Sa., 08.08.20 | 16:00 Uhr
Das Erste
Musik und Intelligenz: Mythos Mozart-Effekt
Dass das Hören klassischer Musik – vornehmlich von Mozart – die Intelligenz fördern soll, hat als "Mozart-Effekt" vor fast 30 Jahren Schlagzeilen gemacht. 1993 hatten Forscher und Forscherinnen der University of California diesen angeblichen Effekt entdeckt. Sie hatten 36 College-Studierende zehn Minuten lang etwas Bestimmtes hören lassen: entweder nichts oder Entspannungsanleitungen oder eine bestimmte Klaviersonate von Mozart. Danach mussten die Studierenden Aufgaben eines Intelligenztests lösen, in denen sich alles um räumliches Denken drehte. Dabei schnitten diejenigen, die vorher Mozart gehört hatten, am besten ab. Sie waren den anderen um acht bis neun IQ-Punkte voraus. Das war zwar kein riesiger Vorsprung, aber immerhin war es einer – der allerdings nicht lange anhielt: Nach spätestens einer Viertelstunde war der "Intelligenz-Boost" verpufft.
Der Hype um den "Mozart-Effekt"
Aus diesem zwar überraschenden, aber ziemlich kleinen Effekt machte die Presse: "Mozart macht schlau!" Das hatte Folgen: In den US-Bundesstaaten Georgia und Tennessee etwa beschenkte die Politik jedes Neugeborene mit einer Mozart-CD, und in Florida war – per Verfügung – in Kindergärten täglich eine Stunde Mozart zu hören.
Auch die Wissenschaft war fasziniert. Man ahmte das ursprüngliche Experiment nach – und siehe da: Der Effekt ließ sich nicht eindeutig dingfest machen. Mal zeigte er sich, mal zeigte er sich nicht. So kam die Vermutung auf, dass Musik generell anregen, gute Laune bewirken und dadurch das Gehirn kurzzeitig auf Trab bringen könnte. Nur: Warum sollte das ausschließlich mit Mozarts Musik gelingen? Tatsächlich stärkte in Folgeversuchen auch die Musik anderer Komponisten kurz das räumliche Denkvermögen – darunter ein Stück von Franz Schubert oder ein Song der Brit-Pop-Band Blur. Dass allein Mozart intelligenter macht und das auf Dauer, ist also nichts weiter als ein Mythos.
Das macht Musik mit unserem Gehirn
Dennoch bleibt die Frage: Was macht Musik mit unserem Gehirn? Denn unsere grauen Zellen verändern sich mit allem, was wir tun – also auch dann, wenn wir Musik hören oder noch besser: selbst Musik machen! Jedes Üben hinterlässt Spuren. Das lässt sich auch wissenschaftlich nachvollziehen. Zum Beispiel verbinden bei Schlagzeugern weniger, dafür aber dickere Fasern die beiden Hirnhälften. Vielleicht fällt es Schlagzeugern aus diesem Grund auch leichter als Nicht-Schlagzeugern, komplexe Bewegungen zu koordinieren.
Gut vernetzt und verschaltet: Kann ein fittes Gehirn nicht mehr leisten als ein untrainiertes? Tatsächlich gibt es jede Menge Studien, die sagen, dass Musizieren schlau macht. So waren Menschen mit musikalischer Ausbildung in Untersuchungen anderen in bestimmten Fähigkeiten voraus. Sie hatten zum Beispiel ein besseres Gedächtnis in Sachen Sprache oder konnten sich gelegentlich auch besser an etwas erinnern, das sie gesehen hatten. Vor allem musizierende Kinder zeigten in Studien eine bessere Gedächtnisleistung und schnitten sogar in Intelligenztests besser ab, wenn sie mindestens ein Jahr lang Musikunterricht bekommen hatten.
Logischer Fehlschluss
Problematisch dabei: Selbst wenn Musizieren und bessere IQ-Werte zusammentreffen, lässt sich damit noch nicht auf eine Ursächlichkeit schließen. Albert Einstein zum Beispiel spielte leidenschaftlich gern Geige. Doch nur weil jemand Geige spielt und ein Genie in Physik ist, heißt das nicht, dass er ein Genie in Physik ist, weil er Geige spielt. Musizieren und gute kognitive Leistungen, also alles was irgendwie mit Denken zu tun hat, scheinen zwar zusammenzuhängen – ob das eine das andere verursacht, ist aber fraglich. Schließlich könnte es zum Beispiel auch einen dritten Faktor geben, der für beides verantwortlich ist.
Der kanadische Forscher Glenn Schellenberg hat die Arbeiten seiner Kollegen und Kolleginnen unter die Lupe genommen, um herauszufinden wie häufig sie in diese Falle tappen. Das Ergebnis: In den vergangenen 20 Jahren haben mehr als 100 Studien genau diesen logischen Fehlschluss gezogen.
Musikunterricht lohnt sich dennoch
Außerdem gibt es noch einen weiteren Haken bei der vermeintlich leistungssteigernden Wirkung von Musik. Zwar lässt sich das Gehirn ähnlich wie ein Muskel trainieren. Gelerntes oder Geübtes lässt sich aber nicht einfach auf andere Bereiche übertragen. Je weiter entfernt zwei Fertigkeiten voneinander sind, desto unwahrscheinlicher ist es, dass die eine von der anderen profitiert.
Wer also fleißig Klavierspielen übt, wird wahrscheinlich besser im Klavierspielen. Dass dank der Klavierstunden auch das Lösen von Differentialgleichungen besser klappt, ist dagegen eher unwahrscheinlich. Ein Instrument zu lernen lohnt sich trotzdem. Denn wer das tut, bemerkt irgendwann: "Wenn ich übe, werde ich besser!" Das kann das Selbstbewusstsein stärken und mehr Lust auf Lernen machen. Die Frage, ob Musik tatsächlich intelligenter macht, lässt sich aber (noch) nicht eindeutig beantworten.
Autorin: Uta Schindler (SWR)
Stand: 09.08.2020 04:33 Uhr