So., 08.11.09 | 17:03 Uhr
Das Erste
Plastiksuppe im Pazifik
Kaisei heißt auf japanisch Meeresplanet. Das Segelschiff mit diesem Namen gehört einer amerikanischen Stiftung zum Schutz der Meere. Von San Francisco aus setzt die Kaisei Kurs auf den Nordpazifik. Ihr Ziel: der unheimliche Plastikstrudel, auch “Plastic Soup” genannt.
An Bord der Kaisei: eine bunte Truppe von jungen Seglern und Umweltaktivisten, die sich freiwillig für das Projekt gemeldet haben. Außerdem Meeresbiologen, Ozeanografen und Chemiker, die das Phänomen studieren wollen.Fotografen und Videofilmer wollen der Welt die ersten Bilder von der Plastiksuppe liefern.
Doug Woodring von der Stiftung "Ocean Voyages Institute" leitet das Projekt Kaisei. “Das Projekt Kaisei wurde als Expedition angelegt”, sagt Doug, “und soll in erster Linie Aufmerksamkeit auf das Problem lenken. Dann wollen wir die Auswirkung auf das Ökosystem studieren. Und schließlich wollen wir Lösungen finden zum Einsammeln und eventuellen Recyceln des Plastikmülls.”
Systematische Suche nach Plastikabfall
Im Zentrum des Plastikstrudels herrscht Flaute. Die Kaisei und ein zweites dazu gestoßenes Forschungsschiff beginnen das Meer systematisch, Planquadrat für Planquadrat, abzusuchen. Was man sieht, ist oft nur die Spitze des sprichwörtlichen Eisbergs. Unter ein paar grünen Strippen an der Wasseroberfläche verbirgt sich ein endlos langes, sogenanntes Geisternetz. Von kommerziellen Fischfangbooten verloren, treiben diese Plastikmonster herrenlos im Meer - eine tödliche Falle für alle Meerestiere und Vögel, die sich darin verfangen. Jeder Versuch, das Knäuel zu entwirren, ist zum Scheitern verurteilt.
Was ist die richtige Sammelmethode?
Ein Ziel der Expedition ist es, verschiedene Sammelmethoden zu testen. Der gute alte Kescher taugt am besten für die groben Kunststoffteile, die im Meer treiben, überwiegend Plastikflaschen. Aber was die junge Biologin vom Schlauchboot aus zusammengefischt hat, ist eigentlich das kleinere Problem. Der Großteil des Plastikmülls, der auf 100 Millionen Tonnen (!) geschätzt wird, ist unsichtbar. Man erkennt ihn weder von Bord eines Schiffes aus noch aus der Luft.
Doug Woodring erklärt, warum die Plastiksuppe so lange verborgen blieb: “All dieses Material wird von der Sonne aufgebrochen. Die UV-Strahlung macht es porös und die Wellenbewegung zerreibt es mit folgendem Ergebnis: sehr kleine Partikel, die sich über die ganze Meeresoberfläche ausbreiten. Du siehst es nicht vom Boot aus, aber wenn du mit feinen Netzen an der Oberfläche danach fischst, dann findest du das. Dieses Kleinmaterial ist schwer einzusammeln, wie man sich vorstellen kann. Aber potenziell stellt es die größte Gefahr für das Meeresleben dar.”
Mit ausgeklügelten Schleppnetzen verschiedener Form und Maschendichte fischen die Forscher das Kleinmaterial aus dem Wasser. Wenn man nach der Beschriftung auf den größeren Plastikteilen geht, stammt der Großteil des Mülls aus Asien und dort wiederum aus China.
Viel Plastik, wenig Lebendes
Das aufgesammelte Material wird in den Labors an Bord einer ersten Untersuchung unterzogen. Wichtig dabei ist vor allem die Frage: Inwieweit gehen Meerestiere schon eine Lebensgemeinschaft mit dem Kunststoff ein wie zum Beispiel Fischlaich, der an einem Plastiksplitter haftet? Oder Muscheln an einer Boje?
In einer Wasserprobe unter dem Mikroskop sieht man wie Mikroben in Symbiose mit dem Plastik leben. Dabei nehmen sie krebserregende Schadstoffe auf und geben sie über die Nahrungskette an die Fische - und letztendlich an uns Menschen weiter. Eine Biologin an Bord sagt uns: “90 Prozent von dem, was wir auffangen, sind Plastik-Polymere, aber wenig Zeichen von Leben. Das ist wirklich sehr beunruhigend.”
Die Spitze des Eisbergs
Eine Sammelröhre wird für einen Tiefentest abgelassen. Damit sind die Wissenschaftler bis auf 200 Meter Tiefe gegangen - und haben dort immer noch Plastikteilchen gefunden. Bis heute weiß niemand, wie tief die Plastiksuppe eigentlich reicht. Doug Woodring versucht das Problem mit einem Vergleich anschaulich zu machen: “Man muss sich das so vorstellen: Wir haben das Dach des Ozeans verschmutzt. Wenn ein Fisch da hochschaut, dann ist das für ihn wie eine Decke. So wie wir den Smog am Himmel kaum sehen aber trotzdem einatmen, so geht es dem Fisch. Das haben wir getan, in einem Riesengebiet dieses Ozeans und im größten Ökosystem der Erde.”
Zeit zum Handeln
Die Kaisei-Expedition hat erschreckende Erkenntnisse über die Bedrohung der Weltmeere durch Plastik gesammelt. Ihr Verdienst ist es, die Menschheit auf eine tickende Umwelt-Zeitbombe aufmerksam gemacht zu haben. Jetzt sind Wissenschaftler und Politiker an Land gefordert, schnell zu reagieren und Lösungsstrategien zu erarbeiten.
Autor: Ulli Weissbach (BR)
Stand: 21.05.2013 14:04 Uhr