Sa., 07.08.21 | 16:00 Uhr
Das Erste
Bitte nicht wegwischen: Kosmischer Staub
Immer wieder wird die Erde von Meteoriten getroffen. Zum Glück sind die meisten so klein, dass sie keine großen Schäden anrichten. Der letzte spektakuläre Einschlag fand sogar vor laufenden Kameras statt, im Jahr 2013 in der Nähe der russischen Stadt Tscheljabinsk, im Ural.
Meteorite wie der von Tscheljabinsk sind für alle möglichen Forschungsgebiete von großem Wert, denn sie bestehen aus Material, das seit der Entstehung unseres Sonnensystems vor mehr als vier Milliarden Jahren relativ unverändert im All umhergeflogen ist. Mit millionenschweren Expeditionen holt sich die NASA solch kosmisches Material sogar direkt aus dem All. Zuletzt mit der Raumsonde Osiris Rex. Sie startete im Jahr 2016 zum erdnahen Asteroiden Bennu. Dort gelang es ihr, mit einer Art Pogo-Stick, eine Probe direkt von der Oberfläche des Asteroiden zu nehmen. 2023 soll die Raumsonde ihre wertvolle Fracht zur Erde zurückbringen.
Mission unnecessary – Außerirdisches Material frei Haus
Dabei rieseln Schätzungen zufolge täglich circa 100 Tonnen außerirdischen Staubes auf die Erde. Die allermeisten Teilchen sind weniger als einen halben Millimeter groß und von natürlichen oder menschgemachten Partikeln auf den ersten Blick kaum zu unterscheiden. Jahrzehntelang gingen Wissenschaftler daher davon aus, dass Mikrometeorite ausschließlich fernab jeder Zivilisation im ewigen Eis unbewohnter arktischer Regionen, in Wüsten oder eben im Weltraum aufzufinden seien. Dort liegt besonders wenig menschengemachter Staub, so sind die Partikel leichter zu entdecken und zu bergen. Solche Mikrometeorite sind allerdings oft schon sehr verwittert und damit nicht mehr so aussagekräftig wie gerade erst frisch angekommenes Material.
Aus den Tiefen des Sonnensystems
Und das fällt permanent auf die Erde. Allein auf Berlin gehen Schätzungen zufolge jede Woche 50 Kilo kosmischen Staubes nieder. Der größte Teil davon stammt aus dem Asteroidengürtel, einer Region zwischen Mars und Jupiter. Die ist voll von kleineren und größeren Asteroiden, die hin und wieder auch miteinander kollidieren. Dabei entstehen seit Milliarden Jahren riesige Staubwolken aus winzigen Partikeln und die rasen spiralförmig Richtung Sonne. Mit einer Geschwindigkeit von bis zu 56.000 Kilometern pro Stunde stürzen sie dabei auch auf die Erde zu. Genug Energie also, um Löcher in Satelliten und Raumanzüge zu schlagen. Zum Glück bremst die Erdatmosphäre die winzigen Geschosse ab. Treten die im richtigen Winkel und mit der richtigen Geschwindigkeit ein, dann verglühen sie dabei nicht, sondern schweben sanft auf unseren Planeten herab.
Bürgerwissenschaftler im Jagdfieber
2019 riefen das Museum für Naturkunde Berlin und die Freie Universität Berlin ein Citizen Science Projekt zur Erforschung von Mikrometeoriten ins Leben. Berliner Bürgerinnen und Bürger waren eingeladen, sich an der Suche nach den außerirdischen Partikeln zu beteiligen. Mit dabei waren Thilo Hasse und Dr. Ralf Milke. Die beiden sind seitdem weiter auf der Jagd nach Mikrometeoriten geblieben.
Fegen, Sieben, Waschen
Am leichtesten findet man die kosmischen Schätzchen auf großen Flachdächern, denn dort liegt nicht so viel anderes Material herum, wie auf Gehwegen oder Straßen. Mehrere Möbelhäuser in Berlin haben den Mikro-Meteoriten-Jägern die Lizenz zum Suchen erteilt. Zunächst fegen sie den gesamten Dreck auf dem Dach zusammen. Das können bis zu 100 Kilogramm sein, je nach Alter des Daches. Als nächstes heißt es dann: sieben. Die gesamte Ausbeute des jeweiligen Daches wird noch vor Ort durch geeichte Siebe nach Korngrößen sortiert. Alles, was eine Korngröße kleiner als 0,8 Millimeter kommt auf einen Haufen, der Rest wird verworfen. Die meisten Mikrometeorite sind 0,2 bis 0,3 Millimeter klein.
Im nächsten Schritt setzt das Team einen starken Magneten ein, denn viele Mikrometeorite enthalten Eisen. Für die Auslese breiten Hasse und Milke den Dach-Dreck aus und fahren mit dem Magneten in kreisenden Bewegungen durch das Material. Hat sich der Magnet vollgesetzt, dann wandert die Beute in eine vorbereitete Proben-Tüte. Deren Inhalt muss dann noch gewaschen und dekantiert werden. Dabei schwimmen leichte Materialien, wie zum Beispiel organische Stäube nach oben und können abgegossen werden. Am Ende dieses Prozesses bleiben von 100 Kilo Dachstaub im Schnitt 15 Gramm übrig.
Sisyphos-Arbeit im Mikro-Maßstab
Die meisten Partikel in diesen 15 Gramm sind allerdings immer noch nicht die außerirdischen Partikel, sondern Sande, die der Magnet mitgerissen hat und Industriestäube, die meist ebenfalls magnetisch sind. Die Mikrometeorite aus der Probe herauszulesen braucht viel Geduld und ein Mikroskop. Gramm für Gramm durchsuchen Thilo Hasse und Ralf Milke ihre Ausbeute vom Dach unter dem Lichtmikroskop, dass das Museum für Naturkunde zur Verfügung stellt. Mit einem kleine Holzstäbchen bewegt Thilo Hasse die Körner unter dem Mikroskop. Räumt Sand zur Seite, bringt andere Partikel in den Fokus. Der kosmische Staub ist eher unauffällig: matt, nicht zu rund und nicht zu eckig sind die Suchparameter am Mikroskop. Partikel, die diesen Parametern entsprechen, legen sie zur näheren Untersuchung beiseite.
Verräterische Kristalle
Ob es sich bei denen wirklich um das gesuchte außerirdische Material handelt, verrät erst ein Elektronenmikroskop. Auch das stellt das Museum zur Verfügung. Jetzt können die Hasse und Milke ihre Kandidaten ganz genau ansehen und analysieren. Die chemische Zusammensetzung gibt erste Hinweise: enthält der Partikel Magnesium, Silizium und Eisen, dazu ein bisschen Aluminium und Calcium oder auch Chrom und Mangan ist es sehr wahrscheinlich ein Mikrometeorit. Die Oberflächenstruktur liefert weitere Hinweise. Eine Struktur, mit der sich außerirdisches Material in dieser Korngröße zu hundert Prozent bestätigen lässt, ist zum Beispiel zu "Skelett-Kristallen" erstarrtes Olivin. Olivin ist ein Mineral, das auch im oberen Erdmantel vorkommt, Vulkane speien es immer mal wieder aus.
Doch die extrem feine Kristallstruktur, die das Olivin auf einem Mikrometeoriten ausbildet, kann nur auf eine ganz besondere Weise entstehen: den Flug durch die Erdatmosphäre und die dabei entstehende Reibungshitze. Dabei wird der Mikrometeorit sehr schnell sehr heiß, bis zu 2000 Grad Celsius. Dadurch schmilzt der Partikel auf, nur um kurz darauf sehr schnell wieder abzukühlen. Bei 1500 Grad kristallisiert das Olivin bereits wieder. Doch wegen der großen Temperaturschwankungen innerhalb kürzester Zeit kann das Material nicht in seinen klassischen, größeren Strukturen erhärten. Nur bei der Reise durch die Erdatmosphäre bildet Olivin die winzigen Skelett-Kristalle.
Autorin: Julia Schwenn (NDR)
Stand: 06.08.2021 19:33 Uhr