So., 04.10.09 | 17:03 Uhr
Das Erste
Imperium der Viren
Im Februar 2003 begann in Hongkong eine Virus-Attacke, die Monate später ein gutes Ende nahm. Der Arzt Professor Liu Jian-Lun aus Südchina reiste nach Hongkong, um an der Hochzeit seiner Nichte teilzunehmen. Er fühlte sich krank, hatte starken Husten. Ohne es zu wissen, brachte er einen unsichtbaren Killer mit. Mit jedem Husten schleuderte er unzählige Erreger in die Luft. Innerhalb von 48 Stunden infizierte er in dem Hotel, in dem er abstieg, mindestens 17 andere Gäste mit einer neuen Krankheit, SARS, einer fiebrigen Lungenentzündung. Liu Jian-Lun starb zehn Tage später im Krankenhaus. Im Körper der ahnungslosen Hotelgäste reiste das SARS-Virus um die Welt. Es erreichte in wenigen Tagen Singapur, Vietnam und Toronto.
Erfolgreicher Kampf gegen SARS
Einige Tage später landete der erste SARS-Kranke auch in Frankfurt am Main. Alle Passagiere dieses Flugs wurden in Quarantäne genommen. Auf der Isolierstation entnahm man dem Patienten Proben des noch unbekannten Virus. Die besten Hochsicherheitslabore in aller Welt arbeiteten an seiner Identifizierung und an einem Test, um SARS von einer harmlosen Erkältung zu unterscheiden. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) fürchtete damals eine Pandemie mit Millionen von Toten und sorgte dafür, dass Kranke konsequent isoliert wurden. Die Maßnahmen hatten Erfolg. Der letzte Fall ist von Anfang 2004 bekannt. Die Seuche SARS forderte knapp 800 Todesopfer und wütete besonders in China und Hongkong. Der Mensch gewann schließlich den Kampf gegen das gefährliche Virus.
Angriff der Viren
Jeden Tag werden wir von Viren attackiert, die versuchen, in unseren Körper zu gelangen. Nobelpreisträger Joshua Lederbert schrieb: "Viren sind unsere einzigen Rivalen um die Herrschaft auf diesem Planeten. Sie suchen nach Nahrung – und wir sind ihr Stück Fleisch." Und Mike Ryan von der WHO ist sicher: "Es wird auf jeden Fall wieder eine Pandemie geben, sei es Grippe, SARS oder etwas ganz anderes. Das ist das Schicksal der Menschen."
Verborgen im Körper von Fluggästen, die noch gar nicht wissen, dass sie krank sind, können Viren heutzutage mühelos um die Welt jetten. Je dichter gedrängt potenzielle Opfer leben und je schlechter ihre Lebensbedingungen sind, desto größer ist die Gefahr, die von Viren ausgeht. "Viren dezimieren jede Überbevölkerung. Das ist einer der grundlegenden Prozesse in der Natur", erklärt Albert Osterhaus, Virologe der Erasmus Universität in Rotterdam. "Wenn die Menschheit also weiter wächst, wird es immer mehr Gelegenheiten für Viren geben, den Menschen anzugreifen."
Virenspuren in unserem Erbgut
Seit es Menschen gibt, werden sie von Viren attackiert. Diese Angriffe sind Teil der menschlichen Evolution. Das lässt sich sogar in unserem Erbgut nachweisen. Virologe Paul Biesniasz von der New Yorker Rockefeller Universität hat in seinem Labor ein Millionen Jahre altes Virus wieder zum Leben erweckt. Es gehört zur Gruppe der Retroviren, so wie das HI-Virus, das AIDS auslöst. Beim Versuch, unsere Vorfahren zu infizieren, wurde es in deren Erbgut eingebaut. Die Verteidigung unserer Vorfahren war damals erfolgreich, denn das Virus ist seit Millionen Jahren ausgerottet. In unserem Erbgut kann man die Spuren dieser Viren aber noch finden. Unser Erbgut ist durchsetzt mit solchen uralten Viren-Fragmenten. Etwa acht Prozent der menschlichen DNA sind Überreste von Infektionen.
Historische Detektivarbeit
Virologen suchen nun nach weiteren Spuren von Viren, und zwar auf Friedhöfen. Infektionen haben die Friedhöfe gefüllt und dabei Fingerabdrücke hinterlassen. Sie zu entschlüsseln ist allerdings kompliziert und mühselig. Bei dieser historischen Detektivarbeit werden Zähne und Knochen von Verstorbenen untersucht und daraus das Erbmaterial gewonnen. Möglicherweise haben Virenattacken die menschliche Evolution beschleunigt und wir hätten uns ohne Viren gar nicht so rasant entwickelt. Außerdem suchen die Forscher nach Erklärungen, warum manche Menschen Virusepidemien überlebt haben. Die Wissenschaft beginnt gerade erst die komplexen Mechanismen von Infektionen zu verstehen.
Adressen & Links
Auf der Website des Department of Virology der Universität Rotterdam gibt es Informationen zur deren Forschung (engl.).
www.virology.nl
Autor: Freddie Röckenhaus (WDR)
Stand: 11.05.2012 13:06 Uhr