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Rheine handelt – eine Stadt lebt den Klimaschutz

Man müsste mal, man könnte doch, man sollte eigentlich… An ambitionierten Ideen zum klimafreundlicheren Verhalten mangelt es in der Regel nicht, doch bei der Umsetzung türmen sich plötzlich scheinbar unüberwindbare Hindernisse auf: Finanzierungsfragen, endlos scheinende Genehmigungsprozesse, Widerstände durch Behörden oder Interessensgruppen. Und so manche mit viel Verve gestartete Idee verendet dann schon im Planungsstadium. Wie man es besser machen kann, zeigt eine Mittelstadt aus dem nordrheinwestfälischen Münsterland.

Klimaschutz: Rheine hat einen Plan…

Ein Mann schaut in die Kamera
Guido Wermers ist einer von zwei hauptamtlichen Klimaschutzbeauftragten in Rheine. | Bild: NDR

Mit gut 76.000 Einwohnern ist Rheine die zweitgrößte Stadt des Münsterlandes. Schon Ende der 2000er-Jahre wurden die ersten Klimaschutzprojekte angestoßen, 2012 war die Stadt eine der ersten 19, die vom Bundesumweltministerium im Rahmen des "Masterplan 100% Klimaschutz" bei der Planung und Umsetzung von Maßnahmen gefördert wurden. Voraussetzung dafür war die Festlegung auf ein ambitioniertes Ziel: Rheine – und die anderen Masterplan-Kommunen – haben sich verpflichtet, bis 2050 ihre Treibhausgas-Emissionen um 95 Prozent (gegenüber 1990) und den Endenergie-Verbrauch um 50 Prozent zu senken.

Den Weg zu diesem Fernziel steuern und begleiten zwei hauptamtliche Klimaschutzbeauftragte – Umweltingenieure, die sich sowohl in der Materie auskennen als auch im Wirrwarr der Fördertöpfe und Genehmigungsverfahren. Doch die Art und Weise, wie Rheine sich dem gesetzten Klimaziel nähert, ist sehr viel kleinteiliger und flexibler als der Name "Masterplan" vermuten lässt. Eine Vielzahl an Einzelmaßnahmen und Ideen wurde und wird ausprobiert und evaluiert.

Leuchtmitteltausch: Kleinvieh macht auch Mist

Wer seine Bürger zu mehr Klimaschutz animieren möchte, muss mit gutem Beispiel vorangehen. Eine schnell und einfach umzusetzende Maßnahme war der Austausch aller Leuchtmittel in den kommunalen Gebäuden. Raus mit den alten Neonröhren, rein mit stromsparenden LEDs. Diese haben nicht nur Präsenzmelder, die das Licht automatisch deaktivieren, wenn sich niemand mehr im Raum aufhält, sie regeln auch automatisch nach, wenn sich die Lichtverhältnisse draußen verändern, sodass in den Räumen immer die gleiche Helligkeit herrscht. Allein im Rathaus werden so jährlich etwa 31.500 kWh Strom eingespart, so viel wie zehn durchschnittliche Vier-Personen-Haushalte im Jahr verbrauchen. Darüber hinaus wurde der Strombezug auf 100 Prozent Ökostrom umgestellt.

Pfiffige Finanzierungsideen

Ökostrom und die Investitionen in moderne Beleuchtung LEDs sind erst mal mit Mehrkosten verbunden. Wie lassen die sich refinanzieren? Eine Idee war, an der Stadtbeleuchtung zu sparen. Wochentags zwischen 1:00 Uhr und 3:30 Uhr, wenn ohnehin kaum jemand unterwegs ist, werden die meisten Straßenlaternen ausgeschaltet. Jährliche Ersparnis: rund 85.000 Euro plus eine nicht unerhebliche Energieeinsparung.

Konkrete Einnahmen erzielt man mit einer weiteren Idee: Die Dachflächen verschiedener kommunaler Gebäude wurden an die Stadtwerke verpachtet, die dort Photovoltaikanlagen zur Stromerzeugung aufstellen. "Mit den Einnahmen", so Rheines Klimaschutzbeauftragter Guido Wermers, "finanzieren wir auch soziale Projekte, Klimaschutzveranstaltungen und Umweltprojekte".

Win-Win durch Spar-Spar

Schuldach mit Solarpaneelen
Photovoltaikanlagen finanzieren Teile der Klimaschutzmaßnahmen | Bild: NDR

Viele der verpachteten Dachflächen gehören den Schulen in Rheine. Auch die sind in die Klimaschutzbemühungen der Stadt eingebunden. Nicht nur durch Unterrichtseinheiten und Projektgruppen zum Thema, sondern auch durch eine ganz konkrete Vereinbarung: Die Schulen bemühen sich, durch umsichtiges Verhalten möglichst viel Energie (vor allem Heizung und Strom) einzusparen; im Gegenzug darf jede Schule die Hälfte der eingesparten Summe behalten und nach eigenem Gutdünken verwenden. Ein Modell, das auch aus anderen Städten unter dem Schlagwort "fifty-fifty" bekannt ist.

"Allein am Kopernikus-Gymnasium, das von Anfang an dabei war", erläutert Wermers, "haben wir in den vergangenen zehn Jahren so eine halbe Million Kilowattstunden eingespart." "Und wir als Schule haben von unserem Anteil an den eingesparten Kosten Sonderprojekte finanziert für die Schüler und Schülerinnen, die sich als 'Umweltagenten' besonders für den Klimaschutz einsetzen. Ausflüge, Besichtigungen… Aktionen, die wir uns sonst nicht leisten könnten“, ergänzt Angela Bendfeld, Lehrerin am Kopernikus-Gymnasium.

Wärme aus Abwasser

Frontansicht eine Gebäudes.
Dieses Gebäude wird zu 80 Prozent mit Abwasserwärme beheizt. | Bild: NDR

Wenige Meter hinter dem Bahnhof entsteht das "Innovationsquartier". Auch hier bringen die Klimaexperten von Stadt, Stadtwerken und Technischen Betrieben Rheine ihr Know-how ein. "Wir stehen auf einem Abwassersammler“, erklärt Wermers, "auf einem der größten in Rheine. Und da kam halt die Idee auf, die Energie, die wir hier im Abwasser haben, auch für Gebäude zu nutzen. Ein erstes fertig gestelltes Bürogebäude wird bereits zu rund 80 Prozent aus dieser Wärme gespeist – im Winter wird damit geheizt, im Sommergekühlt. Die restlichen 20 Prozent werden durch Erdwärmesonden gespeist, sodass wir 100 Prozent regenerativ sind."

Bauherren als Klimaschützer

Auch bei Wohn-Neubauten ist Klimaverträglichkeit ein wichtiges Thema. Rheine ist aktuell eine wachsende Stadt. Auf dem ehemaligen Kasernengelände Eschendorfer Aue entstehen aktuell 720 Wohneinheiten. Doch wer hier bauen will, muss verschärfte Auflagen erfüllen. Wermers erklärt: "Die Bauherren hier in der Eschendorfe Aue müssen den sogenannten KfW-Effizienzhaus-55-Standard einhalten, das ist eine Stufe mehr als das, was vom Gesetzgeber gefordert wird."

Für Mehrfamilienhäuser besteht zusätzlich eine Anschlusspflicht an ein neu geschaffenes Nahwärmenetz, das über einer direkt im Baugebiet stehendes Mini-Blockkraftwerk gespeist wird. Doch diese Auflagen scheinen niemanden abzuschrecken. Sämtliche Bauplätze sind bereits verkauft, manche Bauherren halten sogar freiwillig den KfW40- oder KfW40plus-Effizienzhausstandard ein. Ein weiteres Neubaugebiet ist in Planung, möglicherweise mit noch strengeren Vorgaben.
Hausbesitzern, die sich für die Nutzung einer Photovoltaikanlage interessieren, bietet die Stadt außerdem ein Online-Solarpotenzialkataster, auf dem für jedes Gebäude der Stadt eingesehen werden kann, ob sich der Betrieb lohnen würde.

Rheine: Auf einem guten Weg

Bagger vor Neubauten
Verschärfte Klimaschutzauflagen gelten für Wohn-Neubauten. | Bild: NDR

Bis 2050 sind es noch gut 30 Jahre. Wie weit ist Rheine auf dem Weg zum selbstgewählten Klimaziel? Um einen groben Anhaltspunkt dafür zu haben, hat die Stadt Zwischenetappen definiert. "Beim Endenergieverbrauch wollten wir bis 2020 eine Reduktion von 25 Prozent erreichen“, sagt Peter Lüttman, parteiloser Bürgermeister der Stadt, "und diese 25 Prozent haben wir auch tatsächlich geschafft. Beim Thema Treibhausgasreduzierung wollten wir eigentlich 47 Prozent erreichen. Die Marke haben wir leicht gerissen, also da sind wir drunter geblieben." Trotzdem ist man optimistisch, dass das angestrebte Endziel erreicht werden kann – auch wenn man sich in Rheine nicht sicher ist, in wie weit die Corona-Krise zu kleineren Rückschlägen führen kann.

Autor: Thomas Wagner (NDR)

Stand: 16.11.2020 20:03 Uhr

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