Sa., 19.02.22 | 16:00 Uhr
Das Erste
Wunderwerk Knochen
Das Skelett eines Erwachsenen setzt sich aus über 200 Knochen zusammen. Allein ein Viertel davon steckt übrigens in den Händen, die wir deshalb so filigran bewegen können. In ihrer Gesamtheit sind die Knochen eine faszinierende Komposition aus Stabilität und Flexibilität.
Stark und flexibel zugleich
Das beweisen auch die Sportlerinnen Sabine Kusterer und Leah Grießer. Bei ihrer jeweiligen Sportart setzen sie auf ganz unterschiedliche Eigenschaften der Knochen. Diese halten den vielseitigen Belastungen im Zusammenspiel mit Sehnen und Muskeln stand.
Sabine Kusterer ist Gewichtheberin. Sie trainiert gerade für die diesjährigen Olympischen Spiele in Tokio. 2016 hatte sie bereits an den Spielen in Rio de Janeiro teilgenommen. Mit ihrem Wettkampfgewicht von 64 Kilo stößt sie fast 120 Kilo. Das heißt, sie hebt das Gewicht vom Boden auf ihre Schultern und von dort über den Kopf: Beinah das Doppelte ihres Körpergewichts. Der Druck lastet dabei auf ihrem Körper, doch ihre Knochen stabilisieren sie und geben ihr Halt.
Leah Grießer ist Turnerin und zweimalige Deutsche Meisterin am Boden. Sie fordert die Beweglichkeit ihres Körpers so richtig heraus. Die verdankt sie den rund 140 Gelenken und der Wirbelsäule. Die ist zwar das tragende Element des Skeletts, gleichzeitig aber auch extrem flexibel. Das liegt daran, dass sie aufgebaut ist wie eine Perlenkette aus 24 beweglichen Wirbeln und elastischen Bandscheiben dazwischen. So kann Leah ihre Wirbelsäule bei ihren Übungen in alle Richtungen scheinbar einfach abknicken wie ein vielgliedriges Rückengelenk.
Knochen trainieren wie einen Muskel
Jede Belastung, sei sie auch noch so kurz, trainiert unsere Knochen. Sie werden härter und damit stabiler. Was läuft dabei im Inneren des Gewebes ab? Eigentlich sind die Knochen eine Art Dauerbaustelle und die Baumeister sind die Knochenzellen, darunter die Osteoblasten und Osteoklasten. Jedes Mal, wenn die Muskeln arbeiten oder die Sehnen ziehen, wird ein Signal an diese Zellen gesendet. Sie werden daraufhin aktiv und arbeiten an zwei verschiedenen Schichten: Die Substantia spongiosa und die Substantia compacta.
Die Substantia spongiosa kleidet das Innere des Knochens aus. Ihre Struktur ist schwammartig und besteht aus unzähligen winzigen Knochenbälkchen mit Hohlräumen dazwischen. Natürlich ist sie aber viel härter als ein Schwamm. Wird der Knochen belastet, bauen die Osteoblasten neue Bälkchen auf und verstärken damit den Knochen. Bereiche, die zu wenig belastet werden, werden von den Osteoklasten dagegen abgebaut. Hier entstehen die Hohlräume. Dieses Prinzip nennt man Leichtbauweise. Es spart Material sowie Gewicht und damit auch Energie. Schließlich tragen wir unsere Knochen ununterbrochen mit uns herum. Insgesamt macht unser Skelett nur etwa zehn Prozent des Körpergewichts aus. Die Ausrede, man habe nur schwere Knochen, gilt also nicht. Von dieser Leichtbauweise in der Substantia spongiosa lassen sich sogar immer noch Ingenieure inspirieren, zum Beispiel beim Bau des Eiffelturms.
Die äußere Schicht des Knochens, direkt unter der Knochenhaut, ist die Substantia compacta. Auch sie wird von den aufbauenden Osteoblasten und abbauenden Osteoklasten ständig umgebaut. Im Gegensatz zur Substantia spongiosa ist sie aber eine dicht gepackte, knallharte Knochenschicht, die durch Training etwas dicker werden kann.
Knochen schützen die inneren Organe
Die Knochenzellen optimieren die Knochenstatik pausenlos. Sie tauschen so etwa alle zehn Jahre die gesamte Knochensubstanz aus. Ihre Zusammenarbeit beruht auf einem empfindlichen Gleichgewicht zwischen den aufbauenden Osteoblasten und den abbauenden Osteoklasten. Aufgrund hormoneller Veränderungen und meist weniger Bewegung im Alter verschiebt sich die Balance in etwa ab dem 50. Lebensjahr in Richtung der Osteoklasten, also Richtung Knochenabbau. Mit einer gesunden Ernährung und ausreichend Bewegung kann das zwar nicht aufgehalten aber auf jeden Fall positiv beeinflusst werden.
Denn gesunde Knochen sind bis ins hohe Alter sehr wichtig. Sind sie stabil gebaut, ist das Risiko für Knochenbrüche geringer. So können die Knochen ihre Schutzfunktion verlässlich übernehmen. Sie schützen nämlich die inneren Organe. Der Schädelknochen zum Beispiel umgibt das Gehirn und das Felsenbein. Und er bietet zusätzlichen Schutz für das Innenohr mit dem Gleichgewichtsorgan. Dieses Felsenbein ist übrigens der härteste Knochen des Skeletts. Es bricht erst bei heftigen Gewalteinwirkungen wie einem Sturz aus extremer Höhe oder einem Autounfall. Die Rippen bilden einen Käfig um Organe wie Herz und Lunge und die Wirbelkörper umschließen das empfindliche Rückenmark.
Verborgenen Kräfte: Blutbildung und Kalziumspeicher im Knochenmark
Knochen übernehmen nicht nur mechanische Funktionen. In ihrem Inneren laufen überlebenswichtige Prozesse ab: Das hier gelagerte Kalzium ist unter anderem notwendig für einen gesunden Herzrhythmus sowie die Muskelfunktionen. Und es dient als Grundsubstanz für unsere Zähne. Tatsächlich befindet sich hier fast der gesamte Kalziumvorrat des Körpers. Das heißt auch: Bei einem Mangel wird das Kalzium aus den Knochen herausgelöst, wodurch sie instabiler und poröser werden.
Außerdem sind unsere Knochen mit Mark gefüllt, der einzige Ort der Blutbildung. Nur hier entstehen aus Stammzellen Blutzellen wie Erythrozyten, Leukozyten und Thrombozyten. Zu Beginn des Lebens produziert der Körper massenhaft neue Zellen und transportiert sie über die Blutbahnen an ihren Einsatzort. Ist die Grundausstattung an Blutzellen erst einmal gedeckt, muss der Körper das Level eigentlich nur noch halten. Dann werden die Stammzellen im Knochenmark teilweise in Fettzellen umgewandelt und gespeichert. Das ist aber reversibel: Zum Beispiel, wenn es wegen einer schweren Verletzung zu einer Unterversorgung mit Blut kommt, dann werden aus den Fettzellen wieder Stammzellen und daraus frische Blutzellen. Das alles geschieht im Inneren unserer Knochen, ohne dass wir es bemerken.
Die starken Knochen des Australopithecus
Vor über 400 Millionen Jahren begannen knorpelige Strukturen in den Körpern der Urzeittiere zu verknöchern. Doch das Skelett des aufrechten Ganges entwickelte sich vor gerade einmal 300.000 Jahren mit der Entstehung der Gattung Homo.
Verglichen mit unseren Knochen waren die unserer Vorfahren wahrscheinlich viel robuster – gestärkt durch die ständige Bewegung und schwere körperliche Arbeit. Studien zufolge hatte die Art Australopithecus africanus vor drei Millionen Jahren die kräftigsten Knochen, teilweise mehr als doppelt so stark wie die des modernen Menschen. Was hat sich in den Knochen verändert und wie kam es dazu? Sesshaftigkeit und neue Technologien reduzierten die Bewegungsdauer der Menschen enorm. Die Knochen wurden weniger belastet und so nahm die Knochenhärte in den letzten 10.000 Jahren stark ab. Doch mit viel Bewegung und Sport können wir unseren Knochen etwas Gutes tun und sie stärken.
Autorin: Franziska Müschenich (WDR)
Stand: 16.02.2022 18:13 Uhr