Sa., 19.02.22 | 16:00 Uhr
Das Erste
Reparatursets für Knochenbrüche
Heute hat die Hightech-Medizin zahlreiche Methoden, um selbst komplizierteste Brüche zu behandeln. Doch bis weit ins 19. Jahrhundert hinein sah das ganz anders aus – und sehr gruselig. Denn Ärzten standen nur wenige Mittel zur Behandlung von Knochenbrüchen zur Verfügung: Mithilfe von Schlingen und Streckapparaten zogen sie Gliedmaßen auseinander und fügten die gebrochenen Knochen dann in der richtigen Position wieder zusammen. Anschließend stabilisierten sie den Bruch mit in Speisestärke getränkten Bandagen und Schienen. Den Gipsverband gab es noch nicht – den erfand erst 1852 der Niederländer Antonius Matthijsen. Und drei entscheidende medizinische Entdeckungen machten die moderne Behandlung von Brüchen schließlich möglich.
Grundsteine der modernen Knochenbruchbehandlung: Hygiene, Narkose und Röntgen
1865 führte der Arzt Joseph Listers zum ersten Mal eine Operation durch, bei der er die Wunde seines 11-Jährigen Patienten mit Karbolsäure desinfizierte – und wurde damit zum Vater der sogenannten antiseptischen Chirurgie. Mit Zerstäubern, Dampfsterilisatoren und vielen weiteren Maßnahmen wurden OP-Säle und Operationsbesteck von nun an immer häufiger von Keimen gereinigt. Das Infektionsrisiko sank auf diese Weise stark.
Ungefähr zur gleichen Zeit entstand auch die moderne Narkose- und Schmerztherapie: Patienten wurden mit Äther und wenig später mit Chloroform narkotisiert. Beide Methoden führten dazu, dass Ärzte nicht nur häufiger operierten, sondern sich auch längere und kompliziertere Eingriffe zutrauten.
Vielleicht am wichtigsten war jedoch die Entdeckung des Röntgens im Jahr 1895. Röntgenbilder erlauben bis heute genaue Diagnosen – und die Überprüfung, ob der chirurgische Eingriff auch wirklich geklappt hat.
Das moderne Reparaturset für Knochenbrüche
Von da an nimmt die Entwicklung neuer Therapien an Fahrt auf: Ärzte fangen an, mit externen Fixateuren zu experimentieren – das sind Außenschienen, die mit dem Knochen verschraubt werden. 1939 präsentiert der deutsche Chirurg Gerhard Küntscher dann die erste "Innenschiene" für große Knochen, die sogenannten Marknagel. Dieser wird in den Markkanal von Röhrenknochen geschlagen und stabilisiert den Bruch so von Innen. Stabilisiert durch Schrauben und Platten kann sich das Implantat nicht mehr verschieben und bleibt dauerhaft im Körper.
Marknagel, Fixateur, Schrauben, Platten – die meisten Implantate und Methoden, die Anfang 20. Jahrhunderts entwickelt wurden, setzen Chirurgen bis heute ein. Details haben sich verändert, aber die grundsätzlichen Therapien nicht. Selbst komplizierte Trümmer- und Genickbrüche lassen sich so wirksam behandeln.
Blick in die Zukunft: Bruchheilung durch Schaum
Aber es gibt auch Probleme: Immer wieder sorgen Implantate für chronische Entzündungen. Wissenschaftler suchen deshalb nach wie vor nach neuen Methoden. Zu ihnen gehört zum Beispiel der Materialforscher Andreas Lendlein vom Helmholtz Zentrum Teltow. Er will helfen, dass künftig schwere Trümmerbrüche, bei denen ganze Knochenstücke fehlen, besser und schneller wieder zusammenwachsen. Gelingen soll das mithilfe eines weißen Schaums, den der Chirurg direkt in den Bruch steckt. Der Schaum namens ArcGel besteht aus Gelatine und der Aminosäure Lysin. Er besitzt zahlreiche Poren. Eingesetzt in den Bruch wanden Stammzellen aus dem Markkanal des Knochens in diese Poren ein und fangen dort an, sich zu teilen und zu wachsen.
Versuche im Labor und mit Tieren konnten zeigen, dass Lendleins Schaum tatsächlich dafür sorgt, dass durch einen schweren Bruch verursachte Lücken, die sonst nicht mehr zuwachsen würden, sich nun wieder mit Knochengewebe füllten. Noch ist ArcGel aber nicht am Menschen getestet und zugelassen. Klinische Studien müssen in den nächsten Jahren zeigen, ob die neue Methode tatsächlich funktioniert.
Autor: Max Lebsanft (WDR)
Stand: 16.02.2022 18:13 Uhr