. Es gilt grob: Je weniger sportlich die Person, desto schneller sind größere Effekte zu sehen. In einigen Studien hatten die Teilnehmer zusätzlich auch ihre Alltagsbewegung erhöht oder ihre Ernährung umgestellt – und das über mehrere Monate, ein halbes Jahr oder länger. Auch diese Faktoren können die Studienergebnisse beeinflussen.

Interessant ist, dass Leistungssportler ihre Kraftparameter sogar noch effektiver erhöhen konnten, im Durchschnitt um fast ein Drittel. Sportwissenschaftler führen das darauf zurück, dass diese Sportler ihren eigenen Körper besser einschätzen können, das Training professioneller gestalten und vermehrt dabei an ihre Grenzen gehen. Auch bei dieser Gruppe unterschied sich das Training teilweise stark vom 08/15-Programm der Studios, etwa weil zusätzlich mit Gewichten trainiert wurde, Sportdisziplin-spezifische Bewegungen ausgeführt wurden und das Training zweimal die Woche stattfand. In den meisten kommerziellen Studios ist das EMS-Training auf einmal pro Woche limitiert – medizinische oder sportwissenschaftliche Gründe dafür gibt es jedoch nicht.

Vom Reha- zum Freizeittraining

Die Proteinstränge in den Muskelfasern binden aneinander und gleiten aneinander vorbei.
Für die Muskeln spielt es keine Rolle, ob der Reiz durch äußeren Strom oder Gewichte verursacht wird. | Bild: WDR

Ihren Ursprung haben die Trainingsreize mit Strom eigentlich in der Rehabilitation. Dort wurde Strom etwa in Muskelgruppen geleitet, die durch Unfälle, Verletzungen oder Operationen in Mitleidenschaft gezogen und geschwächt waren. Der große Vorteil der Strom-Methode ist, dass keine zusätzlichen Gewichte nötig sind, um die Muskeln verstärkt arbeiten zu lassen. Das schont die Gelenke, besonders bei älteren und schwachen Patienten eine sinnvolle Trainingsmethode. Studien der Deutschen Sporthochschule in Köln etwa haben die Methode bei Herzkranken getestet: Diese haben 14 Prozent Muskelzuwachs erzielt und konnten ihre Sauerstoffaufnahme fast verdoppeln.

Nicht zu 100 Prozent unbedenklich

Viele Menschen unterschätzen die Intensität der EMS-Impulse. Nicht selten folgt auf die ersten Einheiten ein starker Muskelkater. Wissenschaftler haben nachgewiesen, dass nach dem EMS-Training erhöhte Creatin-Kinase-Werte gemessen wurden – bis zu 18 mal höher als bei normalem Training. Auf Dauer würden solche Konzentrationen zu Nierenproblemen führen. Für gesunde Menschen stellt das Training allerdings keine Gefahr dar, darauf weisen auch führende EMS-Experten in Deutschland hin. Schon nach kurzer Zeit stelle sich durch das Training eine Art Gewöhnungseffekt ein, die Creatin-Kinase-Werte sinken wieder auf ein ungefährliches Niveau ab.

Voraussetzung dafür ist aber, dass das Training unter professioneller Aufsicht durchgeführt wird. Mediziner kritisieren die oftmals mangelhafte Schulung des Studiopersonals. Für ein erfolgreiches und gleichzeitig verträgliches EMS-Training ist ein ständiges Feedback zwischen Coach und Sportler wichtig.

Zu intensives Training und zu starke Stromimpulse können zu Übertraining führen, im schlimmsten Fall auch Muskulatur zerstören. Wer nach dem Training Herzrasen, Schwächegefühle oder Schmerzen bemerkt, sollte das unbedingt rückmelden und einen Arzt konsultieren. Genauso wichtig ist, dass EMS-Sportler die Regenerationszeiten von 48 Stunden oder mehr einhalten. Mehr als zwei Mal pro Woche sollte nicht trainiert werden.

Autor: Mathias Tertilt (WDR) 

Stand: 22.11.2019 13:10 Uhr

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Sa., 23.11.19 | 16:00 Uhr
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