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Leben mit halbem Hirn

Philipps Schädel zeigt deutlich den schwarzen Hohlraum, wo die rechte Großhirnhälfte fehlt
Anstelle der rechten Hirnhälfte ist ein schwarzer Hohlraum zu erkennen | Bild: WDR

Wie kann ein Mensch mit nur einer Gehirnhälfte leben? Kaum ein Organ des Körpers scheint so verletzlich und kostbar wie das Gehirn zu sein. Schon bei kleinsten Störungen würden wir verheerende Folgen erwarten, schwere geistige und körperliche Behinderung oder gar Koma. Philipp aber lebt seit seinem elften Lebensjahr mit nur einer Großhirnhälfte. Der heute 29-Jährige ist ein ehrgeiziger Psychologiestudent und begeisterter Sportler.

Als Kind litt er so schwer unter Epilepsie, dass sein Leben bedroht war. An manchen Tagen hatte er bis zu 30 Anfälle. Die Mediziner in der Klinik Mara in Bielefeld-Bethel griffen zum letzten Mittel, das ihnen blieb, und schnitten die kranke Hirnhälfte heraus. Philipp war einer der ersten Patienten der Epilepsieklinik, die so radikal operiert wurden.

Hirnwasser im Hohlraum

Den Kontakt zu seinen Ärzten hat er gehalten, hin und wieder besucht er mit seiner Mutter die Klinik. Nur der leicht schleppende Gang und die gelähmte linke Hand sind als Folgen der schweren Operation noch erkennbar. Wie nach einem Schlaganfall ist seine linke Seite beeinträchtigt, denn Philipps rechte Großhirnhälfte wurde entfernt.

Heute wird so operiert, dass nur die Verbindungen im Gehirn gekappt werden. Die Aufnahmen von Philipps Schädel aber zeigen auf einer Seite nur schwarz - nichts. Hirnwasser hat den Hohlraum gefüllt.

Banges Warten nach der OP

In seiner alten Station oder in den Klinikfluren – überall trifft er Pfleger oder Ärzte, die ihn freudig begrüßen. Eher beklemmend ist für ihn der Aufwachraum der Klinik. Den Tag der OP, den 13. November, feiert er wie einen zweiten Geburtstag.

Philipps Mutter weiß noch, wie beruhigt sie war, als Philipp nach dem Aufwachen die ersten Worte sprach. Wie bei den meisten Menschen sitzt Philipps Sprachzentrum in der linken Hirnhälfte, war also durch die Operation nicht betroffen. Für den Jungen begann eine lange Zeit der Rekonvaleszenz mit intensivem Training und Nachoperationen zum Beispiel der gelähmten Hand.

Zunächst hatte man ihm eine Sonderschule empfohlen, aber schnell war klar, dass Philipps Intellekt nicht gelitten hatte. Im Gegenteil, der Junge war überdurchschnittlich intelligent. Danach hat er vieles ausprobiert – Schachspielen genauso wie Schwimmen oder Tauchen. Mehr als hundert Tauchgänge hat er bereits absolviert.

Die linke Hirnhälfte steuert die linke Körperseite

Philipp mit einem Arzt
Philipp und sein Arzt | Bild: WDR

18 Jahre nach der entscheidenden Operation kann Philipp viel mehr als seine Ärzte ursprünglich erwartet hatten. Er kann laufen, sich räumlich orientieren und auch sein Blickfeld ist viel größer als zu Beginn. Es zeigt sich, dass Philipp ohne rechte Hirnhälfte seine linke Seite steuern kann. Normalerweise steuert das Gehirn den Körper immer spiegelverkehrt.

Im Magnetresonanztomographen stellen ihm seine Neurologen verschiedene Aufgaben und das Ergebnis verblüfft. Die verbleibende linke Hirnhälfte hat sich quasi neu verdrahtet und steuert nun beide Körperseiten, die linke dabei etwas schlechter. Das funktioniert nur, weil Philipp zum Zeitpunkt der OP mit elf Jahren gerade noch jung genug war, bestätigt Dr. Alois Ebner, Leiter der Klinik Mara.

Eine gelungene Operation

Philipp steht heute kurz vor seinem Abschluß in Neuropsychologie. Wenn er andere kleine Epilepsie-Patienten trifft, dann versucht er ihnen Mut zu machen. Ein Exot will er nicht sein, aber ein Beispiel dafür, was alles möglich ist, wenn man nicht aufgibt. "Das Geheimnis ist der Kämpferwille", sagt er selbstbewusst.

120 Patienten hat die Klinik Mara in den vergangenen zwanzig Jahren ähnlich radikal wie Philipp operiert. Philipp hatte danach nie wieder einen Anfall.

Adressen & Links

Informationen zu Epilepsie gibt es auf der Website des Epilepsie Zentrum Bethel des Krankenhauses Mara.
www.evkb.de

Autorin: Bärbel Wegener (WDR)

Stand: 11.05.2012 13:01 Uhr

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