So., 30.08.09 | 16:00 Uhr
Das Erste
Evolution und Psychologie – Der Urmensch in mir
Nicht nur äußerlich unterscheiden sich mitunter Frau und Mann. Auch Unterschiede in Psyche und Verstand sind ein altes Erbe. Unsere Urverwandten lebten in Sippen und hier bildeten sich die unterschiedlichen Rollen der Geschlechter aus, die noch heute unser Verhalten bestimmen. Doch die Wurzeln dafür liegen in der Biologie. Der Evolutionspsychologe Harald Euler von der Universität Kassel glaubt, dass vor allem der uralte Wunsch nach Nachkommen zu den verschiedenen Lebens-Strategien führt: „Wenn eine Frau viele Nachkommen haben will, muss sie sich intensiv um die wenigen Kinder kümmern, die sie überhaupt in ihrem Leben kriegen kann. Ein Mann kann das auch machen, aber er kann zusätzlich noch viele Gene hinterlassen wenn er möglichst viele Frauen sexuell erobern kann. So kommt es, dass es in der fernen Vergangenheit schon viele Schürzenjäger gab, aber keine Hosenjägerinnen. Und das ist als evolutionäres Erbe immer noch in uns.“
Schürzenjäger ja, Hosenjägerinnen nein
„Er“ ein Schürzenjäger und „Sie“ auf der Suche nach dauerhaften Bindungen? Tatsächlich bindet sich jede Frau - damals wie heute - durch eine Schwangerschaft und die Pflegebedürftigkeit ihrer Kinder stärker an eine Gruppe. Doch ist das Liebchen am Herd nicht längst passé? Und ist der Jäger im Mann - ständig auf der Suche nach Frischfleisch und Röcken - wirklich noch so dominant?
Statistisch gesehen lässt sich unser Verhalten auf eine kurze Formel der Evolutionspsychologie bringen, so Harald Euler: „Die Frau will einen Mann und der Mann will Sex!“ Wenn da stimmt, kommt „sie“ womöglich mit ihrem Verhalten „seinem“ Wunsch nach vielen Frauen unbewusst nach. Denn hinter ihrer Schönheitspflege, dem Besitz unendlich vieler Paar Schuhe oder mehrmals täglichem Wechsel der Garderobe steckt vielleicht eine uralte Strategie. „Sie wechselt ihr Outfit, sie wechselt auch schon mal eher ihre Frisur, oder sogar ihre Haarfarbe um ihrem Mann unbewusst zu signalisieren: Guck mal, Du hast heute eine andere!“ so Evolutionspsychologe Euler.
Für „Sie“ zählt Größe, für „Ihn“ zählen Proportionen
Was „er“ sieht, bestimmt sein Verhalten. Nachweislich achten Männer auf die Proportionen ihres weiblichen Gegenübers. Sie hingegen achtet statistisch bei der Partnerwahl wenn überhaupt höchstens auf die Körpergröße. Dieses „Maßnehmen“ könnte in der uralten Suche nach einem großen Beschützer begründet sein, glaubt Harald Euler. „Große Männer setzen sich eher durch unter Männern, haben typischerweise einen höheren Rang, verdienen mehr als kleinere Männer und deswegen gucken Frauen gerne zunächst nach größeren Männern.“ Was natürlich nicht heißt, dass sich mangelnde Körpergröße nicht durch Intelligenz oder Humor kompensieren ließe.
Doch ist das Verhalten etwa einer modernen, selbständigen Frau von heute wirklich so sehr in der Evolution verwurzelt? Harald Euler ist davon überzeugt: „Es gibt Untersuchungen aus den USA, wo man die Partnerwahlkriterien von älteren professionellen Frauen untersicht hat, also Architektinnen, Bänkerinnen, Rechtsanwältinnen – da könnte man ja meinen, die brauchen keinen Mann mehr mit Versorgerqualitäten, die könnten sich ja einen jungen knackigen Boy an ihre Seite nehmen. Aber, nein – diese vierzig bis fünfzig Jahre alten Frauen, die selber Geld haben und Status haben, die wollen einen Mann haben, der noch mehr verdient als sie, der ihnen intellektuell mindestens gleichwertig ist, und der eine Schulter hat, an die sie sich anlehnen können.“
Männer wollen Sex und Frauen wollen einen Mann
Wie sehr auch moderne Menschen in ihrem Verhalten das alte Erbe mit sich tragen, zeigt ein Experiment. Attraktive Menschen stellten ihrem unbekannten Gegenüber drei Fragen: Wollen wir einen Kaffee trinken? Wollen wir uns bei mir treffen? Wollen wir ins Bett gehen?
Immerhin 56 Prozent der Frauen ließen sich auf die Tasse Kaffee ein, bei den Männern war es die Hälfte. Sich zu Hause treffen wollte kaum eine Frau, das Bett spontan miteinander teilen gar keine, aber 75 (!) Prozent der Männer! Für Harald Euler ist das kein Zufall: „Wenn es um schnellen kostenlosen Sex geht, da sind Männer sehr schnell für zu haben, Frauen sind sehr zurückhaltend, wenn es um unverbindlichen Sex geht.“
Von der Steinzeit lernen
Kinder waren in früheren Zeiten das Resultat der Sexualität. Doch wir leben nicht mehr in der Steinzeit. Kultur und Verstand haben sich jenseits des Lagerfeuers weiterentwickelt. Und doch bestimmt unsere Vergangenheit dann und wann das Verhalten der beiden Geschlechter.
Was nicht nur Nachteile hat, denn: „Unterschiede ziehen sich an.“ Auch das ist übrigens eine Weisheit, die uns die Evolution lehrt.
Autor: Axel Wagner (SWR)
Stand: 03.11.2015 14:20 Uhr