So., 28.06.09 | 17:03 Uhr
Das Erste
Flugsicherheit und Flugangst
Die Angst fliegt mit
Der Blick durch das kleine Seitenfenster ist beunruhigend: Bedrohlich wackeln die Flügel, während die Kabine vibriert und rumpelt. Das ist ein normaler Start mit einem Passagierjet. Kein Grund zur Sorge, so muss das klingen. Oder doch nicht? Natürlich, die Gefahr, mit dem Flieger abzustürzen, ist verschwindend gering: 0,0000004 Prozent. Weitaus wahrscheinlicher ist es, irgendwann einmal von einem Auto überfahren zu werden. Aber die Möglichkeit, doch der eine Fluggast unter 2,5 Millionen anderen zu sein, der diesen Flug nicht überleben wird, besteht. Und während die Maschine polternd die Nase hochnimmt und von der Landebahn abhebt, ist im Kopf kein Platz für Wahrscheinlichkeitsrechnung, sondern nur für Angst.
Was ist Aviophobie?
Ein Viertel aller Deutschen fliegt äußerst ungern, zehn Prozent davon haben Aviophobie - Flugangst. "Die gibt es aber eigentlich gar nicht", sagt Frank Eisenberg. Der Psychologe hat sich auf die Furcht vorm Fliegen spezialisiert. In Seminaren, im Simulator und auf gecoachten Flügen hilft er Menschen, die sich - wenn überhaupt - nur unter Qualen in die Luft wagen. Vom dienstreisenden Vielflieger bis zum gelegentlichen Urlaubsreisenden - alle können betroffen sein. Genauso unterschiedlich wie die Menschen sind auch die Ursachen, denn: "Aviophobie ist die Verstärkung von anderen Ängsten, die nicht unbedingt mit dem Fliegen zu tun haben müssen", erklärt Eisenberg. "Die Wenigsten haben selbst schon brenzlig wirkende Situationen erlebt, wie Turbulenzen oder Luftlöcher. Angstanfälle und Panikattacken verstärken meist andere Phobien, nicht konkrete Flugerfahrungen: Platzangst, Höhenangst, das Gefühl, nicht eingreifen zu können, die Sorge, ausgeliefert zu sein, oder schlicht die Angst vor der Angst."
Wissen gegen die Angst
So wie bei Melanie Meier. "Wenn die Stewardess früher die Tür zu machte, ging gar nichts mehr. Heulen, Zittern, Weinkrämpfe." Heute, auf dem Flughafen Paderborn-Lippstadt klingt das schon ganz anders. "Da würde ich schon gerne mitfliegen", sagt sie heute mit Blick auf einen startenden Urlaubsjet. Geholfen hat ein Kurs. Erster Schritt: Sich der Angst stellen und erkennen, wovor man sich denn eigentlich fürchtet. Zweiter Schritt: Verstehen, was mit Mensch und Flugzeug geschieht: Warum fliegt eine Maschine und was passiert, wenn doch etwas schief geht? "Wir können einen Unfall im zivilen Luftverkehr fast ausschließen", beruhigt Lufthansa-Co-Pilot Matthias Baur. Und er klärt einige typische Angstauslöser.
1. Warum rumpelt das Flugzeug beim Start?
"Dieses Gefühl der Passagiere, das Flugzeug wäre vielleicht ein bisschen wackelig, rührt daher, dass die verschiedenen Bauteile, die in ein Flugzeug verbaut sind, eine gewisse Flexibilität haben müssen. Je nach Luftdruck dehnt sich die Kabine ein bisschen aus oder zieht sich zusammen. Und das wird von den Passagieren dann wahrscheinlich als schlechte Verarbeitung wahrgenommen. Ist es aber nicht.“
2. Können die Flügel abbrechen?
"Ein Flügel kann praktisch nicht abbrechen. Die Flügel sind fest mit der Zelle des Flugzeugs verbunden. Also von daher gibt es keine Bruchstelle an dieser Stelle. Des Weiteren werden die Flügel Tests ausgesetzt. Diesen Belastungen, die dort auftreten, denen ist ein Flugzeug in der Luft nie ausgesetzt."
3. Was, wenn ein Triebwerk ausfällt?
"Der Ausfall eines Triebwerks ist für uns völlig unproblematisch. Wir können das Flugzeug sicher bis zum Zielflughafen weiterfliegen. Sollten wirklich mal alle Triebwerke ausfallen, was sehr, sehr unwahrscheinlich ist, auch dann ist das Flugzeug weiterhin fliegbar."
4. Was, wenn das Fahrwerk klemmt?
"Wir können die Fahrwerke mit verschiedenen Systemen ausfahren, per Hydraulik oder manuell. Sollte es im schlimmsten Fall einmal dazu kommen, dass ein Teil des Fahrwerks ausfällt, kann ein Flugzeug auch auf dem vorhandenen, restlichen Fahrwerk sicher landen."
Panik in den Griff bekommen
Aber alles Wissen um Technik und professionelle Ausbildung der Piloten schützt nicht vor der Angst. "Wenn es doch zu einer Panikattacke kommt, sollte man sich nicht auf die Frage nach dem Warum konzentrieren", rät Psychologe Eisenberg. In erster Linie gelte es dann, den Körper in den Griff zu bekommen. Ruhig Ausatmen und dann zwei Sekunden die Luft anhalten schützt gegen Hyperventilation. Wenn der Körper beginnt, vor Angst zu verkrampfen, lässt sich das nutzen. "Die Muskeln von oben nach unten zusätzlich anspannen und anschließend wieder lösen", empfiehlt der Flugangst-Trainer. Danach seien Betroffene entspannter als vorher. Beruhigungsmittel und Alkohol hingegen seien gegen Flugangst nicht geeignet: "Das sind Vermeidungsstrategien, die die Symptome, aber nicht die Ursache lindern." Stattdessen: Im Vorfeld Stress vermeiden und eine Checkliste anfertigen, um die Reise "vom Einpacken des Koffers bis zum Auspacken" durchzuplanen, sagt Frank Eisenberg. Das gebe ein sicheres Gefühl, auch in schwierigen Momenten.
Ganz verschwinden wird die Angst vor dem Fliegen nicht. Aber in den Griff bekommen kann man sie, damit eines Tages der Blick auf den startenden Jet kein mulmiges Gefühl auslöst, sondern eher ein aufgeregtes Kribbeln, wie bei Melanie Meier. Bald wird sie ihre Aviophobie weiter reduzieren können: Im August geht es in den Urlaub. Mit dem Flugzeug.
Adressen & Links
Eisenberg Beratung & Kommunikation
Institut für Flugangst und Personal Coaching
Sommermorgen 11
34471 Volkmarsen
Tel. 05693915540
Verschiedene Fluglinien bieten Seminare an, bei denen Passagiere ihre Flugangst in den Griff bekommen können.
Autoren: Stefan Venator/Lars Kaufmann (HR/NDR)
Stand: 11.05.2012 13:05 Uhr