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Wer bestimmt, wie laut ein Auto sein darf?

Starke Leistung = starker Sound. Diese Gleichung verkaufen Autohersteller seit Jahrzehnten – und ihre Kunden haben sie längst verinnerlicht. Was ein Auto kann, soll man auch hören können. Und Dank moderner Technik muss man Motor und Auspuff dafür nicht mal frisieren: Viele Modelle liefern das besondere Sounderlebnis dank Sporttaste, eingebauten Soundboxen und Lautsprechersystemen ab Werk. Völlig legal. Wie kann das sein? 

Gesetzliche Grenzwerte

Pkw mit eingeblendeten zulässigen Dezibelwerten
Je stärker der Motor, desto lauter darf er sein | Bild: SWR

Die zulässigen Dezibel-Grenzwerte für Pkw sind nicht einheitlich. Schwere Autos mit leistungsstarkem Motor dürfen lauter sein als leichte. Die erlaubten Werte richten sich danach, wie viel Leistung ein Auto im Verhältnis zu seiner Masse mitbringt. Sie reichen von 72 Dezibel für die meisten Mittelklassewagen bis hin zu 75 Dezibel, etwa für besonders PS-starke Sportwagen. Die Einhaltung der Grenzwerte wird vor der Zulassung eines neuen Modells überprüft. "Typprüfung für Geräuschemissionen bei KFZ" heißt das Verfahren. Getestet wird im Freien. Alle großen Automobilhersteller betreiben entsprechende Teststrecken. Hierhin laden sie in der Regel die Prüfer von TÜV, DEKRA und Co ein. Uns aber empfangen die Hersteller nicht – fast alle nennen Kapazitätsgründe für die Drehabsage.

Wie realistisch sind die Tests?

Also wenden wir uns an herstellerunabhängige Tester: Auf dem Indoor-Rollenprüfstand des Stuttgarter Fraunhofer Instituts für Bauphysik simulieren die dortigen Akustiker für uns eine offizielle Geräuschprüfung. Die sieht wie folgt aus: Das zu prüfende Auto beschleunigt so, dass es genau auf der Mitte einer 20 Meter langen Prüfstrecke Tempo 50 fährt. Ab hier beschleunigt das Auto weiter, mehr als 80 Stundenkilometer erreicht es in der Regel aber nicht dabei. Gang und Drehzahl sind vorgegeben, je nach Modell. Alle Dezibelwerte, die innerhalb der 20 Meter gemessen werden, zählen für die Prüfung, genommen wird der höchste innerhalb der Strecke gemessene Wert.

"Beschleunigte Vorbeifahrt" nennt sich das Verfahren. Nach wenigen Sekunden ist alles vorbei. Und dieser winzige Ausschnitt soll die Realität auf der Straße abbilden? Wir machen einen weiteren Test: Für uns gibt der Fahrer diesmal richtig Gas, fährt alle Gänge voll aus. Die Werte: deutlich über den im Test maximal erlaubten 72 Dezibel. Doch die Akustik-Experten des Fraunhofer Instituts verteidigen das Prüfverfahren – an dessen neuester Version sie mitgeschrieben haben: "Es ist nicht Sinn und Zweck, Lärmpeaks zu erfassen", sagt Dr. Peter Brandstätt, Leiter des Bereichs Akustik am Institut. "Man sucht ja ein standardisiertes Verfahren, um die verschiedenen Fahrzeuge miteinander vergleichen zu können und nicht provozierte Spitzenwerte". Der Großteil des Verkehrsgeschehens passiere in der Stadt, deshalb sei die Prüfung auf moderate Beschleunigungen ausgelegt, um das reale Fahrverhalten im Stadtverkehr abzubilden.

Ein Pkw steht in einer Halle.
Das Prüfverfahren im Außengelände kann man indoor simulieren. | Bild: SWR

Doch dass die jahrelang praktizierte Geräuschprüfung nicht optimal ist, hat auch der Gesetzgeber – die EU – inzwischen eingesehen und sie deshalb erweitert: Geprüft werden nun auch Fahrten unter und über Tempo 50. Beschleunigungen und Konstantfahrten, die – unterschiedlich stark gewichtet – am Ende einen "urbanen Schallpegel" ergeben. Und der bildet nun die Realität auf der Straße ab? Nein, sagen Umweltverbände – und auch die Akustiker am Umweltbundesamt.

500 Mal so laut wie erlaubt

Die Experten des UBA fordern ein Verbot von Technik, die Autos extra lauter macht. Was die anrichtet, haben sie selbst nachgemessen: Drei Auto- und drei Motorradmodelle haben sie auf einer Prüfstrecke im Außengelände getestet. Die Ergebnisse: erschreckend. "Wir mussten feststellen, dass die Fahrzeuge zum Teil im Faktor hundert bis tausend lauter waren als unter Typprüfbedingungen. Das heißt: Wir konnten Geräuschpegel messen von einem einzelnen Fahrzeug, wenn es mal 'böswillig' betrieben wird, dass es dann so laut war wie 500 gleichartige Fahrzeuge unter Typprüfbedingungen. Und das ist natürlich nicht nachvollziehbar und sollte verboten sein.", sagt Dr. Lars Schade, zuständig für Lärmminderung im Straßenverkehr beim Umweltbundesamt.

Für besonders leistungsstarke Pkw und Sportwagen, erklärt er, sei in den offiziellen Tests die Gewichtung zwischen Fahrten mit konstanter Geschwindigkeit und Beschleunigungen extra zugunsten der Konstantfahrten ausgelegt, damit diese Modelle überhaupt eine Chance hätten, die Grenzwerte in der Prüfung einzuhalten – und Auspuffklappen und Soundverstärker auch weiterhin verkauft werden können. Denn diese Technik ist zulässig, solange im Test die Grenzwerte eingehalten werden.

Legale Krachmacher

Sporttaste für mehr Sound von Autos
Laut, aber legal: Soundverstärker in Autos. | Bild: SWR

Doch was soll so eine "Sporttaste" überhaupt? "Diese Taste dient zum Emotionalisieren für den Fahrer", erklärt Hans-Martin Gerhard. Er ist Fachreferent für Verkehrsgeräusche bei Porsche. In einem solchen sitzt er gerade, quietschgrün ist das Modell – und mit einer Sporttaste ausgerüstet, die Gerhard jetzt drückt. Aus dem schnurrenden Motorgeräusch wird ein tieferer, blubbernder Sound. "Immer wenn der Zündschlüssel rumgedreht wird und der Motor neu gestartet wird, kommt das Fahrzeug zunächst im normalen Modus hoch, und wenn man darin bleibt, kann man sich sehr leise fortbewegen. Wir sagen 'sozialkompatibel'. Und wenn man dann doch ein bisschen mehr haben will, dann kann man die Sporttaste drücken", referiert Gerhard. "Aber es ist auch das noch im regulativ rechtlichen Bereich".

Wer bestimmt die Grenzwerte?

Im regulativ rechtlichen Bereich womöglich – aber nicht unbedingt im sozialkompatiblen. Für die "Emotionalisierung" wurde sogar eine eigene Spalte in der Tabelle für Dezibelwerte bei Autos geschaffen. Verklausuliert unter "Pkw mit weniger als vier Sitzen und geringem R-Punkt" (das ist der Hüftpunkt des Fahrersitzes oberhalb der Straße) dürfen Sportwagen lauter sein als der Rest: 75 statt wie die meisten Autos 72dB. Praktisch, wenn sich ein Gesetz nach der Technik richtet! 

"Man lässt es noch zu, dass eben unterschiedliche Geräuschniveaus vorhanden sind, weil eben die Motoren leistungsstärker sind und daher etwas lauter", gibt Peter Brandstätt vom Fraunhofer Institut zu. Doch auch er räumt ein: "Es wäre auch durchaus denkbar, dass man einen anderen Ansatz wählt. Das wäre dann eine Sache, die zukünftige Normen regeln müssten." Nur dass am Normierungsprozess auch die Automobilhersteller beteiligt sind. Sie sitzen mit in der zuständigen Arbeitsgruppe Lärmschutz der UNECE (Wirtschaftskommission für Europa der Vereinten Nationen).

2010 verschickte ein EU-Parlamentarier, der über die Grenzwerte mitzuentscheiden hatte, ein Papier, das er nahezu komplett von einem anderen Autor übernommen hatte: Hans-Martin Gerhard, dem Porsche-Fachreferenten. "Ich mach' sehr gute Vorlagen!", lacht dieser auf die Verwicklungen angesprochen. Die Hersteller seien nur beratend tätig. "Die Werte, die drin stehen in irgendwelchen Tabellen, legen die Leute selbst fest."

Immerhin: Tatsächlich wurden am Ende strengere Grenzwerte beschlossen als in Gerhards "Vorlage" vorgesehen. Sie werden in Zukunft sogar noch strenger. Von aktuell 72dB für die Mittelklasse etwa geht es ab 2022 runter auf 70 und schließlich 2026 auf 68 Dezibel. Dann bewegen sich Autos mit Verbrennungsmotor auf dem Geräuschniveau von Elektroautos – zumindest offiziell und unter Prüfbedingungen.

Autorin: Sophie König (SWR)

Stand: 15.11.2019 16:43 Uhr

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Sa., 16.11.19 | 16:00 Uhr
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Norddeutscher Rundfunk
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