So., 21.12.08 | 17:03 Uhr
Das Erste
Das Gesetz der Gans
Eigentlich ist sie ja nur ein toter Vogel, aber an Weihnachten wird die Gans zum kulinarischen Höhepunkt.
Werner Gruber ist Koch und Physiker – in beiden Disziplinen ein kompromissloser Experimentator. Das gerupfte Federvieh will er in eine rundherum knusprige Köstlichkeit verwandeln, gespickt mit seinen Erkenntnissen aus der Naturwissenschaft. Denn die Zubereitung der perfekten Weihnachtsgans erfordert Zutaten, die sich in keinem Kochbuch wiederfinden, meint Werner Gruber. Er ist Autor des Buches "Die Genussformel": "Um eine perfekte Weihnachtsgans zuzubereiten, damit sie knusprig und saftig ist, benötigen wir ganz klar Physik. Wir brauchen Thermodynamik, wir brauchen Biophysik, Elastizitätslehre. Wenn wir uns darin auskennen, dann kommen wir zu einer genussvollen Weihnachtsgans."
Der wissenschaftliche Weg zur perfekten Gans
Doch vor dem Gansgenuss gibt es jede Menge Arbeit. Genuss ist relativ. Daher muss die Kochkunst absolut perfekt sein. Werner Gruber überlässt für sein Koch-Experiment nichts dem Zufall. Er muss sein Studienobjekt erst einmal besser kennen lernen. Denn Gans ist nicht gleich Gans.
Um genau zu wissen, welchen Gänsetyp er da vor sich hat, ist ein Exkurs in die Mikroanatomie der Muskelfasern nötig. Werner Gruber stößt auf durchsichtiges Gewebe, das aus Kollagen (ein Strukturprotein des Bindegewebes) besteht. Das muss der Forscher unter die Lupe nehmen. Denn Kollagen ist ein Feind der feinen Küche. "Das Kollagen sorgt für die Zähigkeit des Fleisches", so Gruber, "Unser Problem besteht nun darin, dass es sportliche und faule Gänse gibt. Die sportlichen bewegen sich viel, hier bilden sich extrem viele Kollagenfasern und das sorgt dann für die Zähigkeit einer Gans."
Kampf dem Kollagen
Salz für den guten Geschmack und aus Gründen der Thermodynamik, Äpfel als Feuchtigkeitsspender im Innenraum der Gans. Dann folgt der Arbeitsschritt zur Kollagenbekämpfung. Die Injektion ganz bestimmter Reagenzien. Das ist wichtig, um zähes Fleisch in zartes zu verwandeln, unterstreicht der kochende Physiker: "Verwenden wir hier Rotwein, so hilft uns hier die Säure, dass Kollagen zu zerstören und noch besser verwendet man rohen frisch gepressten Ananas-Saft, denn der enthält das Enzym Papain, und das zerstört uns das Kollagen restlos und wir erhalten eine perfekte zarte genussvolle saftige Weihnachtsgans." Nach dieser Spezialbehandlung tritt unsere Gans tritt ihre letzte Reise im Bräter an.
Etwas Körperpflege mit ausgelassener Butter, Deckel drauf, und schon steht das Experiment vor dem größten Problem der Kochkunst, das nicht weniger als gute von schlechten Weihnachtsgänsen trennt.
"Auf dem Weg zu einer perfekten Weihnachtsgans müssen wir eines berücksichtigen: die Bratdauer", erläutert Gruber, "Braten wir die Gans zu kurz, ist das Fleisch in der Nähe der Knochen noch rot, braten wir zu lange, zieht sich das Kollagen zusammen und der wunderbare Fleischsaft wird herausgepresst. Eine Schande, die Gans ist schon tot, wir müssen sie nicht noch tot braten." Damit das nicht passiert, gibt es das von ihm entwickelte Gesetz der Gans: der mathematische Schlüssel zur exakten Bratdauer.
Das Gesetz der Gans
Es gilt:
Die Bratdauer ist proportional zu und daraus folgt
Natürlich müssen noch die Backrohrtemperatur und die gewünschte Innentemperatur berücksichtigt werden. Mit Hilfe der Thermodynamik kann man die genaue Bratdauer berechnen, leider ist die Formel ziemlich kompliziert. Mit folgender Näherungsformel kann man sich ganz gut helfen:
Die Masse m wird in Kilogramm angegeben – das Gewicht der Gans, T ba ist die eingestellte Backrohrtemperatur und T zentrum ist die gewünschte Innentemperatur.
Empfehlenswert ist T ba = 220°C und T zentrum = 75°C.
Die Konstante k muss einfach nur eingesetzt werden - k=0.0008526.
Daraus ergibt sich die Bratdauer in Minuten – eher unüblich in der Physik, aber praktisch.
Wenn also der Radius, beziehungsweise das Gewicht der Gans, die gewünschte Innentemperatur und die Backrohrtemperatur bekannt sind, dann kann diese Werte jedermann in die Gänse-Formel einsetzen, und gut.
"Schlicht und einfach: Masse einsetzen, Backrohrtemperatur, gewünschte Innentemperatur der Gans und dann wird sie perfekt," sagt der kochende Wissenschaftler. Für den Nicht-Wissenschaftler heißt das: Warten, Warten und nochmals Warten. In unserem Fall ist es nach einer gefühlten Ewigkeit von gut zwei Stunden soweit.
Temperaturprüfung
Doch wer glaubt, nun sei der Genuss nicht mehr fern, der irrt. Denn die Gans verlässt den Ofen nur für eine kurze Rast. Es geht um ihre Körpertemperatur. Damit sich nämlich die gefürchteten Kollagenfasern auflösen, sollte das Thermometer einen Wert zwischen 70 und 80 Grad Celsius anzeigen. Das gilt für jede Gans, denn dann ist das Eiweiß geronnen und das gefürchtete Kollagen schmilzt: Das Fleisch wird also zart und bleibt saftig.
Und da die Gans schon mal aus dem Ofen genommen ist, kommt Honig auf die Gänsehaut. Honig ist das Reagenz (im original "Reagenzium") zur Auslösung der so genannten „Maillard-Reaktion“, unverzichtbarer Bestandteil zum Erreichen des Erfolgsfaktors "Knusprigkeit" meint Gruber: "Der Zucker reagiert mit den Aminosäuren auf der Oberfläche der Gans, deswegen schmeckt auch die Oberfläche nicht süßlich, sondern aufgrund der Maillard-Reaktion bilden sich Aromastoffe, Röstaromen und genau das ist der Geschmack." Nach weiteren zwanzig Minuten ist es soweit, die Gans kann den Ofen verlassen.
Das Ergebnis des Kochexperimentes
Aber – ist das Experiment gelungen? Hat sich die tote Gans in einen belebenden Festtagsvogel verwandelt? Das Urteil des Experimentatoren bei der Geschmacksprobe: "Super!" – wissenschaftlich ist also nur ein Schluss möglich, den Werner Gruber so zusammenfasst: "Jetzt kann Weihnachten kommen!"
Autor: Axel Wagner
Literatur
Die Genussformel:Kulinarische Physik
(Gebundene Ausgabe)
von Werner Gruber (Autor),
Thomas Wizany (Illustrator)
Verlag: Ecowin Verlag, 3. Auflage August 2008.
ISBN-10: 3902404590
ISBN-13: 978-3902404596
Stand: 11.05.2012 13:02 Uhr