So., 15.11.09 | 17:03 Uhr
Das Erste
Kraft der Gedanken
Ist es möglich, einen Computer alleine mit Gedankenkraft zu steuern? Also ganz ohne Maus, Tastatur oder Sprachbefehle? Es klingt nach Science Fiction. Doch an der Uni Maastricht in den Niederlanden gibt es Gehirnforscher, die behaupten, das schon zu können. Stimmt das? Dennis Wilms hat es für "W wie Wissen" im Selbstversuch getestet.
In Maastricht wird Dennis Wilms von den beiden Gehirnforschern Rainer Goebel und Bettina Sorger erwartet. Für das Experiment muss Dennis in den Keller der Psychologischen Fakultät, wo ein sogenannter Magnetresonanztomograph (MRT) steht. Mittels MRT bekommen die Forscher Einblick in das Gehirn von Probanden. Rainer Goebel ist nicht nur Psychologe und Gehirnforscher, er hat auch die Software namens "BrainVoyager" entwickelt, die weltweit von vielen Forschungsgruppen genutzt wird, um Gehirnfunktionen im MRT zu untersuchen. Bettina Sorger, Goebels Doktorantin, wird das Experiment mit dem "W wie Wissen"-Moderator durchführen.
Gehirnaktivität "lesen" lernen
Bevor Dennis in die Röhre des Tomographen steigt, erklärt Bettina Sorger ihm das Experiment. In einem ersten Schritt wird sie versuchen, verschiedene Bereiche in Dennis' Gehirn zu finden, die nur aktiv sind, wenn er gerade in Gedanken eine bestimmte Tätigkeit ausführt: kopfrechnen, in Gedanken ein Gedicht aufsagen oder innerlich zeichnen. Haben Tomograph und Software in seinem Gehirn erst einmal diese Bereiche identifiziert, kann Dennis diese Gehirnzentren im nächsten Schritt bewusst einsetzen, um damit ein Computerprogramm zu steuern. So die Theorie, aber ob das auch bei Dennis Wilms funktioniert?
Im Gehirnscanner
Dann wird es ernst. Dennis legt sich in den Gehirnscanner. Der wird nicht direkt Dennis' Gehirnströme messen, sondern vielmehr, welcher Bereich des Gehirns gerade besonders gut durchblutet wird. Dreidimensional und auf den Millimeter genau. Je heftiger ein Gehirnzentrum arbeitet, desto besser wird es auch mit Blut versorgt. So können die Forscher indirekt die Gehirnaktivität zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt bestimmen. Und damit wollen sie auch bei Dennis die Bereiche seines Gehirns finden, die aktiv sind, wenn er kopfrechnet oder in Gedanken spricht oder zeichnet. Über Spiegel schaut Dennis im MRT auf einen Computermonitor. So kann er alle Aufgaben, die ihn erwarten, ablesen.
Dennis' Gehirn wird erkundet
Als erstes erhält Dennis die Anweisung "Sprechen". Der Moderator hat dafür einen Klassiker vorbereitet. Ein Gedicht aus seiner Schulzeit, Goethes "Prometheus". Lautlos in Gedanken spricht er vor sich her: "Bedecke deinen Himmel, Zeus, Mit Wolkendunst! Und übe, Knaben gleich, Der Disteln köpft ..." Und tatsächlich: Im Nebenraum erkennt Bettina Sorger, dass ein Zentrum seines Gehirns besonders heftig arbeitet. Auf ihrem Bildschirm sieht sie ein Bild von Dennis Wilms' Gehirn. Ein Bereich wird durch die Software grün hervorgehoben – das Sprachzentrum des W-wie-Wissen-Moderators.
Dann bekommt Dennis die Anweisung "Zeichnen". In Gedanken malt er eine Blume. Jetzt arbeitet ein anderes Zentrum in Dennis' Kopf. Der Gehirnscanner erkennt es und stellt diesen Bereich rot eingefärbt dar. Ebenso findet Bettina Sorger auch ein drittes Zentrum, das nur aktiv ist, wenn Dennis kopfrechnet. Teil 1 des Experiments ist geglückt. Bettina Sorger kennt nun drei Gehirnzentren, mit denen Dennis später weiterarbeiten kann.
Multiple-Choice mit Gedankenkraft
Das eigentliche Experiment steht Dennis noch bevor. Er soll mittels Gedankenkraft einen Computer steuern. Genauer gesagt, soll er die Gehirnzentren bewusst aktivieren, um Bettina Sorger Informationen zu übermitteln. Tomograph und Software werden dabei wieder seine Gehirnaktivität messen.
Erste Aufgabe: Dennis soll Fragen beantworten. Auf dem Bildschirm liest der Moderator: "Welches der Tiere magst du am liebsten? A: Hund, B: Katze, C: Pferd, D: Elefant". Um die Auswahl zu treffen, soll Dennis, wenn der entsprechende Buchstabe aufleuchtet, in Gedanken entweder zeichnen oder sprechen. Dennis entscheidet sich für den Elefanten, also D. Das Computerprogramm gibt ihm vor, was er zu tun hat. Für A und C müsste Dennis innerlich zeichnen, für B und D soll er in Gedanken sprechen. Also stellt sich Dennis darauf ein, wieder sein Gedicht aufzusagen. Doch wie wird der Tomograph zwischen den Antwortmöglichkeiten B und D unterscheiden? Für beide gilt die Anweisung "Sprechen". Die Lösung: Dennis trifft diese Auswahl nicht nur darüber, welches Gehirnzentrum er aktiviert, sonder zu welchem Zeitpunkt. So wird seine Antwort verschlüsselt: Was kompliziert klingt, macht das Computerprogramm einfach: Dennis muss nur dann sein Sprachzentrum aktivieren, wenn der Buchstabe seiner Wahl aufleuchtet. Für Antwort D steht: Erst entspannt bleiben, nach einigen Sekunden innerlich sprechen. Wieder zitiert er Goethes Prometheus. Der Tomograph erkennt das und schlägt vollautomatisch eine Antwort vor: D, Elefant. Das Experiment ist geglückt: Dennis konnte eine Information mit reiner Gedankenkraft übermitteln.
Brainpong
Bettina Sorger erhöht jetzt den Schwierigkeitsgrad. "Dennis, wir wollen mit dir ein Spiel spielen, wenn du willst." Natürlich will Dennis das Spiel ausprobieren. Es ist Computerspielklassiker "Pong". Der Spieler muss hier einen Curser so steuern, dass er einen Ball trifft. Allerdings wird Dennis die Pong-Version spielen, die der Gehirnforscher Rainer Goebel für den Tomographen programmiert hat: "Brainpong". Die Schwierigkeit für Dennis: Er soll den Schläger komplett ohne Maus oder Tastatur bewegen, wieder nur mit der Kraft der Gedanken. Bettina Sorger hat dafür ein Gehirnzentrum ausgewählt, das umso heftiger arbeitet, je schneller Dennis in Gedanken spricht. Sie gibt ihm letzte Anweisungen: "Je höher du den Schläger haben willst, desto schneller musst du in Gedanken sprechen. Viel Spaß!" Dann startet sie das Spiel. Die ersten Bälle verfehlt Dennis. Doch langsam gehorcht der Schläger immer besser seinen Gedanken. Will Dennis den Schläger nach oben bewegen, rattert er das Gedicht in hoher Geschwindigkeit in Gedanken herunter. Und wirklich. Wie von Geisterhand bewegt, steigt der Schläger höher und trifft den Ball. Der nächste Ball nähert sich tiefer, Dennis bremst seine innerliche Sprechgeschwindigkeit. Wieder gehorcht der Schläger Dennis' Gedanken. Am Ende hat er die Hälfte der Bälle getroffen – ganz ohne Training. Auch dieses Experiment ist geglückt. Bettina Sorger befreit den Moderator aus der engen Röhre. Dennis ist erschöpft und froh, dass er sich jetzt wieder bewegen darf.
Hilfe für Locked-in-Patienten
Doch wofür der ganze Aufwand? Wird man das Verfahren in naher Zukunft in irgendeinem Bereich einsetzen können? "Unsere Vision ist es, das jetzt wirklich in die Klinik zu bringen. Patienten damit zu helfen", erklärt Rainer Goebel. "Und zwar für Patienten, die sich nicht mehr bewegen können, die in ihrem Körper gefangen sind. Die weder sprechen, noch die Arme bewegen können." Sogenannte Locked-in-Patienten, deren Gehirn zwar noch funktioniert, die aber komplett gelähmt sind. Rainer Goebels Ziel ist, dass solche Menschen ihre Wünsche und Bedürfnisse wieder ihrer Umwelt mitteilen können.
Neben der klinischen Anwendung stellt sich aber auch die Frage, ob es in Zukunft möglich sein wird, auf Basis dieser Technik Gedanken ganz unmittelbar zu lesen. "Heute machen wir das ja noch sehr indirekt", so Rainer Goebel, "Wir glauben, dass in wenigen Jahren, wenn die Geräte und die Auswertung verfeinert sind, man sich direkt den Buchstaben oder ein Wort vorstellen kann, und wir wahrscheinlich das direkt auslesen können. Also das Gedankenlesen wird sicher in der Zukunft immer genauer möglich sein. In dem Sinne wird die Science Fiction immer realistischer."
Adressen & Links
Informationen zum Locked-In-Syndrom gibt es auf der Website des Vereins Locked-In-Syndrom e.V.
www.locked-in-syndrom.org
Autor: Frank Nischk (WDR)
Stand: 29.07.2013 10:44 Uhr