So., 25.01.09 | 17:03 Uhr
Das Erste
Die Reise der Beagle
Am 27. Dezember 1831 verlässt die HMS Beagle den Hafen von Plymouth in England. Die kleine Brigg soll die Küsten Südamerikas vermessen und über Australien und Afrika wieder nach England zurückkehren.
Auf vier Jahre angelegt, wird die Reise letztlich fast fünf Jahre dauern. An Bord ist auch ein junger Theologe und Hobby-Naturforscher – der 22jährige Charles Darwin. Eigentlich will er die Reise nutzen, um die Vielfalt der göttlichen Schöpfung kennen zu lernen und zu beschreiben. Die Erkenntnisse allerdings, die er auf der Reise gewinnen wird, werden das gängige Weltbild umstoßen.
Über die Kanaren nach Brasilien
Die erste Etappe führt die Beagle über die Kanaren zu den Kapverdischen Inseln.
Darwin beginnt schon hier mit glühendem Eifer, alle Tiere, die aus dem Meer gefischt werden, zu beschreiben, zu klassifizieren und in Alkohol einzulegen. Die meisten Organismen sind der Wissenschaft noch völlig unbekannt. Schließlich ist die exakte Naturwissenschaft noch im Entstehen; ein wirklicher Beruf war "Naturforscher" seinerzeit noch nicht. Die meisten Kenntnisse über die Natur verdankte man Hobby-Forschern wie Charles Darwin.
Nach wochenlanger Fahrt erreicht die Beagle die Küste Brasiliens. Darwin, der während der gesamten Reise immer wieder von übler Seekrankheit geplagt wurde, ist froh, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Die überwältigende Vielfalt des Lebens im Regenwald entschädigt ihn für die Strapazen der Reise. Tausende von Tier- und Pflanzenarten leben hier – allerdings keineswegs wie in einem Paradies, wie Darwin bemerkt. Es kommt ihm zum ersten Mal die Idee vom "Kampf ums Überleben", den die Organismen jeweils auf ihre eigene Weise ausfechten müssen. Dabei fällt ihm auf: es gewinnt keineswegs immer der Stärkere. Schwächere können zum Beispiel mit "Geheimwaffen" wie Tarnung und Täuschung ebenfalls ihre Nische finden.
Argentinien: Zufallsfund mit Folgen
Weiter geht die Fahrt entlang der brasilianischen Küste nach Argentinien. Am Strand von Bahia Blanca will Darwin geologische Untersuchungen durchführen – und macht dabei zufällig eine entscheidende Entdeckung.
Er stößt auf die versteinerten Knochen eines riesigen, offensichtlich ausgestorbenen Tieres. Später wird sich herausstellen: sie gehören zu einem vor 10.000 Jahren ausgestorbenen und bis zu sechs Meter großen Riesenfaultier.
Natürlich kannte man versteinerte Knochen auch schon früher. Meist wurden sie aber mythologisch interpretiert, als Überbleibsel sagenhafter früherer Welten.
Darwin aber fällt die Ähnlichkeit der Knochen mit denen noch lebender Tiere auf – auch solchen von ganz anderen Kontinenten. Die Tiere scheinen sich offensichtlich im Laufe der Erdgeschichte verändert und der jeweiligen Umwelt angepasst zu haben. Arten, denen das nicht gelang, sind ausgestorben. Aber wie passt das alles mit dem göttlichen Schöpfungsplan zusammen?
Chile: Die Welt im Wandel
Die Beagle setzt ihre Fahrt fort: In heftigen Stürmen rund um Kap Horn, mit einem Zwischenstopp auf Feuerland und weiter entlang der chilenischen Küste nach Norden. Die Vermessungsarbeiten verlaufen erfolgreich. Darwin nutzt die notwendigen Zwischenstopps zu ausgedehnten Expeditionen in die Anden, die seinen Schöpfungsglauben endgültig ins Wanken bringen. In großen Höhen findet er Muschel-Versteinerungen. Wie kommen die hierher?
Dieser Boden muss vor langer Zeit unterhalb des Meeresspiegels gelegen haben und anschließend nach oben gehoben worden sein. Wie aber soll das in nur 6.000 Jahren passiert sein? Dieses Alter der Erde hatten Theologen aus der Genesis errechnet. Darwin wird klar: die Erde muss sehr viel älter sein als die Bibel beschreibt. Kein Wunder, dass sein Weltbild mehr und mehr ins Wanken gerät. Im wahrsten Sinn erschüttert wird sein Bild von der unveränderlichen Erde, als er in der Nähe von Valdivia in Chile ein schweres Erdbeben erlebt. Die eindrückliche Erfahrung bestätigt ihn in seiner Grundidee, dass die gesamte natürliche Welt instabil und ständigem Wandel unterworfen ist.
Galapagos: Wie Arten entstehen
Von Südamerika nimmt die Beagle westlichen Kurs auf die Galapagos-Inseln – der wohl entscheidenden Station der Reise. Darwin ist fasziniert: Auf dem vulkanischen Inselarchipel leben Tiere, die es nirgends sonst gibt. 1.000 Kilometer von der Küste Südamerikas entfernt, hat sich die Natur hier anscheinend völlig ungestört und einzigartig entwickeln können. Dabei unterscheiden sich die Tiere und Pflanzen auf den verschiedenen Inseln voneinander.
Vor allem die unscheinbaren Finken hinterlassen einen nachhaltigen Eindruck auf den jungen Forscher. Jede Insel, so scheint es, hat eine eigene Variante hervorgebracht, die sich durch die Form ihrer Schnäbel unterscheidet – eine Anpassung an die unterschiedlichen Ernährungsgewohnheiten. Die "Darwin-Finken" sollen später in die Geschichte eingehen – als Paradebeispiel für die Entstehung neuer Arten durch Isolation des Lebensraums.
Mit den Entdeckungen auf den Galapagos-Inseln ist der Grundstein gelegt für die Gedanken, die später in die Evolutionstheorie münden werden. Die Reise der Beagle allerdings wird noch mehr als ein Jahr dauern. Nach einem Abstecher zu den Cocos-Inseln bei Sri Lanka führt sie über Australien, das Kap der Guten Hoffnung und nach einem nochmaligen Abstecher nach Südamerika, wo wegen eines Fehlers ein Stück der Küste neu vermessen werden musste, zurück nach England. Nach fast fünf Jahren auf See und einer Reise um die ganze Welt wartet nun die eigentliche Arbeit auf Darwin: die Zusammenfassung seiner Eindrücke zu einer Theorie der Entstehung der Arten.
Autor: Martin Schneider
Stand: 26.09.2012 16:37 Uhr