So., 01.06.08 | 17:03 Uhr
Das Erste
Pharming
Ein lebensrettendes Medikament aus der Milch einer Kuh oder Impfstoffe gegen Malaria vom Acker. Science-Fiction?
Keineswegs: In Labors weltweit wird an der Realisation dieser Vision bereits fleißig gebastelt. Und zwar mit Hilfe von gentechnisch veränderten Pflanzen und Tieren.
In Deutschland versucht eine Forschungsgruppe der Universität Rostock, einen Impfstoff für die tödlich verlaufende haemorrhagische Kaninchenkrankheit (RHD) zu produzieren. Dazu hat die Gruppe um Prof. Inge Broer Kartoffeln genetisch so verändert, dass diese ein Protein, den Impfstoff, bilden.
Und in Schottland verändern Forscher am Roslin-Institut das Erbgut von Hühnern, um im Eiklar Medikamente gegen Krebs und Multiple Sklerose herzustellen.
Beide Forschungsgruppen wollen mit Hilfe der Gentechnik neue Verfahren für die Pharmazie entwickeln. Für die Herstellung von bestimmten Wirkstoffen, die in der chemischen und pharmazeutischen Industrie nur unter sehr hohen Kosten produziert werden.
Symbiose aus Landwirtschaft und Pharmazie
Bei den neuen Methoden bedienen sich die Forscher der Prinzipien der Landwirtschaft, auf Englisch "farming". Aus Pharmazie und "farming" entstand so der Kunstbegriff "Pharming".
Adrian Sherman, Biologe am Roslin-Institut in Schottland, verweist auf einen entscheidenden Vorteil: "Ein Grund, warum man mit Tieren Medikamente herstellen sollte, ist, dass sich so therapeutisch wirksame Proteine produzieren lassen, die in ganz ähnlicher Form beim Menschen vorkommen."
Prof. Inge Broer hebt die Vorzüge des "Pharmings" mit Pflanzen hervor: "Im Vergleich zu der Produktion mit Tieren haben wir den Vorteil, dass wir keine anderen Krankheitserreger mit drin haben. Denn die Pflanze enthält ja keine anderen Viren, die uns krank machen könnten. Alle Inhaltsstoffe dieser Pflanze können wir problemlos essen."
Impfstoffe vom Acker
Erste Ergebnisse der Rostocker aus dem Gewächshaus zeigen: In den Kartoffeln "wächst" wunschgemäß ein Impfstoff für Kaninchen. Ob das auch auf dem Acker funktioniert, soll ein Freilandversuch klären. Mitte Mai pflanzten Helfer die genetisch veränderten Kartoffeln aus dem Labor in einen Acker bei Rostock. Zum Schutz vor Wildtieren und militanten Gegnern der Gentechnik wurde ein Zaun rund um den Feldversuch gezogen.
"Wir haben in diesen Jahren eine große Menge von Feldzerstörungen, es gibt unter den Gegnern so Tendenzen wie '2008 Gentechnik frei'. Es gibt viele kleine Gruppierungen, die versuchen, Felder zu zerstören“, erklärt Inge Broer. Die Skepsis gegenüber der Gentechnik hält sie zwar für verständlich, doch die rechtfertigt nicht mutwillige Zerstörung: "Deshalb machen wir diese Versuche, um die Sicherheit dieser Pflanzen zu überprüfen."
Transgene Hühner
Zu solchen Protesten kommt es in Schottland nicht. Am Roslin-Institut, wo einst Dolly, das erste Schaf weltweit geklont wurde, kann man sich ganz auf die Forschung zum "Pharming" konzentrieren. Adrian Sherman und seinen Kollegen ist es gelungen, transgene Hühner zu züchten. Die bilden im Eiklar Wirkstoffe, mit denen Krebs und Multiple Sklerose behandelt werden sollen. Auch die Schotten schleusten dafür artfremde Gene ins Erbgut. Die sollen die Produktion der gewünschten Stoffe initiieren und steuern.
Doch die Methode ist noch nicht praxisreif. Denn Infektionen sind bei Tieren nie ganz auszuschließen. Eine potenzielle Gefahr für den Menschen, der Medikamente von infektiösen Tieren erhält.
Helen Sang, die Leiterin der Forschungsgruppe am Roslin-Institut, räumt diese Gefahr ein: "Aber diese Risiken werden identifiziert, sobald das Medikament in klinischen Standardtests geprüft wird. Falls es Nebenwirkungen hat, wird es nicht zugelassen."
Risikobewertung
Über solche Risiken gibt es unterschiedliche Ansichten. Erstmals kommt in diesen Tagen in Europa ein Medikament aus transgenen Tieren auf den Markt. Entwickelt wurde das Präparat "Atryn" gegen eine seltene Blutgerinnungsstörung nach jahrzehntelanger Forschung einer US-Pharmafirma. Doch die amerikanische Aufsichtsbehörde FDA verweigert, anders als die Europäer, noch immer die Zulassung. Die vorgelegten Tests reichen ihr zur Bewertung möglicher Risiken nicht aus.
Klinische Tests stehen den Impfstoffen aus den Rostocker Kartoffeln noch bevor. Anders als der Wirkstoff in den Eiern der schottischen Hühner muss der Impfstoff aus der Kartoffel nicht isoliert und gereinigt werden. Nach dem Zerkleinern und Schockfrieren werden die Kartoffeln zu Pulver. Und das kann direkt an Tiere verfüttert werden. Erste Tests mit Mäusen zeigen: Der Impfstoff wirkt.
Doch die Forschung in den USA mit Pharming-Pflanzen ist schon weiter, so Inge Broer: "Was jetzt ansteht, ist ein Medikament gegen Karies. Für Kariesprophylaxe. Das wird in den USA denke ich schon in den nächsten Jahren auf dem Markt sein. In Europa wird es noch länger dauern". Hier fehle noch die Akzeptanz, so die Rostocker Forscherin.
Optimistischer Ausblick?
Vor allem die Deutschen stehen der Gentechnik in Ställen und auf Äckern skeptisch gegenüber. Die Pharmaindustrie dagegen hofft auf „gepharmte“ Medikamente. Für sie würde die Produktion der Wirkstoffe viel billiger werden. Denn "Produktionsmittel" – also Tiere und Pflanzen - stehen fast unbegrenzt zur Verfügung. Genau deswegen glaubt Adrian Sherman an den Erfolg von Pharming: "Wirkstoffe mit Hühnern herzustellen, das ist eine Möglichkeit. Genauso gut könnte es aber auch mit anderen Tieren funktionieren. Es wird eine von vielen Möglichkeiten sein in der Zukunft sein."
Medikamente vom Acker und aus dem Stall werden eines Tages in der Apotheke erhältlich sein. Doch bis es soweit ist, wartet noch viel Arbeit auf die Forscher.
Adressen & Links
Prof. Inge Broer,Heike Mischofsky
Universität Rostock
Institut für Landnutzung
Agrobiotechnologie
Justus-von-Liebig-Weg 8
18051 Rostock
Tel.: 0381 - 4 98 30 87
Fax: 0381 - 4 81 30 82
E-Mail: heike.mischofsky@uni-rostock.de
Internet: http://www.auf.uni-rostock.de/
Stand: 10.04.2013 10:12 Uhr