So., 07.06.09 | 17:10 Uhr
Das Erste
Greifswalder Oie
Anfahrt für Tapfere
Stampfend schiebt sich der Bug in die Wellen, die über die Bordwände auf das Vorschiff klatschen und den "Seeadler" schwer ins Schlingern bringen. Hier, kurz vorm Hafen von Freest in der Nähe von Peenemünde, zeigt die sonst so ruhige Ostsee ihre raue Seite. Knapp über eine Stunde Fahrt haben die zehn Tagesausflügler noch vor sich, die sich bei strammem Nordostwind auf die gischtgrauen Wogen trauen. Dann werden die Konturen klarer, die sich zunächst als flacher Block am Horizont abzeichnen: die Greifswalder Oie, ein schmaler Streifen Land zwölf Kilometer vor der Küste Mecklenburg-Vorpommerns. Und ein echtes Vogelrefugium.
Ankunft
An der engen Hafeneinfahrt werden die Wellen wieder flacher, bevor das Schiff in einem eleganten Bogen an die Mole gleitet. Anlegen ist hier eigentlich verboten, nur der "Seeadler" und ein Seenotrettungskreuzer dürfen in dem Nothafen festmachen. Der 1,5 Kilometer lange Felsen ist streng bewachtes Vogelschutzgebiet.
Am Pier werden die durchgeschüttelten Besucher schon von einem brütenden Schwan, einer aufgeregt kreischenden Möwe und einer netten jungen Dame begrüßt. Für zwei Stunden wird sie über die Insel und auf den Leuchtturm führen, Informationen zu den Vogelarten auf der Oie geben und dafür sorgen, dass die Touristen nicht aus Versehen auf eines der Möwenjungen treten, die zwischen den Steinen am Hafen umherklettern.
Bewegte Geschichte
Das "Helgoland der Ostsee", wie die Oie mit ihrer Steilküste genannt wird, war bis zum Ende der DDR Sperrgebiet. NVA-Soldaten waren auf dem Eiland stationiert und lauschten Richtung Westen. Neben dem 150 Jahre alten Leuchtturm verfallen die Garagen, in denen die Abhörfahrzeuge geparkt waren. Heute haben die Schwalben hier das Kommando übernommen und ihre Nester unter die hohen Decken geklebt. Genauso wie in der alten Maschinenhalle, in der zerlegte Generatoren vor sich hinrosten. An der Küste hat die Natur die alten Bunkerreste fast schon überwuchert, die von der Zeit vorm Kalten Krieg zeugen. Raketenwissenschaftler des Dritten Reiches testeten auf der Insel die erhoffte Wunderwaffe V1. Wernher von Braun war mit seinem Stab in der heutigen Schutzstation untergebracht.
Arbeitsplatz der Ornithologen
Seit 1990 betreibt der Verein Jordsand auf der Oie einen der wenigen ganzjährig besetzten Außenposten. Aufgabe der Mitarbeiter: Vögel fangen, beringen und Daten über den Zustand der Tiere sammeln. Die Ergebnisse der Vogelschützer werden mit denen anderer Beringstationen europaweit verglichen. So lassen sich genaue Angaben über Zugrouten, Verbreitung und Population einzelner Arten vergleichen und Veränderungen aufzeigen. 7.500 Tiere haben die Vogelkundler dieses Jahr bereits beringt, insgesamt sind es mehr als 250.000. Ein anstrengender Job für das Team um Inselchef Mathias Mähler.
Die Maschen der Vogelschützer
Morgens um halb vier müssen die ersten raus, um die Netze im Fanggarten aufzuziehen. Bis dahin bleiben die Insgesamt 200 Meter Fanggeschirr, die über die ganze Insel verteilt sind, eingerollt. Tausende Maikäfer, die mit der Dämmerung über die Insel schwirren, würden sonst in den Maschen ihr Ende finden. Die speziell auf einzelne Vogelarten zugeschnittenen Netze werden an taktisch günstigen Orten aufgehängt, damit den Forschern möglichst viele Tiere in die Fänge geraten: Für Greifvögel große Maschen auf einer freien Wiese, engere Durchlässe, um Singvögel zu fangen, die zwischen den Buschreihen hin und herfliegen. Ein erfolgreiches Konzept, das der Verein Jordsand hier schon seit 1990 anwendet.
Wenig Luxus für die Frühaufsteher
Wo einst an der Verlängerung des Krieges gearbeitet wurde, geht es heute minimalistisch zu. Strom von der hauseigenen Solaranlage ist in dem klapprigen Bau der Vogelschützer knapp und nachts muss das kleine Geschäft mit einem Schwall Wasser aus dem bereitstehenden Eimer weggespült werden. Entbehrungen, die die Helfer vom Verein Jordsand für die Wissenschaft gerne auf sich nehmen. Neben Vogelwart Mähler sind immer einige Freiwillige auf der Insel: Zivis und Jugendliche, die hier ein ökologisches Jahr absolvieren. In einem kleinen Raum im Erdgeschoss landen die Vögel, die das Team erbeutet. Hier werden sie beringt und die Daten in den Computer eingetippt, bevor es aus dem Fenster wieder zurück in die Freiheit geht.
Siebenschläfer stören die Idylle
Doch obwohl die Vögel hier ein geschütztes Fleckchen Erde finden, lauern auf die mehr als 170 Arten, die auf der Oie rasten oder brüten, noch einige Gefahren. Im Moment die größte Bedrohung: der Siebenschläfer. Mehr als 400 der knopfäugigen Nager vermuten die Vogelschützer auf der Insel. Mitte der 1990er wurden sie eingeschleppt und sind seither auf dem Vormarsch. Ohne natürliche Feinde haben sich die nachtaktiven Tiere rasant ausgebreitet, einziges Problem: Sie fressen Eier aus den Gelegen und machen auch vor schon geschlüpften Vögeln nicht Halt. Da Siebenschläfer unter Artenschutz stehen, müssen die Vogelkundler dem Treiben der Kleinen tatenlos zusehen. In mehr als einem Drittel der Gehege haben die Inselwarte die Räuber schon entdeckt. Eingeschleppte Tiere haben bereits in den 1970ern ganze Kolonien verdängt. Erst Jahre nachdem ein Fuchsrudel von der Oie verschwunden ist, das fast alle Möwen verdrängt hat, siedeln sich jetzt wieder vereinzelte Brutpaare an. Die Untersuchungen vom Verein Jordsand werden zeigen, was die Siebenschläfer auf dem Vogeleiland anrichten.
Während nach zwei Stunden der "Seeadler" wieder aus dem Hafen Richtung Festland tuckert, gehen die Vogelfänger auf ihre stündliche Kontrolltour. Abends um acht kehrt auf dem kleinen Außenposten Ruhe ein. Dann werden die Fangnetze wieder eingerollt und auch das Vogelgezwitscher verstummt. Ein paar Stunden Ruhe für die Tierschützer, bevor sie am nächsten Tag wieder mit der Sonne aus dem Bett müssen.
Adressen & Links
Die Homepage des Vereins Jordsand zum Schutz der Seevögel und der Natur e.V., der sich auch der Vogelwelt auf der Greifswalder Oie verschrieben hat.
www.jordsand.eu
Autoren: Christine Buth / Lars Kaufmann (NDR)
Stand: 21.05.2013 14:01 Uhr