So., 08.06.08 | 17:03 Uhr
Das Erste
Marmaray – Der Tunnel unter dem Bosporus
Istanbul ist die größte Stadt der Türkei und liegt auf zwei Kontinenten, Europa und Asien. Jeder fünfte Türke lebt in der Stadt am Bosporus, und an beiden Ufern wächst die Fünfzehn-Millionen-Metropole unaufhaltsam weiter.
Die Folge: Dauerstau. Zur Rush-Hour sind besonders die Zufahrtswege zu den beiden Brücken über den Bosporus chronisch überlastet. Von einem Ende der Stadt zum anderen kann die Fahrt dann vier bis fünf Stunden dauern.
U-Bahn verbindet Europa und Asien
Ein interkontinentales U-Bahnprojekt soll das Verkehrsproblem jetzt entschärfen. Bereits im Bau befindet sich ein insgesamt 13,6 Kilometer langer Tunnel. Eine 63 Kilometer lange bestehende Eisenbahnstrecke wird ausgebaut. In den Stadtteilen Yenikapı, Sirkeci und Üsküdar entstehen neue unterirdische Bahnhöfe, 37 weitere oberirdische Stationen werden im Bereich der auszubauenden Strecke errichtet oder modernisiert. 3,5 Milliarden Dollar soll das Vorhaben kosten. Der schwierigste Teil des Projekts ist der Bau des Tunnelabschnitts im Bosporus selbst. Denn in der bis zu 60 Meter tiefen Meerenge herrscht eine tückische Doppelströmung. Zudem liegt sie inmitten einer Erdbebenzone.
Tunnel statt Brücke
Trotz allem soll keine weitere Brücke, sondern ein Tunnel gebaut werden, der Europa mit Asien verbindet. Unter dem europäischen Festland ist ein Teil des Tunnels bereits fertig gestellt. Unaufhaltsam nähern die Arbeiten sich dem Bosporus. Mehrere Schildvortriebsmaschinen – gesteuert und überwacht von Computern – fressen sich Zentimeter für Zentimeter durch den Untergrund von Istanbul. Das rotierende Bohrschild zermahlt den zum Teil felsigen Untergrund, der Abraum wird mit Wasser unter Hochdruck über Leitungen an die Oberfläche abtransportiert.
Absenken statt Bohren
An den Ufern der Meerenge stößt die Schildvortriebstechnik an ihre Grenzen: Der Bosporus ist so tief, dass die Experten auf einer 1,4 Kilometer langen Strecke nicht bohren können. Daher kommt im Wasser die sogenannte Absenktechnik zum Einsatz. Der Tunnel wird nicht in, sondern auf den Meeresgrund gebaut: Dabei werden elf Tunnelelemente aus Beton, die jeweils 15 Meter breit und 135 Meter lang sind, in der Meerenge versenkt, miteinander verbunden und abgedichtet.
Schon wenige Tage nach der Montage kann der neue Tunnelabschnitt betreten werden und der Innenausbau beginnen. Um die Tunnelröhren vor den heftigen Strömungen im Bosporus und vor Schäden an der Außenwand zu schützen, werden sie nach Abschluss der Bauarbeiten unter 4,5 Meter Sediment begraben.
Furcht vor dem großen Beben
Das größte Risiko für den Tunnel ist die hohe Erdbebengefahr in der Region. Die Wahrscheinlichkeit eines schweren Bebens liegt in den nächsten dreißig Jahren bei sechzig Prozent. Damit die Konstruktion der drohenden Naturkatastrophe standhalten kann wurden die Tunnelwände mit Stahl ummantelt. Zusätzlich werden die Tunnelelemente und ihre Verbindungsstellen im Wasser mit Beton unterstützt. Die Stellen schließlich, an denen der Bosporustunnel in die Landtunnel übergeht, werden mit riesigen Gummidichtungen versehen, so dass sie elastisch sind und im Falle eines Erdbebens nicht brechen.
Weltrekord ist sicher
Eine vergleichbare Herausforderung mussten die Baumeister des „Bart-Tunnel“ in San Fransisco meistern. Dort wurde der Tunnel in 45 Meter-Tiefe gebaut. Der Bosporus ist aber bis zu 60 Meter tief. Wenn der neue Tunnel fertig ist, wird er den Weltrekord halten.
2011 soll die U-Bahn fertig sein. Sie soll dann 150.000 Fahrgäste pro Stunde transportieren. Die Fahrtzeit von einem Ende der Stadt zum anderen soll dann nur noch 105 Minuten betragen: ein Traum für viele Istanbuler; derzeit dauert es gut dreimal so lange.
Autor: Halil Gülbeyaz
Stand: 11.05.2012 13:05 Uhr