So., 26.04.09 | 17:10 Uhr
Das Erste
Krankmachender Gestank
Gestank macht Ärger
Gestank gehört zu den häufigsten Beschwerden bei Behörden, obwohl in der Öffentlichkeit oft nur über Lärm oder Elektrosmog diskutiert wird.
Gestank bedeutet also: Angst, Ärger und Sorgen um die Gesundheit. Mit diesen Emotionen wenden sich Anwohner dann an die Verursacher, etwa Industriebetriebe, Klärwerke oder Müllverbrennungsanlagen und die zuständigen Behörden. Im ersten Halbjahr 2006 beispielsweise verzeichnete das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen 699 Beschwerden wegen Gestank - hinter Lärm der zweithäufigste Beschwerdegrund.
In einem konkreten Fall haben die Betreiber des Großklärwerks Köln-Stammheim ein Gutachten in Auftrag gegeben, um herauszufinden, was nach dem Bau neuer Abdeckungen an Geruch noch nach außen dringt. Denn als die Anlage vor 15 Jahren in Betrieb gegangen ist, haben sie nach eigenen Angaben die Geruchsproblematik unterschätzt. Der Betrieb der Kläranlage, die für die Abwässer von fast 85 Prozent aller Kölner Haushalte und Industriebetriebe zuständig ist, bedeutete eine deutliche Geruchsbelastung für die umliegenden Ortsteile. Es stank wirklich und die Menschen beschwerten sich. Die Stadtentwässerungsbetriebe Köln haben Baumaßnahmen ergriffen und wollen nun prüfen lassen, ob und wie diese dazu geführt haben, die Geruchsbelastung zu minimieren.
Das Gutachtenproblem
Eine Besonderheit der Geruchswirkung besteht darin, dass sie in der Regel durch ein Gemisch von gasförmigen Substanzen hervorgerufen wird. Die einzelnen Bestandteile dieses Gemisches sind gar nicht bekannt und/oder liegen in so geringer Konzentration vor, dass sie messtechnisch nicht nachweisbar sind. Zudem lässt sich der Geruchseindruck, den ein Geruchsgemisch beim Menschen hervorruft, nicht auf einen Einzelstoff zurückführen, sondern wird unter anderem auch durch Wechselwirkungen der Geruchsstoffe untereinander beeinflusst. Eine weitere Schwierigkeit, die den Einsatz gängiger technischer Messverfahren weitgehend ausschließt, ist die Fähigkeit des menschlichen Geruchssinnes, Geruchseindrücke mit einer zeitlichen Auflösung von etwa zwei bis vier Sekunden zu unterscheiden, je nach der Frequenz, mit der man atmet. Dazu kommt, dass vor allem im Außenbereich die Faktoren Tageszeit- und Jahreszeit, aber auch klimatische Verhältnisse eine sehr wichtige Rolle spielen.
Gerüche im Außen- und Innenbereich werden deshalb mit Hilfe von Messverfahren bestimmt, deren alleiniger Detektor die menschliche Nase ist.
Beim Geruchsgutachten in Köln werden speziell ausgewählte Probanden, also Testriecher, gebeten, über einen längeren Zeitraum in einem ganz bestimmten Raster rund um das Klärwerk Köln-Stammheim Messpunkte aufzusuchen und dort zu riechen. Die Testriecher müssen dann ihre subjektiven Empfindungen über Art, Intensität und Wirkung des Geruchs aufschreiben. Der Aufwand für dieses Geruchsgutachten ist also enorm: Die Messung läuft über ein Jahr, mit 104 Messterminen und etwa 12 bis 15 Prüfern, die zu allen möglichen Tages- und Nachtzeiten die einzelnen Messpunkte aufsuchen. Wobei es nicht darum geht, besonders empfindliche Nasen einzusetzen, sondern reproduzierbare Antworten auf der Basis von Personen mit einer mittleren Geruchsempfindlichkeit zu bekommen.
Die Auswahl der Nasen
Nicht jeder kann ein Testriecher werden. Um herauszufinden, ob die Gutachter-Nasen zu diesen "Personen mit mittlerer Geruchsempfindlichkeit" gehören, nutzt das Gutachterbüro das Olfaktometer. Damit kann man den Geruchsschwelle - kurt GSW - erfassen, die minimale Konzentration eines gasförmigen, sensorisch aktiven Stoffes, die ein Lebewesen durch den Geruchssinn gerade noch wahrnehmen kann.
In diesem Fall kommt N-Butanol zum Einsatz, eine typisch und stechend riechende Flüssigkeit, deren Ausgasung alle Testriecher in großer Verdünnung schnuppern müssen. Die Verdünnung wird langsam reduziert, die Geruchskonzentration steigt dadurch kontinuierlich an und die Teilnehmer zeigen per Knopfdruck, ob und wann sie den Geruch wahrnehmen. So weiß jeder, wo seine Geruchsschwelle liegt und ob er als Gutachten-Nase geeignet ist.
Die Geruchsimmissions-Richtlinie (GIRL)
Es ist kein einfacher Weg, sich dem Stinken objektiv zu nähern. Denn Geruch lässt sich schwer messen, kaum in Kategorien oder Grenzwerte fassen. Der einzige rechtliche Rahmen für Gestankfragen in Deutschland ist die "Geruchsimmissions-Richtlinie" mit der schönen Kurzform GIRL. Damit soll festgelegt werden, was letztendlich bei den Menschen in Sachen Gestank ankommen darf. Gerüche sind Immissionen nach § 3 Abs. 2 Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG). Als solche sind sie der Nachbarschaft nur zumutbar, solange sie keine schädlichen Umwelteinwirkungen im Sinne des § 3 Abs. 1 BImSchG darstellen. Eine allgemein verbindliche Bestimmung der Grenze, ab wann Gerüche eine schädliche Umwelteinwirkung darstellen, ist aber sehr schwierig. Um nicht in jedem Einzelfall mit erheblichem Aufwand gutachterlich diese Schädlichkeitsgrenze feststellen zu lassen und eine weitgehende Einheitlichkeit des Vollzugs sicherzustellen, wurde die Geruchsimmissionsrichtlinie (GIRL) eingeführt.
Aktuell gilt diese Richtlinie in der Fassung vom 29. Februar 2008 und einer Ergänzung vom 10. September 2008, Darin wird mittlerweile auch die Hedonik ausführlich berücksichtigt, also die Bewertung eines Geruchs als angenehm oder unangenehm. Im Falle hedonisch eindeutig angenehmer Gerüche kann deren Beitrag zur Gesamtbelastung nunmehr mit dem Faktor 0,5 gewichtet werden. Die Einstufung als angenehm oder unangenehm erfolgt anhand sogenannter "Polaritätenprofile", die den eingesetzten Probanden/Probandinnen anhand einer Vielzahl von Kriterien eine Einstufung als Duft oder Gestank abverlangen.
Das System der Geruchsimmissions-Richtlinie im Übrigen ist weitestgehend beibehalten worden. Dies gilt insbesondere für die Beurteilung von Gerüchen anhand der zwischen Wohn-/Mischgebieten und Gewerbe-/Industriegebieten unterscheidenden Immissionswerte. Danach dürfen in Wohn-/Mischgebieten Gerüche an nicht mehr als 10 vom 100 Hundert der Jahresstunden und in Gewerbe-/Industriegebieten an nicht mehr als 15 vom Hundert der Jahresstunden wahrnehmbar sein.
Auch innen kann es stinken
Geruch und Gestank in Innenräumen ist ebenfalls ein großes Thema. Überall dort, wo Böden verlegt, Wände gestrichen oder Materialien verbaut werden, kann es zu unerwünschten Ausdünstungen kommen. Die in ihrer Wirkung und Intensität zu beurteilen ist Aufgabe von Dr. Florian Mayer vom Fraunhofer-Institut für Bauphysik (IBP) in Holzkirchen. Welche Substanz die Nase nervt, findet Mayer heraus, indem er Mensch und Maschine zu einer "Supernase" koppelt. Ein verdächtiges Bauteil, eine verdächtige Farbe oder ein verdächtiger Bodenbelag kommt dazu in eine geruchlose Edelstahlkammer, die mit Luft durchspült wird.
Laien schnuppern
Dann schlägt auch hier die Stunde der Testriecher, allerdings sind es untrainierte Nasen, ein sogenanntes "Laien-Panel". 30 bis 50 Riecher beider Geschlechter und möglichst aller Alterstufen schnuppern an dem, was aus einer Edelstahlkammer strömt und schreiben ihre subjektiven Riechempfindungen auf.
Im weiteren Verlauf der Untersuchung wird der Boden dann zermahlen, die auströmende Luft aufgefangen und in einen Gas-Chromatographen geleitet, der die miefende Mischung in seine Bestandteile zerlegt. Gleichzeitig schnüffelt nun Florian Mayer als geübte Nase an einem Riechtrichter und markiert im Ausdruck des Messgeräts die Stelle, wo es stinkt, oder bewertet die Intensität des Geruchs anschließend nach der Olf-Skala.
Ein solcher Nasen-Check birgt oft Überraschungen: Denn manchmal merken selbst empfindliche Nasen nichts, obwohl ein Gas in großer Menge enthalten ist, ein andermal riechen die Tester selbst dann etwas, wenn das Messgerät nichts anzeigt. Deshalb sind die 30 menschlichen Schnüffler bislang jeder elektronischen Nase weit überlegen.
Die Duftmarke: Das Olf
1988 führte der dänische Ingenieur Ole Fanger einen Gradmesser des Geruchs ein: das Olf. Eine sitzende Person, die durchschnittlich 0,7 Duschbäder pro Tag nimmt und 1,8 Quadratmeter Hautoberfläche besitzt, strömt zum Beispiel ein Olf aus. Erfasst werden jedoch nicht nur Gerüche von Lebewesen (Menschen, Tiere, Pflanzen), sondern auch Ausdünstungen von Baustoffen und ähnlichen (vgl. Sick-Building-Syndrom). Gemessen wird die Geruchsstärke durch speziell geschulte Testpersonen, die die Intensität des Geruchs im Vergleich zu genormten Geruchsquellen erschnüffeln.
Beispiele:
Person (ruhend) | 1 olf |
12-jähriges Kind | 2 olf |
Starker Raucher, aktiv | 25 olf |
Raucher, nicht aktiv | 6 olf |
Athlet nach dem Sport | 30 olf |
Marmor | 0,01 olf/m² |
PVC/Linoleum | 0,2 olf/m² |
Teppich, Wolle | 0,2 olf/m² |
Kunstfaserteppich | 0,4 olf/m² |
Gummidichtung | 0,6 olf/m² |
Gestank macht krank
Gestank ist mehr als bloße Belästigung und das Riechen viel mehr als ein bloßer Messvorgang der Riechschleimhaut. Denn Gerüche werden direkt im limbischen System des Gehirns verarbeitet, dort, wo Emotionen und auch das Triebverhalten beheimatet sind. Und bei Gestank bedeutet dies eben: Angst, Ärger und Stress. Der Grund dafür liegt, wie beim Fußschweiß, tief in unserer Evolution verborgen. Der Geruchssinn ist ein grundlegender Warnsinn, sagt dazu Prof. Caroline Herr vom Institut für Hygiene und Umweltmedizin der Universität Gießen. Er will uns davor warnen, uns in Gefahr zu begeben. Wenn wir etwas Schlechtes riechen, selbst ohne dass es direkt organisch schädigend wirkt, will der Körper, dass wir uns davon abwenden und reagiert zum Beispiel mit Übelkeit. Ein gutes Beispiel sieht sie im Geruch einer Kläranlage oder von Fäkalien. Der Geruchsinn warnt uns: Hier sind Fäkalien, bitte geh woanders hin.
Und allzu oft sind es auch schlechte Erlebnisse, die mit einem bestimmten Geruch verbunden sind, die uns dann körperliche Symptome bescheren, ohne das irgendwelche Giftstoffe im Spiel sind. Wer als Kind etwa vor einer Bäckerei vom Nachbarsjungen verprügelt wurde, hat auch in späteren Jahren vielleicht Probleme, den Duft frischer Brötchen zu riechen.
Adressen & Links
Homepage des Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW mit weiterführenden Links
www.lanuv.nrw.de
Fraunhofer-Institut für Bauphysik, Abteilung Sensorik
www.ibp.fhg.de
Autor: Thomas Hillebrandt
Stand: 06.11.2015 13:57 Uhr