Sa., 29.01.22 | 16:00 Uhr
Das Erste
Kommunikationsproblem: Wie sagen wir es den Nachfahren?
Auch wenn wir im sogenannten Informationszeitalter leben, die "Lebens"erwartung unserer eigenen Informationen ist kürzer denn je. Ständige Neuerungen in Verarbeitungssoftware und Speichersystemen machen viele Daten schon nach wenigen Jahrzehnten unlesbar. Wer zur Jahrtausendwende seine Texte auf einer Diskette gespeichert hat, wird diese heute nur mit Mühe wieder lesbar machen können. Selbst wenn sich ein Diskettenlaufwerk auftreiben ließe: Die Daten sind womöglich durch falsche Lagerung der Disk korrupt, oder die aktuellen Textverarbeitungsprogramme können sie nicht mehr korrekt darstellen. Um das Wissen von heute sicher an eine weit voraus liegende Zukunft zu übermitteln, greifen Wissenschaftler und Archivare darum zu Speichermedien von gestern.
Das bestgesicherte Archiv Deutschlands
Im Hochschwarzwald, nahe Freiburg, liegt eines der bedeutendsten Langzeitarchive Europas, der Barbarastollen. In diesem ehemaligen Versorgungsstollen einer Silbermine befindet sich der Zentrale Bergungsort der Bundesrepublik Deutschland. Mehr als eine Milliarde Dokumente der deutschen Geschichte lagern hier: die Baupläne des Kölner Doms, die Ernennungsurkunde Adolf Hitlers zum Reichskanzler, die Urschrift des Grundgesetzes. Jedes wichtige noch erhaltene Dokument seit dem 7. Jahrhundert.
Allerdings handelt es sich nicht um die Urschriften, sondern um Kopien auf Mikrofilm. Sie sollen zukünftigen Historikern die Möglichkeit geben, sich ein ziemlich präzises Bild der Vergangenheit zu machen, selbst wenn die Originale längst zerfallen oder durch Katastrophen vernichtet sein sollten.
Die Auswahl der einzulagernden Dokumente treffen unter anderem die Landesarchive der Bundesländer. Spezielle Abteilungen in den Häusern organisieren das Ablichten und Speichern der wertvollen Originale auf Mikrofilm. Die Entscheidung für dieses veraltet anmutende Speichermaterial, ist eine praktische, wie Frieder Kuhn, der ehemalige Leiter der entsprechenden Abteilung beim Landesarchiv Baden-Württemberg erläutert: "Im Gegensatz zur elektronischen Speicherung von digitalen Bildern hat der Film den einmaligen Vorteil, dass er unbegrenzt haltbar ist. Die Bilder verändern sich nicht, und sie sind einfach wieder zu lesen, mithilfe einer Lichtquelle und einer Lupe."
"Unbegrenzt" ist womöglich etwas übertrieben, aber für mehrere Hundert Jahre, darin stimmen Experten überein, sind die im Miniformat gespeicherten Daten auf jeden Fall sicher verwahrt.
In Stein gebrannt – das Gedächtnis der Menschheit
Für ein noch langlebigeres Speichermedium hat sich der Österreicher Martin Kunze entschieden. Kunze ist der Initiator des Projektes "Memory of Mankind" (MoM) – Gedächtnis der Menschheit. Im Gegensatz zu den im Barbarastollen gesicherten Dokumenten konzentriert sich MoM auf das Aufbewahren von Alltagsliteratur: Romane, Kinderbücher, interessante Artikel, Dissertationen und auch Blogs. "Wir glauben, dass es ein wesentlicher Teil des menschlichen Gedächtnisses ist, wenn man Geschichten aus dem Alltag aufbewahrt", sagt Kunze.
Das Speichermaterial seiner Wahl sind Keramikkacheln. Damit ein ganzer Roman auf eine einzige Kachel passt, lässt er den Text in Mikroschrift mit einem Laser in die Kachel brennen. Anschließend wird das Ergebnis – wie beim Barbarastollen – in einer alten Mine witterungs- und katastrophensicher eingelagert.
"Erhalten" heißt nicht "verständlich"
Ein entscheidender Haken bei diesen Projekten ist allerdings die Frage, ob unsere Schriftsprache in einigen Hundert oder Tausend Jahren überhaupt noch verstanden wird. Die ägyptischen Hieroglyphen zum Beispiel waren noch im 1. Jahrhundert v. Chr. die gebräuchliche Schriftform für Dekrete des Pharao. Trotzdem sind moderne Sprachwissenschaftler und Ägyptologen lange an ihnen verzweifelt. Dass sie schließlich dennoch entschlüsselt werden konnten, verdanken wir in hohem Maße einem glücklichen Zufall: Ein napoleonischer Soldat stieß 1799 bei Rashid in Ägypten auf ein Bruchstück einer steinernen Stele, das den gleichen Text (ein Dekret aus der Ptolemäer-Zeit) in drei Schriften wiedergab: Hieroglyphen, demotischer Schrift und Griechisch. Dieser Stein von Rosette oder Rosetta-Stein war der Schlüssel für die Entzifferung anderer altägyptischer Texte.
Ein anderes Beispiel für eine unverständliche Schrift ist das Voynich-Manuskript. Ein mittelalterlicher Text, von dem trotz jahrzehntelanger Bemühungen nicht einmal sicher feststeht, in welcher Sprache er eigentlich verfasst ist. Dabei ist er gerade einmal 500 Jahre alt.
Yoyager-Sonden mit Botschaften an Bord
Die Menschheit hat übrigens vor rund 40 Jahren schon einmal bewusst versucht, mit unbekannten Empfängern in einer weit entfernten Zukunft zu kommunizieren. Im Jahr 1977 schickte die NASA die Sonden Voyager 1 und 2 ins All. Diese sollten zunächst das Sonnensystem erkunden und dann zu fremden Galaxien aufbrechen. An Bord jeder der beiden Sonden befindet sich eine goldene Disk mit Grußbotschaften, Geräuschen, Musikstücken und Bildern vom Leben auf der Erde.
Sollten Außerirdische eines Tages auf eine der Sonden treffen, dann ist der Inhalt der Disk nicht mehr als ein kurzes "Hallo, wir haben irgendwann dort draußen einmal gelebt". Denn bis die Sonden überhaupt auch nur in die Nähe eines anderen Sonnensystems gelangen, das Leben enthalten könnte, vergehen mehrere Zehntausend Jahre. Trotzdem machten sich die NASA-Forscherinnen und -Forscher Gedanken darüber, wie man diesen Außerirdischen die nötigen Schritte zum Abspielen der Platte mitteilen könnte.Man entschied sich für eine Kombination aus Symbolen und Mathematik/Physik. Neben der schematischen Darstellung, dass die Platte von außen nach innen gelesen werden muss, zeigen Striche in Binärcode die Zahl an, mit der man die Schwingfrequenz von Wasserstoff (das häufigste Element im Universum) multiplizieren muss, um auf die korrekte Abspielgeschwindigkeit (16,6666 Umdrehungen pro Minute) zu kommen.
Warnungen an die Zukunft
Die langfristigen Kommunikationsideen, die man bei der NASA entwickelte, könnten womöglich noch hilfreich sein: Denn wir müssen künftige Generationen, die unter Umständen weder unsere Sprache noch unsere Symbolik verstehen, dringend warnen! Zum Beispiel vor unterirdischen Deponien für langlebige, hochgiftige Stoffe oder Endlager für Atommüll.
Tatsächlich befassen sich Experten schon jetzt mit diesen Fragen. Detlev Möller, Historiker beim Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung, geht von unterschiedlichen Maßnahmen für unterschiedliche Zeitphasen aus. Für die ersten 500 Jahre sollen Daten und Informationen unter anderem auf extrem langlebigen Spezialpapieren festgehalten werden. Die Kenntnis über Standorte und Gefahrenpotenzial soll weit gestreut werden, und an wenigen, spezialisierten Orten zudem extrem detaillierte Unterlagen aufbewahrt werden. Sie sollen die künftigen Generationen nicht nur Art und Umfang der eingelagerten Abfälle aufschlüsseln, sondern auch den spezifischen Aufbau der Lagerstätte, die geologischen Gegebenheiten und alle weiteren wichtigen Daten, die für den sicheren Umgang mit den Altlasten nötig sind.
Für darüber hinaus gehende Zeiträume setzen die Fachleute auf nonverbale Warnsysteme. "Ich persönlich kann mir vorstellen, dass es dann eben in die Welt der Zeichen und Zeichnungen geht", sagt Möller, "weil ein Bild nun mal etwas mehr als tausend Worte sagt, und bestimmtes Grundverständnis in allen Kulturen vorhanden ist."
Erste Vorschläge, wie nonverbale Warnungen aussehen könnten, gab es schon in den 1980er-Jahren. Darunter zum Beispiel besonders bedrohlich und abschreckend wirkende Architektur, die auch das zufällige Betreten des Geländes erschweren soll. Oder nach Science Fiction klingende Ideen, wie das Züchten genmanipulierter Tierarten, deren Fell auf die Nähe zu Radioaktivität mit Farbwechseln reagieren soll.
Das erste Atomendlager soll 2050 fertig gestellt werden. Bis dahin kommen hoffentlich noch ein paar realistischere Ideen dazu.
Autor: Thomas Wagner (NDR)
Stand: 26.01.2022 11:47 Uhr