Sa., 23.11.19 | 16:00 Uhr
Das Erste
Machen Muskeln schlau?
Um unsere Muskeln zu bewegen, brauchen wir das Gehirn. Aber wie sieht es umgekehrt aus? Können Muskeln auch unser Gehirn beeinflussen? Wissenschaftler sagen: Sport bessert auf lange Sicht nicht nur die Fitness, sondern auch die Konzentrations- und Merkfähigkeit. Sogar erste Anzeichen einer Demenz können durch Muskelarbeit positiv beeinflusst werden.
Wie Muskeln unser Gehirn beeinflussen
Hobbysportler kennen das: Sport macht den Kopf frei. Die gesteigerte Konzentrationsfähigkeit beruht im Wesentlichen auf zwei Effekten: Zum einen fällt bei Muskelarbeit im Körper vermehrt das Stoffwechselprodukt Laktat an. Menschen, deren Laktatspiegel im Blut durch Sport erhöht ist, schneiden in Konzentrationstests besser ab. Denn Laktat kann vom Gehirn als Energieträger genutzt werden. Dabei wird Laktat sogar schneller verstoffwechselt als Glukose – der andere wichtige Energieträger für unser Denkzentrum.
Zum anderen ist unser Hirn nur sehr begrenzt multitaskingfähig. Es muss mit seinen begrenzten Energieressourcen gut haushalten. Daher kommt es bei körperlicher Bewegung zu einer so genannten transienten Hypofrontalität. Das bedeutet, dass über eine gewisse Zeit (transient) der so genannte präfrontale Kortex heruntergefahren wird, weil die Energie für die Arbeit im motorischen Kortex benötigt wird. Auf Deutsch bedeutet das: Energie wird aus Hirnarealen abgezogen, die für logisches Denken und Planen zuständig sind, und den Hirnarealen zur Verfügung gestellt, die die Bewegung koordinieren. Endet die Bewegung, kann der präfrontale Cortex wieder frisch in die Denkarbeit starten – ganz ähnlich wie bei einem Computer, den man herunterfährt, wenn der Arbeitsspeicher überlastet ist. Allerdings halten diese Effekte nur für etwa ein bis zwei Stunden an.
Langfristige Effekte durch Sport – alles überbewertet?
Auch langfristig soll Sport helfen, das Fortschreiten von Demenz und anderen Hirnerkrankungen günstig zu beeinflussen. Das zumindest galt lange als gesetzt. Diverse Studien deuteten darauf hin, dass ein aktiver Lebensstil dazu beiträgt, das Auftreten einer Demenz zu verhindern.
Der Zusammenhang von körperlicher Bewegung und der Entwicklung einer Demenz ist aber weniger eindeutig als oftmals angenommen. Das zumindest legt eine Metanalyse von Studien mit rund 400.000 Teilnehmern nahe, die im British Medical Journal erschienen ist. Demnach könne die körperliche Inaktivität auch ein frühes Vorzeichen der Demenzerkrankung sein und kein ursächlicher Risikofaktor wie bislang angenommen. Denn Menschen mit Demenz sind oft weniger aktiv. Daher stellt sich die Frage: Führt Inaktivität zu Demenz – oder Demenz zu Inaktivität?
Das Problem: Bisher gibt es wenige Studien, die über eine lange Zeit gezielt ein Sportprogramm auf seinen Effekt hin untersucht haben. Auch die Studien, die in der Metaanalyse berücksichtigt wurden, sind reine Beobachtungsstudien. Die Menschen wurden nach ihrem Aktivitätslevel befragt und dann beobachtet. Einen wirklichen Effekt des Sports kann man nur nachweisen, wenn man zuvor inaktive Menschen gezielt an Sport heranführt und die Veränderungen dokumentiert.
Sport gegen Demenz – Forschung an der Sporthochschule Köln
Genau das haben Forscher in einer europaweiten Studie getan, unter anderem an der Sporthochschule Köln. Die so genannte Denksport-Studie richtete sich an Menschen mit beginnenden demenziellen Erscheinungen. Das bedeutet: Noch wurde keine Demenz diagnostiziert, aber die Patienten stellten eine beginnende Vergesslichkeit oder Konzentrationsstörungen im Alltag fest. Wichtig dabei: Die Probanden für die Studie sollten sich zuvor im Alltag wenig bewegt haben. Die Forscher um Prof. Stefan Schneider wollten untersuchen, ob durch regelmäßige Muskelarbeit das Fortschreiten der Demenz beeinflusst werden kann. Im Zentrum des Sportprogramms standen ein Ausdauertraining und Übungen, die Kraft und Koordination stärken sollten. Die Teilnehmer nahmen entweder einmal oder zweimal pro Woche an Übungsstunden teil. Verglichen wurden ihre Ergebnisse mit Probanden, die keinen Sport trieben. Zu Beginn der Studie, nach sechs Monaten und nach einem Jahr wurden die Teilnehmer gründlich untersucht.
Das Ergebnis: Die Probanden wurden nicht nur körperlich fitter. Auch in den Konzentrationstests schnitten sie besser ab – und ihre Lebensqualität nahm zu. Entscheidend für die Verbesserung in allen Bereichen ist die Trainingshäufigkeit. Nur wer mindestens zweimal wöchentlich an den Sportangeboten teilgenommen hatte, zeigte eine Verbesserung. Welche Sportart die Probanden dabei ausübten, war Nebensache. Diejenigen, die nur einmal wöchentlich teilgenommen hatten, zeigten zumindest keine weitere Verschlechterung. Wer inaktiv blieb, bei dem schritt auch die Demenz fort.
Wie Muskelarbeit auf das Gehirn wirkt
Bei körperlicher Belastung wird das Hirn besser durchblutet und mit Sauerstoff versorgt. Aber das ist längst nicht alles, was im Körper passiert, wenn unsere Muskeln arbeiten. Die Forscher um Dr. Philipp Zimmer von der Sporthochschule Köln haben ganz besondere Moleküle im Visier. Es geht um Botenstoffe und Wachstumsfaktoren, die der Muskel ausschüttet. Diese Stoffe nennt man auch Myokine. Einige von ihnen wirken eher indirekt auf das Gehirn, andere ganz direkt.
So sorgen einige Myokine dafür, dass weniger Entzündungsstoffe im Körper anfallen. Das führt nicht nur zu einer geringeren Infektanfälligkeit von Sportlern, sondern verringert auch das Risiko, an entzündlichen Hirnerkrankungen wie zum Beispiel multipler Sklerose zu erkranken. Andere Myokine unterstützen eine Gefäßneubildung, die dann zu einer verbesserten Sauerstoffversorgung des Gehirns führt.
Besonders interessant ist das so genannte BDNF. BDNF steht für brain-derived neurotrophic factor. Wenn Muskeln arbeiten, steigt im Gehirn der BDNF-Spiegel. BDNF sorgt nicht nur dafür, dass die Nervenzellen ihren Stoffwechsel optimieren und leistungsfähiger werden. Im Mäuseversuch führt es auch zu einer Neubildung von Nervenzellen. Das hat man über Hirnbiopsien zeigen können. Beim Menschen macht man solche Hirnbiopsien natürlich nicht.
Dennoch ist auch beim Menschen belegt, dass BDNF einen Effekt auf das Hirnvolumen im so genannten Hippocampus hat – das Areal wächst. Diese Hirnregion ist besonders für Kurz- und Langzeitgedächtnis zuständig. Studien zeigen, dass eine große Hippocampusregion beim Menschen mit einer verbesserten Merkfähigkeit einhergeht. Eine Schrumpfung des Areals führt zu Gedächtnisverlusten.
Wie halte ich mich Gehirn sonst noch auf Trab?
Noch ist nicht abschließend geklärt, wie genau Sport die Hirnleistung beeinflusst. Denn letztlich wirkt sich nicht nur Sport positiv auf die Merkfähigkeit aus. Auch der Lebensstil allgemein hat Einfluss: Der Verzicht aufs Rauchen, die Ernährung und das so genannte "enriched environment", also das zusätzliche Angebot von Reizen durch die Interaktion mit anderen Menschen und das Verlassen der eigenen vier Wände, wirken positiv auf das Gehirn. Und diese Faktoren spielen alle ineinander: Wer Sport treibt, verlässt sein Haus, geht unter Menschen, ernährt sich vielleicht auch gesünder und raucht womöglich weniger. Umgekehrt ernährt sich jemand, der mit dem Rauchen aufhört, anders. Wer sich anders ernährt, treibt vielleicht auch mehr Sport. Daher kann man nicht klar sagen, welchen Einfluss welcher Einzelfaktor genau hat. Klar ist nur: Wer auch im Alter aktiv ist, hält sein Gehirn auf Trab.
Autor: Katrin Krieft (WDR)
Stand: 22.11.2019 13:08 Uhr