Sa., 17.10.20 | 16:00 Uhr
Das Erste
Asbest, DDT und Co. – Früher Wundermittel, heute Gesundheitsgefahr
Die Geschichte der Menschheit ist voll von scheinbaren Innovationen, die sich im Nachhinein als schlechte Idee erwiesen. Wir stellen einige vor:
Asbest – Wunderfaser der Bauindustrie
Zwei Eigenschaften haben Asbest zu seinem weltweiten Siegeszug verholfen: Es ist unbrennbar und außerordentlich vielseitig. Schon die alten Griechen wussten das. Sie gewannen das faserige Material in Minen und verspannen die elastische Fasern wie Wolle, um daraus feuerfeste Kleidungsstücke zu machen. Leisten konnten sich das damals nur wenige Reiche.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts zog Asbest fast überall auf der Welt in die Häuser ein. Die Bauindustrie entdeckte unzählige Anwendungsmöglichkeiten: Häuserwände wurden aus dem Beton-Asbest-Gemisch Eternit errichtet, Fußböden aus Verbindungen zwischen Asbest und Kunststoffen (zum Beispiel Vinyl) hergestellt. Der Alleskönner Asbest steckte in unbrennbaren Dachpappen, Fassadenverkleidungen, Dämmmaterial, Farben und Fensterdichtungen.
Berichte über mögliche Gesundheitsschäden gab es früh, aber erst in den 1970er-Jahren ließen sich Hinweise darauf, dass schon das Einatmen geringer Fasermengen zu Lungenkrebs führen kann, nicht mehr ignorieren. Die Fasern setzen sich in der Lunge fest und verursachen dort eine ständige Reizung des Gewebes, durch die sich schließlich Tumore bilden können. Nach 1990 wurde der Einsatz von Asbest in vielen Ländern der Welt verboten. Mehr als die Hälfte der Todesfälle aufgrund von Berufskrankheiten gehen in Deutschland auch heute noch auf Asbest zurück, 2018 waren es laut Statistik der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung bundesweit etwa 1600.
DDT – Große Hoffnung gegen Seuchen
Für die Entdeckung, wie effektiv DDT (Dichlordiphenyltrichlorethan) Insekten vernichtet, gab es 1948 sogar den Nobelpreis. Der Kampf der Menschheit gegen die großen Geißeln Typhus, Pest und Malaria sei damit entschieden, hieß es damals. Ganze Landstriche wurden vom Flugzeug aus mit DDT besprüht, um Mückenlarven zu vernichten, Menschen und Wohnungen einbalsamiert, um Läuse und Flöhe loszuwerden. Zweifel an der Sicherheit des Wundermittels zu äußern, galt als rückständig und abergläubisch. Gegen die bald auftretenden Resistenzen bei den Insekten arbeiteten Chemiekonzerne an, indem sie die DDT-Dosen in ihren Mitteln erhöhten. Weltweit wurde DDT tonnenweise in der Landwirtschaft und in Privathaushalten eingesetzt – mit Erfolg, wie es schien, denn mit DDT gelang es zum Beispiel in Italien, die Anophelesmücke und damit die Malaria auszurotten.
Doch bald zeigte sich, dass DDT neben den Krankheitsüberträgern auch andere, erwünschte Insekten vernichtet und auf den Hormonhaushalt größerer Tiere wirkt: In den 1950er-Jahren starben einige Vogelarten wie der Wanderfalke in mehreren Ländern aus. Offenbar bewirkt DDT, dass sie unfruchtbar werden oder Eier mit brüchigen Schalen legen. Das Image der Wunderwaffe DDT bekam Risse. In den USA ließ Präsident Kennedy die Sicherheit überprüfen.
Als erstes europäisches Land verbot Schweden 1969 den Einsatz von DDT, die BRD folgte 1972. In der DDR wurde noch bis 1989 das DDT-haltige Holzschutzmittel Hylotox verwendet. Eine Spätfolge des großflächigen Einsatzes von DDT, das sich in der Nahrungskette anreichert: Auch heute noch können Spuren von DDT beim Menschen in der Muttermilch nachweisbar sein – allerdings viel seltener als noch in den 1990er-Jahren.
FCKW – Tolle Haare, kühle Speisen und das Ende der Welt
Fluorchlorkohlenwasserstoffe wurden seit den 1930er-Jahren in großen Mengen eingesetzt: als Treibgas in Spraydosen, Kühlmittel in Kühlschränken und als Reinigungs- und Lösungsmittel. Mitte der 1970er-Jahre warnten erste Forscher, das freigesetzte FCKW könne Löcher in die Ozonschicht fressen, die das Leben auf der Erde vor den UV-Strahlen der Sonne schützt, aber sie wurden nicht ernst genommen. Erst die Entdeckung des mehrere Millionen Quadratkilometer großen Ozonlochs über der Antarktis brachte 1985 die Wende.
Im Montrealer Protokoll vom 16. September 1987 verpflichteten sich die Mitglieder der Vereinten Nationen zur drastischen Reduktion der Herstellung von FCKW. Obwohl der Einsatz kurz darauf verboten wurde, wuchs das Ozonloch weiter, da die bereits freigesetzten FCKWs noch nachwirken. Erst seit einigen Jahren schließt sich das Ozonloch. Wissenschaftler der NASA schätzen, dass es noch etwa 50 Jahre dauern wird, bis das Loch auf eine Größe wie zu Beginn der 1980er-Jahre zurückgeschrumpft ist.
PCB, PCP, PFOA - Das dreckige Dutzend und seine Nachfolger
Es ist so eine Sache mit den Wundermitteln: Manches, was das Leben kurzzeitig erleichtert, macht es dann auf lange Sicht schwieriger. Besonders hartnäckig halten sich in der Umwelt die sogenannten POPs, persistente organische Schadstoffe. Sie werden nicht abgebaut, sondern reichern sich in Böden und Gewässern an und gelangen mit Wind und Wasser bis in die entlegensten Ecken der Welt – und in die Nahrungskette. Zwölf besonders langlebige Giftstoffe wurden am 22. Mai 2001 durch das Stockholmer Übereinkommen weltweit verboten. Sie werden das Dreckige Dutzend genannt und umfassen vor allem Pflanzenschutzmittel und Industriechemikalien.
Obwohl verboten, gelangen PCB, das in der Industrie als Schmierfett und Getriebeöl sowie in Fugenmasse und Beschichtungen verwendet wurde, und Dioxine auch heute noch in unser Essen, zum Beispiel wenn belastete Gewässer bei einem Hochwasser Weideland überschwemmen. Das Bundesministerium für Umwelt gibt an, dass 70 Prozent der aus Lebensmitteln aufgenommenen Dioxine und PCB über die tierischen Lebensmittel wie Eier, Milch und Fleisch kommen.
Alle zwei Jahre wird das Stockholmer Übereinkommen inzwischen erweitert und über die Aufnahme neuer Stoffe auf der Verbotsliste entschieden. Inzwischen sind es 30 ehemalige Helfer aus Industrie und Landwirtschaft, deren Einsatz dadurch eingeschränkt oder verboten ist. Sicher werden es nicht die letzten vermeintlichen Wundermittel sein, die sich im Nachhinein betrachtet nicht als gute Idee erweisen.
Autorin: Christine Seidemann (NDR)
Stand: 17.10.2020 14:00 Uhr