So., 08.11.09 | 17:03 Uhr
Das Erste
Goldrausch in der Tiefsee
Tausende Meter unter der Meeresoberfläche erkunden Forscher den größten Lebensraum der Erde: die Tiefsee. Sie bedeckt zwei Drittel der Erdoberfläche, ist jedoch erst zu etwa fünf Prozent erforscht. Mit aufwändiger Technik stoßen auch deutsche Forscher in diese fremde Welt vor. Was sie entdecken, übertrifft alle Erwartungen: Millionen unbekannte Tierarten, sowie Rohstoffe in rauen Mengen. Während an Land die Vorkommen langsam aber sicher zur Neige gehen, liegt in der Tiefsee die vermutlich größte Schatzkammer der Erde. Ihre Eroberung hat bereits begonnen – mit noch kaum absehbaren Folgen für die Umwelt.
Auf Schatzsuche vor Neuseeland
Im südlichen Pazifik, vor der Küste Neuseelands, sticht das deutsche Forschungsschiff "Sonne" in See. An Bord sind Forscher aus Kiel, Neuseeland und den USA. Einer der modernsten Tauchroboter der Welt soll hier getestet werden: "Kiel 6000". Er ist ausgestattet mit Greifarmen, Scheinwerfern und Videokameras. Mit Hilfe des Roboters wollen die Geologen den Tiefseeboden vor Neuseeland erstmals genauer erkunden.
Die Anschaffung des Roboters war die Idee von Prof. Peter Herzig. Der Leiter des Kieler Meeresforschungsinstituts IFM-GEOMAR begründet das Ziel der ersten Reise des High-Tech-Gerätes so: "Wir haben diese Region ausgesucht, weil wir bestimmte Rohstoffvorkommen hier untersuchen möchten, die wir auch vom Typ her in anderen Meeresbereichen untersucht haben, und die auch für Deutschland und für die Rohstoffversorgung in Europa einmal eine Rolle spielen könnten."
Unbekanntes Leben in ätzender Umgebung
Vom Kontrollraum an Bord der "Sonne" aus lenken sie den Roboter ferngesteuert hinab ins Meer. Nach über einer Stunde, in 1.600 Metern Tiefe, stoßen sie auf ein vulkanisches Gebiet. Es liegt voller sogenannter Schwarzer Raucher: Geysir ähnliche Gebilde am Meeresboden, aus denen vierhundert Grad heißes Wasser sprudelt. Dieses Wasser enthält wertvolle Mineralien aus der Erdkruste. Dass es in so einer Umgebung Leben gibt, hat die Fachwelt vollkommen überrascht. Doch Garnelen, Würmer und Muscheln halten ätzendes Schwefelwasser und einen 160-fachen Druck, die an den Schwarzen Rauchern herrschen, aus. Bei jedem Tauchgang in die Tiefsee entdecken Forscher Hunderte noch unbekannte Lebewesen.
Goldminen am Meeresboden
Doch die Geologen interessieren sich vor allem für die Gebiete am Rande der Schwarzen Raucher. Dort haben sich wertvolle Mineralien abgesetzt. Der schwarze "Rauch" erstarrt zu Gestein voller Kupfer, Zink, Silber und Gold. Dieser Meeresboden könnte eine Erzmine der Zukunft sein - mitten in einem einzigartigen Lebensraum.
Tiefsee-Pläne der Bundesregierung: Manganknollen
Mehr als 20.000 Kilometer entfernt, in Hannover, werden sogenannte Manganknollen an der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe untersucht. Die Knollen sehen aus wie runzelige, schwarze Kartoffeln und stammen aus dem Pazifik aus 5.000 Metern Tiefe. Kaum jemand weiß, dass die Bundesregierung es bereits auf diese Knollen abgesehen hat. In Hannover sollen die Rohstoff-Experten herausfinden, ob es sich lohnt, die Manganknollen abzubauen. Sie könnten Deutschland unabhängiger von Rohstoffimporten machen.
In den Knollen haben sich über Millionen von Jahren Metalle um einen harten Kern herum abgelagert. In den Metallschichten finden sich nicht nur das Eisen ähnliche Mangan, nach dem die Knollen benannt sind, sondern auch Kupfer, Nickel und Kobalt in hohen Konzentrationen. Die Knollen sind Milliarden wert.
Spuren der Zerstörung in 5.000 Metern Tiefe
Die Pläne der Bundesregierung alarmieren die Meeresbiologen des staatlichen französischen Meeresforschungsinstituts Ifremer. Die Umweltforscher sind genau dorthin getaucht, wo der Abbau der Manganknollen stattfinden soll. Tatsächlich ist der Boden des Pazifiks in einem Gebiet zwischen Hawaii und Mexiko, eine Fläche so groß wie die USA, voller Knollen. Doch die Biologen finden bei ihren Tauchgängen inmitten der Knollenfelder jede Menge Leben, auch in 5.000 Metern Tiefe.
Einem tanzenden Oktopus mit Ohr ähnlichen Flossen geben sie den Spitznamen Dumbo. Dumbo lebt gefährlich. Ganz in seiner Nähe stoßen sie auf Spuren von Zerstörung: eine etwa zwei Meter breite Furche im Meeresboden, die aussieht, als sei erst gestern dort ein Bagger durchgefahren.
Pläne aus den 70er-Jahren sollen Realität werden
Die Forscher wissen, dass diese Spur bereits über 30 Jahre alt ist. Sie stammt von einem Abbautest in den 70er-Jahren. Mit einem langen Schlauch holte damals ein Firmen-Konsortium 800 Tonnen Manganknollen an Bord. Auch die deutsche Industrie war beteiligt. Doch wenig später brachen die Rohstoffpreise ein, der teure Tiefseebergbau lohnte sich nicht mehr, die Knollen gerieten in Vergessenheit - bis heute. Ihr Abbau soll nun in viel größerem Maßstab Realität werden.
Lenaick Menot, Meeresbiologe bei Ifremer, schildert, dass der Meeresboden auf einer Fläche von mehreren Tausend Quadratkilometern umgegraben werden soll. "Woher sollen die Tiefseearten kommen, um diese Fläche wieder zu besiedeln?" fragt er sich. "Wir wissen zwar, dass sie grundsätzlich dazu in der Lage sind, aber nicht, wie lange sie dafür brauchen."
Regeln für den Tiefsee-Bergbau
Auf der "Sonne" laufen die Tests des neuen Tauchroboters gut. Die Kieler Geologen brauchen das Know-how, denn sie wissen: Auch die Schwarzen Raucher sollen abgebaut werden. Ein kanadisch-australischer Konzern will schon im Jahr 2010 vor der Küste Papua-Neuguineas damit beginnen, ein weiterer Konzern will bald vor Neuseeland den Abbau der Schwarzen Raucher starten. Ob sich die Tierwelt davon erholen könnte, ist auch in diesen Gebieten völlig unklar. Peter Herzig und seine Kollegen suchen nach Regeln für den verantwortungsbewussten Umgang mit der Tiefsee. Schutzgebiete sollen entstehen, ebenso wie Vorschriften für die Industrie. Doch die Arbeit der Forscher wird zum Wettlauf gegen die Zeit.
Autorin: Sarah Zierul (WDR)
Stand: 07.11.2012 17:00 Uhr