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MRSA – Vom Schweinestall ins Krankenhaus

Wissenschaftler warnen seit Jahren: Unsere wichtigste Waffe im Kampf gegen bakterielle Krankheitserreger droht stumpf zu werden. "Problemkeime" wie zum Beispiel Staphylokokkus aureus (SA) haben bereits Resistenzen gegen viele der heute gebräuchlichen Antibiotika entwickelt.

Die Lage im Kampf gegen diese Bakterien droht sich weiter zu verschärfen: In Schweinebeständen tauchen in den vergangenen Jahren neue vielfach Antibiotika resistente SA-Varianten auf – und sie verbreiten sich auch unter Menschen.

Hygiene im Schweinestall

Tierarzt Jürgen Harlizius wacht über die Gesundheit der Schweine in den nordrhein-westfälischen Zuchtbetrieben. Besonders aufmerksam beobachtet er, welche Krankheitserreger es trotz strenger Hygiene bis hinein in den Schweinestall schaffen.

In letzter Zeit findet er in seinen Proben einen Bakterientyp, der Mediziner in Alarmbereitschaft versetzt: Den Eitererreger Staphylokokkus aureus – in einer neuen und gefährlichen Variante.

MRSA, so lautet die Abkürzung für Methicillinresistente Staphylokokken. Kaum ein Antibiotikum wirkt noch gegen sie. In 28 von 40 untersuchten Betrieben – das sind 70 Prozent – hat Harlizius die Erreger gefunden. Sie siedeln in der Nase und auf der Haut der Schweine. Zwar erkranken kontaminierte Tiere nicht automatisch, doch kommt es zur Infektion, dann ist sie kaum therapierbar.

Spurensuche

Für die plötzliche massenweise Verbreitung der Schweine-typischen MRSA mit der korrekten Bezeichnung MLST-Typ ST398 haben Experten zwei Erklärungen: Zum einen müssen bei Infektionskrankheiten unter Schweinen ganze Bestände mit Antibiotika behandelt werden. In diesem Klima gedeihen jene Bakterien besonders gut, die gegen die eingesetzten Antibiotika bereits resistent sind: MRSA.

Zum anderen ist die Fleischerzeugung stark professionalisiert: Wenige große Erzeuger von Zucht- und Mastschweinen verkaufen ihre Tiere quer durch Europa – so verbreiten sich mit den Schweinen auch die Keime in Windeseile.

Der Sprung zum Menschen

Die Erreger wandern nicht nur von Tier zu Tier. Auch bei Landwirten, Tierärzten und anderen Perso-nenkreisen, die beruflich oder privat mit Schweinen zu tun haben, wurde dieser Bakterientyp bereits nachgewiesen.

Die Befürchtung der Mediziner: Je weiter MRSA sich in der Schweinepopulation verbreiten, desto häufiger werden auch Menschen zu Trägern der gefährlichen Keime. Eine Gefahr, die bisher kaum ins öffentliche Bewusstsein gedrungen ist, und die Experten noch vor wenigen Jahren für unwahrscheinlich hielten. Alle Personen, die beruflich mit den Tieren zu tun haben, gehören demnach zu einer Risikogruppe, die auch Menschen in ihrer Umgebung mit MRSA infizieren kann.

MRSA-Risiko in Krankenhäusern

In der Humanmedizin sind MRSA die am meisten gefürchteten Erreger nosokomialer, d.h. im Krankenhaus erworbener Infektionen. Bereits ein einfacher Händedruck oder eine schlecht gewartete Klimaanlage können sie übertragen. Besonders für Menschen mit geschwächtem Immunsystem oder offenen Wunden sind sie eine Gefahr. Wenn kein Medikament anschlägt, kann eine MRSA-Infektion tödlich verlaufen.

Die Kliniken haben sich mit aufwändigen Hygienevorkehrungen auf die Bedrohung durch resistente Bakterien eingestellt; Betroffene werden isoliert behandelt, um Personal und andere Patienten nicht zu gefährden.

"Wir haben jedes Jahr mehrere tausend MRSA-Infektionen. Wir haben in Kliniken insbesondere bei Patienten, die Hoch-Risikopatienten sind, so genannten Intensivpatienten, häufiger Blutvergiftungen durch bestimmte Erreger, und da spielt dieser MRSA die wichtigste Rolle. Daran versterben auch jedes Jahr einige tausend Menschen", so Dr. Lothar Wieler vom Institut für Mikrobiologie und Tierseuchen in Berlin.

Erreger im Krankenhaus nachweisbar

Im internationalen MRSA-Netzwerk arbeiten 46 deutsche und niederländische Kliniken zusammen. Jeder ankommende Patient wird einem MRSA-Test unterzogen. Die Daten fließen in eine gemeinsame Datenbank, in der die Verbreitung der verschiedenen MRSA Stämme überwacht wird. Das beunruhigende Ergebnis: Der bei den Schweinen gefundene Bakterien-Typ ist bereits in den Krankenhäusern angekommen.

"Wir finden unter den Patienten, die aufgenommen werden, mittlerweile auch Schweine-assoziierte MRSA, die gehören zu den fünf häufigsten der MRSA im Krankenhaus. Die führen momentan zwar nur selten zu Erkrankungen, aber wir müssen davon ausgehen, dass sich der Erreger an seinen neuen Wirt, den Menschen, auch anpassen kann und dann in Zukunft auch zu Erkrankungen führen kann. Das müssen wir beobachten", warnt Dr. Alexander Friedrich vom Institut für Hygiene am Universitätsklinikum Münster.

Akuter Handlungsbedarf

Es ist ein Wettlauf gegen die Natur: Die Bakterien verändern ständig ihr Erbgut, um sich neuen Umweltbedingungen anzupassen. Die Pharmaindustrie kommt mit der Entwicklung neuer Wirkstoffe kaum hinterher.

"Tatsache ist, dass der Erreger in der Schweinepopulation in Häufigkeiten von bis zu 70 Prozent vorkommt", so Lothar Wieler. "Damit ist die Chance gegeben, dass er nicht nur auf Landwirte und Tierärzte übergeht, sondern auch weiter in die restliche Bevölkerung. Und damit erhöht sich der Infektionsdruck auf das Krankenhaus. Das heißt, wir müssen Strategien entwickeln, wie wir den Erreger auch in der Schweinepopulation zurückdrängen."

Das ist wichtig, weil der Erreger den Schlachtprozess überstehen kann. Bei Untersuchungen in den Niederlanden wurden in jeder zehnten Schweinefleischprobe MRSA gefunden. Das Übertragungsrisi-ko durch kontaminiertes Fleisch ist nach Einschätzung des Bundesinstituts für Risikobewertung zwar gering, kann aber keinesfalls ausgeschlossen werden. Ein Grund mehr, beim Zubereiten von Fleisch unbedingt Hygiene walten zu lassen.

Autor: Jochen Becker

Adressen & Links

Dr. Jürgen Harlizius

Schweinegesundheitsdienst
Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen
Tel.: 02 28 - 703 - 23 13
Email: juergen.harlizius@lwk.nrw.de

Prof. Dr. Lothar H. Wieler

Institut für Mikrobiologie und Tierseuchen
Philippstr. 13
10115 Berlin
Tel.: 030 - 20 93 63 00

Dr. Alexander Friedrich

Institut für Hygiene
Universitätsklinikum Münster
Tel.: 02 51 - 8 35 53 66
Email: alexf@uni-muenster.de

Stand: 21.07.2015 14:07 Uhr

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