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Neues vom aufrechten Gang

Ich geh’ mal ins Schwimmbad – Ist der aufrechte Gang im Wasser entstanden?

Vorsichtig gehen zwei Frauen ins Wasser
Vorsichtig gehen zwei Frauen ins Wasser. | Bild: WDR

Sie gehen gerne ins Schwimmbad? Ihr Picknick machen Sie am liebsten in der Nähe eines schönen Gewässers? Und Ihre Lieblingsspeise ist Fisch? Wenn Sie diese Fragen mit Ja beantwort
3en können, gehören Sie zu einer großen Mehrheit, die in weltweiten Studien und Umfragen genau dies bestätigt hat. Aber wussten Sie auch, dass Sie diese Vorlieben womöglich von Ihren frühesten Vorfahren geerbt haben? Neuesten Forschungen zufolge haben wir im Wasser gelernt auf zwei Beinen zu gehen - vor etwa sechs Millionen Jahren.

Ein großer Schritt für die Menschheit

Der aufrechte Gang und unsere Liebe zum Wasser scheinen auf den ersten Blick betrachtet nur wenig gemein zu haben. Doch der Berliner Biologe Professor Carsten Niemitz hat eine Theorie entwickelt, die vielen Urmenschenforschern mittlerweile als einzig plausible Erklärung für einen der rätselhaftesten Schritte menschlicher Evolution gilt. Niemitz geht davon aus, dass es für ein Landlebewesen eigentlich keinen vernünftigen Grund gibt, aufrecht zu gehen. Vierbeiner bewegen sich sch neller und vor allem viel sicherer voran als Zweibeiner. So hat ein Mensch zum Beispiel kaum eine Chance wenn er versucht, einem Geparden zu entkommen.

Gründe fürs Wassertreten

Es muss also einen anderen, triftigen Grund dafür gegeben haben, warum unsere Vorfahren sich irgendwann vor etwa sechs Millionen Jahren aufgerichtet haben und damit sogar den tödlichen Nachteil gegenüber besagtem jagenden Geparden in Kauf nahmen. Für Carsten Niemitz kann das nur der buchstäbliche Gang ins Wasser gewesen sein.
Indizien für seine Theorie hat Niemitz in vielen verschiedenen Wissenschaften gesucht und gefunden.

Urmenschenforschung

Afrika: Wo heute die meisten Fossilien der ältesten Vorfahren moderner Menschen zu finden sind, war vor etwa sechs Millionen Jahren der Rand eines riesigen Regenwaldes. Diese Region war durchzogen von unzähligen Wasserläufen, Tümpeln und Seen. Die Vormenschen waren an diesen Lebensraum offenbar optimal angepasst – das heißt: Sie müssen hier auf ganz bestimmte Nahrungsquellen spezialisiert gewesen sein. Doch welche Nahrung war das?
Niemitz hat in einer Fachpublikation einen Artikel über den etwa drei Millionen Jahre alten Vormenschen Paranthropus gefunden: Amerikanische Wissenschaftler untersuchten die fossilen Knochen des Paranthropus auf Einlagerungen bestimmter Isotopen, die deutliche Hinweise auf die Ernährung geben. Ihr Fazit: Paranthropus kann nicht in erster Linie, wie bisher vermutet, ein vegetarisch lebender „Nussknacker“ gewesen sein. Er hat sich sehr wahrscheinlich hauptsächlich mit Nahrung versorgt, die er aus Gewässern gesammelt hat: nämlich Muscheln. Und so wurde aus den vermeintlichen „Nussknacker“ ein „Muschelknacker“.

Die Entwicklung des Gehirns

Modell des Gehirns
Modell des Gehirns. | Bild: WDR

Zu etwa 60 Prozent seiner Trockenmasse besteht die komplizierte Struktur des menschlichen Gehirns aus besonders hochwertigen Fetten. Und die wiederum sind meistenteils aus sogenannten Omega-3-Fettsäuren aufgebaut, die dem Organismus durch eine bestimmte Ernährung zugeführt werden müssen. Enthalten sind sie vor allem in fettem Fisch und anderen Meeresfrüchten, wie zum Beispiel Muscheln. Noch heute, so Niemitz und mit ihm viele Mediziner, ist Fisch eine der wichtigsten Grundlagen für eine gesunde Ernährung – insbesondere zur positiven Entwicklung des Gehirns bei Kleinkindern.

Primatenforschung

Primatenforschung
Primatenforschung. | Bild: WDR

Einige seiner stärksten Argumente hat Carsten Niemitz im Fernsehen gefunden. Szenen aus Dokumentarfilmen, die zum Beispiel Gorillas oder Schimpansen zeigen, die durch flache Gewässer waten. Sie tun das einerseits, um breite Tümpel oder Flüsse zu durchqueren, aber auch um Nahrung zu suchen – und manchmal sogar ganz einfach nur zum Spaß. In jedem Fall aber stellen sich die Menschenaffen dabei immer auf zwei Beine – und gehen! Im Gegensatz dazu waren unsere Vorfahren wahrscheinlich regelrecht an ein Leben am und im Wasser spezialisiert. Dadurch haben sie den Aufrechten Gang irgendwann erlernt und beibehalten.

Das Unterhaut-Fettgewebe

Der Körper des modernen Menschen zeigt nach Ansicht Carsten Niemitz deutliche Anzeichen einer Anpassung an längere Aufenthalte im Wasser. Gemeinsam mit Kollegen der Berliner Universität stellte er thermografische Aufnahmen sowohl von Affen als auch von Menschen her. Derartige Bilder zeigen, wo und wie stark der Körper Wärme an die Atmosphäre abgibt. Es stellten sich erstaunliche Unterschiede heraus: Affen geben die Wärme vor allem über das Gesicht, die Arme und Beine ab, Menschen aber hauptsächlich über das Gesicht und die Brust. Bauch, Arme und Beine sind gut isoliert durch das so genannte Unterhaut-Fettgewebe. Für Niemitz ist das eine sehr deutliche Anpassung an längeres Waten in kühlem Wasser. Gestützt wird dieses Indiz durch weltweit gemachte Beobachtungen, dass viele Menschen seit Generationen ihre Nahrung aus Gewässern holen, indem sie schlicht hinein waten und sie dort aufsammeln.

Vieles stützt die These

Für den Beginn des aufrechten Gangs im Wasser hat Carsten Niemitz bisher nach seiner persönlichen Einschätzung rund 60 Indizien gefunden. Wissenschaften wie zum Beispiel die Parasitologie oder gar die Urlaubsforschung scheinen seine These zu stützen. Und selbst der renommierte Urmenschenforscher Friedemann Schrenk hält Niemitz’ Idee für die bisher einzig plausible Erklärung dafür, warum wir Menschen uns irgendwann einmal auf zwei Beine gestellt haben und – stehen geblieben sind.

Literatur

Carsten Niemitz, Das Geheimnis des Aufrechten Gangs: Unsere Evolution verlief anders. Verlag C.H. Beck, 2004.

Autor: Jo Siegler (WDR)

Stand: 11.05.2012 13:09 Uhr

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