Sa., 07.08.21 | 16:00 Uhr
Das Erste
Staub: Klein, aber oho
Aufwischen, fortwedeln, wegsaugen – so sieht das Verhältnis der meisten Menschen zu Staub aus. Dabei fördert der genaue Blick auf die unscheinbare, graue Substanz einen erstaunlichen Mikrokosmos zu Tage, dessen "Bewohner" nicht nur der Schwerkraft trotzen, sondern auch Ozeane düngen, das Wetter beeinflussen und überraschend explosiv sein können.
Staub ist, was schwebt und klebt
Staub ist, was schwebt und klebt, so könnte eine – sehr vereinfachte – Definition lauten. Tatsächlich ist der Begriff Staub eine Sammelbezeichnung für kleinste feste Partikel verschiedener Größe und unterschiedlichen Ursprungs. Was beispielsweise an einem heißen Sommertag am Straßenrand vom Wind aufgewirbelt wird, ist eine wilde Mischung aus Sand, Meersalz, Asche, Ruß, winzigen Pflanzenfasern, Pollen, Bakterien und noch vielem mehr. Die Gemeinsamkeit all dieser Partikel: Sie sind nur ein Hauch von Nichts. Grobe Staubkörner sind etwa 0,1 Millimeter klein, das ist etwas mehr als die Dicke eines menschliches Haars. Feinstaub ist kleiner als 10 Mikrometer (µm), das ist weniger als ein hundertstel Millimeter. Und der sogenannte Ultrafeinstaub ist noch hundertmal kleiner und besteht nur aus einer Handvoll Moleküle.
In diesem Mikrokosmos gelten scheinbar ganz eigene Gesetze. Aufgrund seiner geringen Größe ist Staub den Naturkräften auf andere Weise ausgesetzt als Objekte in der makroskopischen Welt. Denn Staubpartikel haben eine große Oberfläche bei verhältnismäßig wenig Masse. Das führt dazu, dass die Schwerkraft auf sie weniger stark wirkt: Staub schwebt.
Im Gegenzug wirken Oberflächenkräfte umso stärker auf die winzigen Teilchen. Staubpartikel haften darum extrem gut. Beim Staubwischen ist das nervig, in anderen Bereichen ist diese Eigenschaft von Staub jedoch nützlich und sorgt zum Beispiel dafür, dass die Farb-Partikel eines Buntstifts am Papier kleben oder der Babypuder an der Haut.
Wo überall Staub aufgewirbelt wird
Neue Staubpartikel entstehen permanent und so gut wie überall - nicht nur im heimischen Wohnzimmer. In der Natur tragen etwa Bodenerosion, Vulkanausbrüche und die Aufwirbelung von Seesalz über den Ozeanen dazu bei. Aber auch Pflanzen sind eine wichtige Staubquelle. Sie setzen nicht nur Pollen frei, die mit dem Wind an die hundert Kilometer weit fliegen können, sondern produzieren auch Spurengase. Diese Spurengase können in der Atmosphäre durch chemische Reaktionen ebenfalls zu Staubpartikeln werden.
Auch der Mensch wirbelt Staub auf, vor allem durch Verbrennungsprozesse, etwa in der Industrie, im Autoverkehr oder im Haushalt durch Kaminofen oder Heizung. Überraschende Staubproduzenten sind Kühe und Schweine. Ihre Hinterlassenschaften, vor allem in Form von Gülle, enthalten viel Ammoniak. Dieses Spurengas verbindet sich in der Luft mit Schadstoffen aus dem Straßenverkehr zu Feinstaubpartikeln. Bis zu 45 Prozent des Feinstaubs in Deutschland sollen laut Schätzungen von Wissenschaftlern durch die Landwirtschaft entstehen.
Weit gereiste Körnchen
Eine weitere, prägende Eigenschaft von Staub ist seine Mobilität. Staubkörner gelangen nicht nur durch die kleinste Ritze, sie können sich auch über viele tausend Kilometer ausbreiten. Eine besondere Rolle spielt dabei der Wüstenstaub. Allein aus der Sahara werden jedes Jahr rund 1,5 Milliarden Tonnen feinsten Wüstensands in die Atmosphäre gewirbelt. Mit dem Passatwind reisen die eisen- und phosphorhaltigen Partikel einmal über den Atlantik. Sie versorgen auf ihrem Weg nicht nur den Ozean mit Nährstoffen und fördern so das Planktonwachstum, sondern düngen in Südamerika auch den Amazonas-Regenwald.
Atmosphärische Dünste
Der Staub in der Atmosphäre ist für die Wissenschaft besonders interessant. Schon früh erkannten Naturforscher, dass winzige Partikel in der Luft dafür sorgen, dass der Himmel blau wirkt. Johann Wolfgang von Goethe vermutete in seiner Farbenlehre 1810, dass die blaue Farbe durch die Streuung des Sonnenlichts an "atmosphärischen Dünsten" zustande kommt. Eine These, die der Physiker John William Rayleigh 1871 bestätigte: Partikel in der Atmosphäre streuen den kurzwelligen blauen Anteil des Sonnenlichts besonders stark.
Neuere Erkenntnisse zeigen, dass die lichtbrechende Eigenschaft von Staubpartikeln auch einen bedeutenden Einfluss auf das Klimageschehen haben. Dunkle Staubpartikel, wie Ruß, speichern die Energie des Sonnenlichts und heizen so die Atmosphäre auf. Helle Partikel dagegen, wie Meersalz, reflektieren das Licht zurück ins Weltall. Dieser kühlende Effekt überwiegt.
Winzige Wettermacher
Ohne Staub gäbe es auch keine Wolken und keinen Regen. In einer partikelfreien Atmosphäre würde über der Erde aufsteigender Wasserdampf niemals zu Tropfen kondensieren. Es braucht Staubteilchen als sogenannte Kondensationskerne. Die Partikel haben einen ähnlichen Effekt wie ein Deckel auf einem Topf mit kochendem Wasser. An ihnen bleibt der gasförmige Wasserdampf haften und verflüssig sich. Kleine Tropfen entstehen und vereinigen sich mit weiteren Tropfen. Auf diese Weise entsteht eine Regenwolke.
Explosives Potenzial
Kleine Staubteilchen können also eine erstaunlich große Wirkung haben. Dafür gibt es ein weiteres, eindrucksvolles Beispiel: die Staubexplosion. Besonders gefürchtet ist dieses Phänomen in Mühlen und Bäckereien, in denen große Mengen Mehlstaubs in der Luft schweben. Je feiner vermahlen der Staub ist, desto reaktionsfreudiger wird er. Durch die Zerkleinerung entstehen Partikel mit großer Oberfläche, die Wärme gut aufnehmen, rasant durchzünden und extrem schnell oxidieren können. Ein Funke kann schon ausreichen, um schwebenden Mehlstaub in Brand zu setzen und als Kettenreaktion eine Explosion auszulösen.
Eine solche Staubexplosion funktioniert aber nicht nur mit Mehl, sondern auch mit sehr feinen Kaffee-, Zucker- und Stahlstäuben sowie Bärlappsporen. Pyrotechniker nutzen diese Eigenschaft kleiner Partikel für kontrollierte Feuereffekte.
Staub ist also viel mehr als nur die graue Schicht auf dem Bücherregal. Er ist allgegenwärtig, extrem mobil, reaktionsfreudig und gehorcht scheinbar seinen eigenen Gesetzen. Ohne ihn wären viele Naturphänomene undenkbar. Das hat bereits der Naturforscher Alfred Russell Wallace erkannt, der zeitgleich mit Darwin die Evolutionstheorie entwickelte. Er schrieb 1898 in einen Essay: "Half the beauty of the world would vanish with the absence of dust."
Autorin: Anke Christians (NDR)
Stand: 05.08.2021 15:00 Uhr