So., 10.05.09 | 17:03 Uhr
Das Erste
Altruismus – Zwischen Natur und Kultur
Altruismus als Überlebensstrategie
Warum warnt ein Erdmännchen-Späher seine Gruppe mit einem lauten Schrei und bringt sich damit selbst in Gefahr? Müsste sein Instinkt ihm nicht befehlen, sich leise in Sicherheit zu bringen? Warum teilt eine Vampirfledermaus Blut mit einer anderen, die bei der Jagd nicht erfolgreich war und sonst verhungern müsste? Und warum opfern sich Arbeiterameisen ihr ganzes Leben lang für die Königin auf? Sie tun es aus Nächstenliebe – im wörtlichen Sinne. Denn wer sich für nahe Verwandte einsetzt, sichert auch das Überleben der eigenen Gene.
Belohnung – im Gehirn
Altruismus – selbstloses Handeln – gibt es auch im Tierreich. Aber die Begünstigten sind fast immer Verwandte. Nur Menschen praktizieren Fernstenliebe. Wir spenden Geld, Zeit und Blut, um Leuten zu helfen, mit denen wir nicht verwandt sind, denen wir niemals begegnen werden und die sich nicht einmal bei uns bedanken können. An der Universität Zürich untersuchen Forscher verschiedener Fachrichtungen, wann und warum Menschen altruistisch handeln. Eine Erklärung haben sie im Labor entdeckt: "Bei Leuten, die anderen etwas Gutes tun, sind bestimmte Hirnareale aktiv, die für Belohnung zuständig sind", sagt Forscher Daniel Schunk, "man fühlt sich gut dabei." Streng genommen wird uns also nicht warm ums Herz, sondern warm ums Hirn, wenn wir Gutes tun. "Warm Glow Effekt", nennen die Wissenschaftler das.
Geben ist seliger als Nehmen?
Die klassische Wirtschaftstheorie sieht den Menschen als Homo oeconomicus,
der rational denkt und nur an seinem Eigennutz interessiert ist. W wie Wissen macht ein Experiment, um zu sehen, ob wir wirklich handeln wie Homo oeconomicus. Zwei Menschen, die für einander völlig anonym bleiben, machen das "Ultimatum-Spiel".
Spieler 1 erhält 100 Euro und die Anweisung, diese mit Spieler 2 zu teilen. Wieviel er abgibt, bleibt allein ihm überlassen. Aber: Spieler 2 weiß, wie viel Geld zu verteilen ist und kann den Betrag zurückweisen, wenn er ihm zu niedrig erscheint. In diesem Fall erhalten beide nichts. Ein echter Homo oeconomicus würde jedes Angebot akzeptieren: "Er würde selbst den kleinsten Betrag, sagen wir einen Euro, dem Erhalt von null Euro vorziehen" sagt Wirtschaftswissenschaftler Daniel Schunk, "Die Lösung für das Spiel für den Homo Oeconomicus wäre wie folgt: Spieler 1 gibt nur einen Euro ab, und behält 99 Euro für sich. Eine sehr ungleiche, unfaire Verteilung."
Unerwartetes Resultat
Das Ergebnis war jedoch ein anderes. Die Versuchspersonen für W wie Wissen teilten 50-50. Ungewöhnlich – oder nicht? "Im Mittel sehen wir, dass Spieler 1 etwa 40 Prozent seines Betrages abgibt an Spieler 2, und Spieler 2 akzeptiert in der Regel Beträge unter 25 Prozent des Ursprungsbetrages nicht mehr." Lieber gar kein Geld als wenig Geld – was steckt dahinter? Offenbar ist es Menschen wichtiger, unfaire Angebote zu bestrafen, als einen Gewinn einzustreichen. Das bestätigen die Ergebnisse der Forscher, die das Ultimatum-Spiel in sehr unterschiedlichen Kulturen auf der ganzen Welt durchgeführt haben. "In keiner dieser Kulturen verhielten sich die Menschen so, wie es die konventionelle Wirtschaftstheorie erwartet", sagt Verhaltensforscher Charles Efferson. Den Homo oeconomicus fanden die Forscher nirgendwo. Aber bedeutet das, dass Fairness in der Natur des Menschen liegt?
Von Anfang an gerecht?
Werden wir als Altruisten geboren? Auch das haben die Forscher aus Zürich überprüft: "Die Idee war, dass wir beobachten, wie Kinder verschiedener Altersstufen Spielsachen und Süßigkeiten mit anderen Kindern teilen," sagt Daniel Schunk, "Und wir sehen da, dass Kinder im Alter von drei Jahren ganz wenig teilen, die haben fast kein Gerechtigkeitsempfinden. Erst in der Altersklasse von 8-9 Jahren sehen wir ein ähnliches Gerechtigkeitsempfinden, oder Teilverhalten wie bei Erwachsenen." Damit können die Züricher Forscher eines sicher sagen: "Der Einfluss von Kultur, von Sozialisation, spielt eine sehr große Rolle für die Entwicklung von Gerechtigkeitsempfinden".
Für andere und für sich selbst
Ob wir im Alltag egoistisch handeln oder an andere denken, hat oft damit zu tun, ob wir uns beobachtet fühlen. Wenn uns niemand auf die Finger schaut, sinkt unsere Kooperationsbereitschaft. Ein Beispiel dafür sind öffentliche Verkehrsmittel. Alle profitieren davon, auch die, die nicht zahlen. Wissenschaftler nennen das "Tragödie des Gemeinguts": das schlechte Beispiel der Egoisten macht Schule, irgendwann kooperiert keiner mehr. Es sei denn, egoistisches Verhalten wird bestraft. Deshalb gibt es Fahrausweiskontrollen.
Und es gibt noch eine weitere starke Kraft, die Menschen zu altruistischem Handeln motiviert. Experimente zeigen: Wer sich einen guten Ruf erwirbt und als kooperativer Mensch gilt, der selbst altruistisch handelt, dem wird mehr vertraut und mehr gegeben. "Es lohnt sich also, eine gute Reputation aufzubauen" sagt Daniel Schunk. Da sind sich moderne Forschung und die Bibel also einig: Wer gibt, dem wird gegeben.
Adressen & Links
University of Zürich
Institute for Empirical Research in Economics
Ansprechpartner: Dr. Daniel Schunk und Dr. Charles Efferson
Adresse: Blümlisalpstr. 10, 8006 Zürich, Schweiz
Homepage des Instituts für Empirische Wirtschaftsforschung.
Autorin: Christine Buth
Stand: 29.07.2015 10:25 Uhr