Sa., 08.08.20 | 16:00 Uhr
Das Erste
Große Wirkung: So beeinflusst uns Musik im Alltag
Musik im Film kann die Spannung bis ins Unerträgliche steigern – oder uns zu Tränen rühren. Auch sonst kann sie uns beeinflussen: in Restaurants oder Bars etwa – wie wissenschaftliche Studien (s. "Handbuch der Funktionalen Musik", Hinweis am Ende der Seite) belegen. So passen wir zum Beispiel unsere Kaugeschwindigkeit beim Essen dem Tempo der Musik an. Schnelle Musik mit mehr als 110 Schlägen pro Minute (bpm) lässt uns schnell kauen, langsame Musik mit etwa 60 bpm deutlich langsamer. Das Tempo der Musik bestimmt auch, wie lange wir bleiben. Schnelle Musik verkürzt den Aufenthalt um bis zu 20 Prozent – eine Hilfe für Gastronomen, wenn bei Hochbetrieb viele Gäste auf einen freien Tisch warten. Umgekehrt gilt: Bei langsamer Musik bleiben wir länger und trinken mehr, bis zu 41 Prozent – bei alkoholischen Getränken, wohlgemerkt.
Zudem hat klassische Musik im Hintergrund bei einem Versuch englischer Forscher dazu geführt, dass die Gäste im Schnitt zehn Prozent mehr Geld für ihre Mahlzeiten ausgaben – vor allem für Vorspeisen, Kaffee und Desserts. Das gilt auch für Menschen, die keine Liebhaber klassischer Musik sind. Sie stufen die musikalische Qualität vermutlich dennoch als hochwertig ein – und schreiben diesen Wert dann wohl auch den Dingen ihrer direkten Umgebung zu.
Musik beim Einkaufen muss gefallen
Umstritten ist, ob Menschen auch beim Einkaufen mit Musik gezielt beeinflusst werden können. Der Grundgedanke hinter der sogenannten Kaufhausmusik ist schlicht: Die Musik soll dafür sorgen, dass die Kundschaft sich wohlfühlt. Denn wer sich wohlfühlt, der bleibt und wer bleibt, der kauft – im besten Fall.
Voraussetzung dafür ist aber, dass die Musik gefällt, und das ist vor allem in Kaufhäusern mit heterogener Kundschaft eine große Herausforderung. Wissenschaftlich lässt sich bislang zumindest kein positiver Einfluss von Musik in Kaufhäusern belegen. Im Einzelhandel kann Musik die Kundschaft vor allem dann positiv beeinflussen, wenn sich das Zielpublikum eng eingrenzen lässt – etwa im Jeansladen, im Surf-Shop oder Streetwear-Laden. Die Wahrscheinlichkeit, den Musikgeschmack der Kundschaft zu treffen und damit den Einkauf für die Menschen angenehmer zu machen, ist dann deutlich größer.
Vom Jingle zum Soundlogo
Auch aus der Werbung ist die Musik nicht mehr wegzudenken. Was in Zeiten der frühen TV- und Radiowerbung als Jingle oder Werbelied begann, ist mittlerweile zum ausgefeilten Soundkonzept gereift. Dabei gelten weitgehend die Gesetze der Filmmusik, das heißt: Musik unterstützt die Bilder in einer gezielten Weise. Sie funktioniert in diesem Fall als Sprache, die gemeinsam mit dem Bild die Botschaft der Marke und des Produkts kommuniziert. So könnte etwa ruhige, getragene Musik für Zuverlässigkeit, Sicherheit und Vertrauenswürdigkeit stehen, schnelle, rhythmische Musik eher für Dynamik und Zukunftsorientierung.
Wichtiges Element der Werbemusik sind sogenannte Soundlogos: kurze Tonfolgen, die sich in verschiedenen Medien einsetzen lassen und einen hohen Wiedererkennungswert haben. Im besten Fall reicht dann das Soundlogo aus, um uns an die Message eines ganzen Spots zu erinnern – samt der darin beworbenen Marken oder Produkte.
Wirkung bleibt nur bedingt planbar
Wie stark die ökonomische Wirkung solcher Musikkonzepte tatsächlich ist, lässt sich aber nur schwer beziffern oder planen. Aus musikpsychologischer und neurologischer Sicht ist Musik samt ihrer Wirkung der Wissenschaft nur bedingt zugänglich. Denn letztendlich geht es dabei um einen kreativen Prozess. Dieser hat zwar auch viel mit technischem und musikalischem Know-how zu tun hat. Ob und wie Musik uns aber emotional anspricht – das obliegt zu einem guten Teil der Intuition und Genialität der Produzierenden.
Niels Waibel (SWR)
Stand: 10.08.2020 15:44 Uhr