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Strukturwandel im Freiwilligendienst

Sozialforschung und Ehrenamt

Der Bürger soll einspringen. Soll sich beteiligen an der Lösung sozialer Probleme wie Armut, Überschuldung oder Ausgrenzung. Alleine schaffe es der Sozialstaat nicht mehr, so heißt es jedenfalls unisono bei Politik und Sozialbürokratie. Doch wie ist es mit der Engagementbereitschaft bei uns bestellt? Die Ergebnisse einer aktuellen Studie stimmen da optimistisch. Bundesweit – so die Forscher der Prognos AG - kümmere sich bereits jeder Dritte in seiner Freizeit ohne Vergütung um einen guten Zweck. Zwar stagnierten die Zahlen seit Jahren. Doch die Chancen für mehr freiwillige Verantwortungsübernahme seien besser denn je. 40 Prozent derer, die noch keine ehrenamtlichen Dienste leisten, könnten sich vorstellen, das in Zukunft zu tun. Diese gesellschaftlichen Kräfte zu mobilisieren sei eine Herausforderung der Zukunft – so die Sozialforscher. Dazu müssten sich neue Strukturen und innovative Formen des Ehrenamts herausbilden. Dass dies möglich ist, und was man dafür tun muss, zeigt die Stadt Augsburg. Eine Hochburg für bürgerschaftliches Engagement.

Das Augsburger Sozialpaten-Projekt

Augsburg, eine Stadt mit über 260.000 Einwohnern. Jeder Siebente ist hier als arm oder von Armut bedroht einzustufen. Und dennoch: Von Obdachlosigkeit ist im Stadtbild von Augsburg nichts zu spüren. Die Zwangsräumungen sind hier in den letzten vier Jahren um 25 Prozent zurückgegangen. - seit die Stadt das Sozialpaten-Programm ins Leben gerufen hat. Bei diesem Modell-Projekt haben es sich Menschen mit Lebenserfahrung und Kompetenz aus dem Berufsleben zur Aufgabe gemacht, Mitbürgern aus ihrer wirtschaftlichen Not herauszuhelfen. Banker im Ruhestand und Rechtsanwältinnen in der Babypause sind unter den Freiwilligen, aber auch Hausfrauen, Angestellte und Selbst-ständige. Allesamt Leute, die sich in einer neuen Form von ehrenamtlicher Arbeit engagieren wollen. Die ihre Kraft nicht mehr in große Organisationen oder kleine Vereine stecken wollen, sondern in einzelne Mitbürger. Etwa 40 Sozialpaten bieten inzwischen über ganz Augsburg verteilt Sprechstunden an, zu denen jeder Bürger ohne Anmeldung kommen kann. Die Freiwilligen übernehmen dabei nicht nur Verantwortung in der Beratung. Sie begleiten die Gestrandeten auch bei Gesprächen mit ihren Vermietern oder Banken und verhandeln mit Gläubigern.
Bei diesem Freiwilligendienst geht es nicht etwa darum, die Arbeit der zuständigen Ämter und Fach-beratungsstellen zu ersetzen. Die Engagierten sollen den Hilfesuchenden beistehen, das Leben zu meistern. Ihr großer Vorteil dabei: Sie können den in Not Geratenen von Mensch zu Mensch begegnen und ihnen Mut machen, wie das ein Beamter einem Leistungsempfänger gegenüber nicht kann.
Und: Sie können sich Zeit nehmen. Zeit, die man braucht, um nach Auswegen aus dem Dilemma zu suchen und Lösungen zu finden. Auch die Sozialbürokratie profitiert von der Zusammenarbeit mit den Freiwilligen. Bevor sich Freiwillige als Sozialpaten engagierten, hatten die Beamten fast resigniert vor der Menge der Hoffnungslosen, die im fünf Minuten Takt in ihrem Büro vorsprachen. Mitt-lerweile können sie sich den harten Fällen widmen, während die Freiwilligen sich darum kümmern, dass es nicht noch mehr werden.

Einmal aktiv immer aktiv

Kostbare Freizeit opfern, ohne einen Cent dafür zu bekommen - kann man dafür die Jugend begeis-tern? Man kann – sagen die Verfasser der Engagementstudie. Allerdings seien auch hier moderne Formen des Engagements gefragt, jenseits der traditionellen Ehrenamtskultur. Für eine langfristige Bindung sind Jugendliche heute kaum noch zu haben. Sie wollen sich projektbezogen und zeitlich begrenzt engagieren und dabei Aufgaben übernehmen, bei denen sie eigene Vorstellungen und Fä-higkeiten mit einbringen können. In Augsburg reagiert man auf die heutigen Ansprüche junger Men-schen und versucht dabei, sie schon sehr früh an spannende und dringend notwendige Aufgaben heranzuführen. Denn - auch das bestätigt die Sozialforschung - wer in jungen Jahren den Einstieg in ein Ehrenamt findet, der wird sich als Erwachsener eher für das Wohl seiner Mitmenschen einsetzen.

Das Jugendförderprogramm „Change in“

„Change in“, ein speziell auf Achtklässler zugeschnittenes Schülerprogramm, bietet Jugendlichen in Augsburg die Gelegenheit zum Lernen von Engagement. Dabei können Zwölf- bis Vierzehnjährige sich über einen Zeitraum von drei Monaten 40 Stunden freiwillig in sozialen, kulturellen oder ökolo-gischen Einrichtungen engagieren. Giraffenwaschen und Elefantenmisten, im Altenheim mit den Bewohnern Karten spielen, in der Stadtbücherei mithelfen – die Möglichkeiten für Jugendliche, sich ehrenamtlich zu engagieren sind zahlreich. Sie können an 130 Einsatzstellen aktiv werden. Bereits seit fünf Jahren gibt es dieses mehrfach ausgezeichnete Vorzeigeprojekt schon und der Zuspruch der Jugendlichen gibt den Organisatoren Recht in ihrem Bemühen: Mehr als 350 Schüler nehmen an je-der Runde der Freiwilligen-Aktion teil. Mit „Change in“ hat man bis heute über 2.500 Jugendliche erreicht und damit ein breites Fundament für die Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements in Augsburg gelegt.

Vermittler zwischen den Kulturen

Besonders benachteiligte Migrantenkinder werden von "Stadtteilmüttern" betreut
Besonders benachteiligte Migrantenkinder werden von "Stadtteilmüttern" betreut | Bild: BR

In städtischen Räumen und Regionen, die stark von gesellschaftlichen Veränderungen betroffen sind, entstehen häufig neue Arten des Bürgerschaftlichen Engagements, um die auftretenden Probleme und Herausforderungen bewältigen zu können. Die Integrationsarbeit ist ein gutes Beispiel dafür, und es verwundert nicht, dass eine Stadt wie Augsburg, in der ein Drittel der Bevölkerung einen Migrationshintergrund hat, auch hier die Richtung vorgibt. Integration scheiterte bisher vor allem daran, dass ausländische Mitbürger noch nicht so gut Deutsch sprechen können. Egal ob beim Arzt, bei Beratungsstellen oder bei Ämtern – wer sich nicht so gut ausdrücken kann, hat ein Problem. Besonders Migrantenkinder, die in doppelter Halbsprachlichkeit aufwachsen, gehören zu den Verlierern von morgen. Das sollen in Augsburg Freiwillige aus dem jeweiligen Kulturkreis, sogenannte Stadtteilmütter, verhindern helfen. Sie sprechen beide Sprachen und kennen die kulturellen Eigenheiten ihrer Landsleute genauso wie die Spielregeln der deutschen Gesellschaft.

Die Integration beginnt beim Kaffeeplausch

"Schule" auch für Erwachsene. Eltern und Schüler helfen sich gegenseitig
"Schule" auch für Erwachsene. Eltern und Schüler helfen sich gegenseitig | Bild: BR

55 Stadtteilmütter gibt es bereits in Augsburg: Sie leiten türkische, russische, italienische und assyrische Gruppen. Einmal in der Woche laden sie ihre Landsleute zu einem Zusammensein in ungezwungener Atmosphäre ein. Meist sind es Mütter mit kleinen Kindern, die das Angebot annehmen.
Nur Stadtteilmütter kommen an diese Frauen heran. Ihnen vertrauen die Migranten. Ein Erfolg, nach dem sich Politiker und Verantwortliche lange Jahre sehnten. Bei dem Treffen unterrichten die Stadtteilmütter nicht nur die Kinder, sie achten auch darauf, dass deren Mütter die deutsche Sprache lernen. Für viele ausländische Schüler ist Deutsch eine reine 'Schulsprache'. Nehmen jedoch auch die Eltern, insbesondere die Mütter, ganz bewusst am deutschen Schulalltag und damit auch an deutscher Kultur teil, können sie ihre Kinder viel intensiver fördern und die Integration erheblich erleichtern.

Adressen & Links

Homepage des Bündnisses für Augsburg mit einer Übersicht über die vielfältigen ehrenamtlichen Initiativen. http://www.augsburg.de/

Homepage der Augsburger Jugendinitiative "Change in".
www.change-in.de/

Autor: Michael Steinlein

Stand: 05.07.2013 10:43 Uhr

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