Sa., 05.06.21 | 16:00 Uhr
Das Erste
Uhrenmanufaktur: Wie tickt die Zukunft?
In den 1970er-Jahren waren mechanische Uhren out, industriell hergestellte Quarz-Uhren waren der Hit. Doch inzwischen erfährt das Uhrmacherhandwerk eine Renaissance, dank der Verschmelzung von Tradition und Hightech. Um mechanische Uhren wieder attraktiv zu machen, haben sich die Uhrenmanufakturen einiges einfallen lassen: Zum Beispiel Glasböden, die den Blick ins Innere einer Uhr freigeben und ihre faszinierende Mechanik zeigen. Heute werden hochwertige mechanische Uhren als kleine Meisterwerke gewürdigt und verzeichnen steigende Verkaufszahlen. Manufakturen setzen dafür modernste Technik ein. Denn das Uhrenhandwerk tickt heute ganz anders als in früheren Zeiten.
Jubiläum: 175 Jahre Uhrmacherkunst in Glashütte
In kaum einer Stadt in Deutschland spielt Zeit eine so große Rolle wie in Glashütte. In dem kleinen Städtchen im Osterzgebirge arbeitet fast jeder dritte Einwohner in einer der neun Uhrenmanufakturen. Als erster Uhrmacher ließ sich Ferdinand Adolph Lange 1845 in Glashütte nieder. Ihm folgten rasch Julius Assmann, Moritz Kossmann und Adolf Schneider. Das war der Beginn einer florierenden Feinmechanik-Industrie. 1878 entstand die bekannte Uhrmacherschule der Stadt, die heute ein Museum beherbergt. Glashütte-Uhren erlangten weltweite Bekanntheit. Die Uhrenmanufakturen erlebten aber auch einige Krisen: Den Ersten Weltkrieg, die Inflation, die Weltwirtschaftskrise, und nach dem Zweiten Weltkrieg die Enteignung der Produktionsstätten. Die Uhrenfertigung wurde 1951 in einem Gesamtbetrieb unter dem Namen VEB Glashütter Uhrenbetriebe (GUB) zusammengefasst. Die einzelnen Glashütter-Uhrenmarken verschwanden vom Markt.
Nach der Wende blüht das Uhrmacherhandwerk wieder auf. Traditionsreiche Firmen siedeln sich erneut an. Heute gibt es neun Manufakturen in der Stadt:
- Lange & Söhne
- Glashütte Original
- Union Glashütte
- NOMOS Glashütte
- Tutima
- Wempe
- Mühle-Glashütte
- Moritz Grossman
- Bruno Söhnle
Handwerkskunst trifft auf moderne Technik
Mirko Heyne kennt Glashütte schon sein ganzes Leben. Schon als Kind schaute er seinem Großvater, einem Uhrmacher, mit Faszination über die Schulter. Nach der Wende machte er selbst die Ausbildung zum Uhrmacher. Heute leitet Mirko Heyne die Abteilung "Forschung und Entwicklung" bei der NOMOS Glashütte. Er nutzt das alte Fachwissen in Glashütte und kombiniert es mit modernster Technik. So entwickelte der Uhrmacher 2014 gemeinsam mit seinem Team ein hauseigenes Swing System. Das Swing System, auch Hemmung oder Assortiment genannt, ist das Herzstück des Uhrwerks: Es besteht aus vier Teilen:
- Unruhreif
- Unruhspirale
- Ankerrad
- Anker
Diese vier Teile sorgen dafür, dass die Energie, die wir einer Armbanduhr mit dem Aufziehen der Zugfeder zuführen, portioniert wird. So lässt sich der genaue Gang einer Uhr regulieren. Zu hören ist diese Regulierung als Tick-Geräusch.
Wie eine Uhr entsteht
Die Planung einer Uhr ist eine komplizierte Angelegenheit. Was auf dem Papier funktioniert, muss noch lange nicht in der Praxis funktionieren. Kräfte, Toleranzen und Verzahnungen müssen berechnet und Platinen, Brücken und Kloben gezeichnet werden. Parallel dazu entwickeln Designer*innen das Gesicht der Uhr. Nach vielen Absprachen werden dann aus Messing und Stahl die ersten Teile geschliffen und gestanzt. Passt alles, kann es in Serie gehen. Werkzeugmacher*innen schneiden die Drehteile für die künftigen Uhrwerke. Stahlfedern werden gefräst, gebohrt und erodiert. Erst dann kommt der Schliff, den man durch den Glasboden der Uhr später einsehen kann.
Typisch für Glashütter Uhrwerkskunst sind Perlschliff genauso wie Streifen- und Sonnenschliffe. Steine, Stifte und Pfeiler bilden das Gerüst des Uhrwerks. Bis eine Uhr das erste Mal tickt, dauert es Monate. Jetzt muss sie noch auf den exakten Gang getrimmt werden. Das ist der Job des Swing Sytems. Die Trimmung kann eine ganze Woche dauern. Dann bekommt die Uhr noch Zeiger und Ziffernblatt. Als letzter Schritt wird das Gehäuse montiert: Bei der sogenannten Hochzeit wird das Uhrwerk in das Gehäuse gesetzt.
Uhrmacher: Beruf mit Zukunft
In einer modernen Manufaktur als Uhrmacher*in zu arbeiten, ist dank Hightech alles andere als angestaubt. Und der Beruf eröffnet viele Möglichkeiten, sich weiterzuentwickeln – zum Bespiel zum Restaurator alter Uhren, zum Goldschmied*in oder auch in Richtung Feinwerktechnik. Diese Eigenschaften sind dafür nötig:
- Geduld
- Feinmotorik
- Freude am Tüfteln
- ein ruhiges Händchen
Die dreijährige Ausbildung erfolgt entweder in einer Uhrenmanufaktur oder an einer Uhrmacherschule. Allerdings verdient dort der Auszubildende noch nichts. In Betrieben liegt das Lehrgeld je nach Lehrjahr bei bis zu 1.000 Euro. Zurzeit gibt es übrigens in Deutschland noch freie Ausbildungsplätze.
Autor: Timothy Wiehn (WDR)
Stand: 04.06.2021 11:14 Uhr