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Menschenaffen, Plaudertaschen – Kommunikation der Primaten

Kommunikation und Kommunikationsfähigkeit bei Menschenaffen

Schimpansen
Schimpansen | Bild: photos.com

Gebrüll und gegenseitiges Lausen – weit mehr Umgangsformen bekommen Zoobesucher im Primatenhaus selten mit. Dabei kommunizieren Schimpansen, Bonobos, Gorillas und Orang Utans jeweils vielfältig miteinander; bisweilen sogar mit dem Menschen. Beides wird weltweit erforscht – auch, um herauszufinden, wie sich die menschliche Sprache entwickelt hat.

An jedem Morgen wird der Primatenforscherin Katja Liebal der nackte Hintern entgegengestreckt. Doch das nimmt sie der Schimpansin Alexandra nicht einmal übel. "Das ist eine Begrüßungsgeste", erklärt sie und während sie sich auf dem Fenstersims sitzend an die Trennscheibe zum Gehege lehnt, an die sich von der anderen Seite Alexandra drückt, fährt sie fort: "Sie wurde von Menschen aufgezogen und hat einen sehr engen Kontakt zu uns, sonst würde ein Schimpanse sich niemals so lange in die Augen blicken lassen, ohne sich angegriffen zu fühlen."

Von der Geste zum gesprochenen Wort

Schimpanse im Pongoland
Schimpanse im Pongoland | Bild: Zoo Leipzig

Mehrmals in der Woche analysiert Katja Liebal hier im Pongoland die Gesten, mit denen die Menschenaffen miteinander kommunizieren – im Primatenhaus mitten im Leipziger Zoo. Es ist eines der größten in Europa und die Mitarbeiter pflegen eine enge Beziehung zu den Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für Evolutionäre Anthropologie. Eine von ihnen ist Katja Liebal. Ihr geht es mit ihrer Arbeit nur vordergründig allein um Tiere: "Wenn Affen ähnliche Gesten benutzen wie wir Menschen, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass unser Urahn ebenfalls schon Gesten benutzt haben könnte." Daraus hätte sich dieser Theorie zufolge im Laufe der Jahrtausende die menschliche Sprache entwickelt. Allerdings ergänzt Liebal sogleich, dass bei den bisherigen Erkenntnissen über Menschenaffen nicht die Gemeinsamkeiten, sondern die Unterschiede zwischen den Gesten der Tiere und denen des Menschen eindeutig überwiegen.

Der größte – und ohrenfälligste – Unterschied jenseits der Gesten erschließt sich dem Besucher sofort beim Betreten des Pongolands, noch bevor er seine beschlagenen Brillengläser vom Dampf des feuchtwarmen Tropenklimas freigerubbelt hat: Primaten geben zwar Laute von sich, aber sie können nicht sprechen. Zwar wurde schon versucht, ihnen das beizubringen. Doch sie erwiesen sich als ausgesprochen wortkarg – aus anatomischen Gründen: "Vor allem sitzt bei den Primaten der Kehlkopf viel zu hoch", stellt Katja Liebal fest. Deshalb waren sämtliche Versuche ihnen das Sprechen beizubringen zum Scheitern verurteilt. In den USA brachte ein Affe auch nach jahrelangem Training gerade einmal vier sehr ähnliche Laute hervor, die nur mit äußerst wohlwollender Interpretation zu verstehen waren.

Ganz im Hier und Jetzt

Ein weiterer Unterschied, den Katja Liebal und ihre Kollegen zwischen Affe und Mensch feststellen: Menschenkinder plappern einfach drauf los und lernen, über Dinge zu sprechen. Affen dagegen reden nicht um des Redens willen, sondern ganz zielgerichtet. Wie beispielsweise ein junger Gorilla, der schon früh lernt, sich und seine Gebietsansprüche imposant zu behaupten, indem er sich mit beiden Händen abwechselnd an die Brust schlägt. Katja Liebal zufolge kommunizieren Primaten immer über das Hier und Jetzt: "Ich will und zwar sofort – ich will spielen, ich will fressen, ich will gelaust werden." Diese Zielstrebigkeit machen sich Katja Liebal und auch die anderen Forscher des Max-Planck-Instituts für ihre Tests zunutze, etwa wenn ein Gorilla auf den Becher zeigen soll, in dem ein Futterstück mehr liegt. Damit soll herausgefunden werden, ob die Tiere zählen können. Allerdings: Diese bedeutsamen Gesten verwenden Primaten ausschließlich bei Menschen.

Auch andere Sprachsysteme können sie vom Menschen lernen: In Studien amerikanischer Wissenschaftler haben beispielsweise Orang Utans bewiesen, dass sie Piktogramme – also Zeichen, die den Dingen, die sie beschreiben, nicht ähneln – zu kurzen Sätzen wie "öffne Becher" lernen und grammatikalisch richtig zusammenstellen können. Der amerikanische Psychologe und Verhaltensforscher Roger Fouts brachte Schimpansen sogar die Gebärdensprache bei.

Forschen ohne den Forscher

Schimpansenfamilie
Schimpansenfamilie | Bild: Zoo Leipzig

Doch all diese Ansätze stoßen stets an dieselben Grenzen: das grundsätzliche Problem der Primatenforschung im menschlich geprägten Umfeld. Für Katja Liebal ist es durchaus interessant zu erfahren, dass die Affen grundsätzlich in der Lage sind, bestimmte Dinge zu erlernen, "doch es bleibt immer fragwürdig, ob die Erkenntnisse überhaupt übertragbar sind auf das natürliche Verhalten im menschenleeren und natürlichen Lebensraum". Um deshalb den menschlichen Einfluss so gering wie möglich zu halten, ist eine der wichtigsten Methoden für Katja Liebal das Beobachten – nicht nur im Zoo, sondern auch auf Reisen in den Urwald; zumindest soweit das Forschen ohne den Forscher möglich ist. Eines ihrer Vorbilder ist dabei Jane Goodall, deren Studie einer Schimpansenfamilie in Kenia auch nach mehr als vierzig Jahren als die Bibel der Verhaltensforschung gilt. Darin entschlüsselte die Engländerin Jane Goodall auch die Mimik der Tiere: das Gepresste-Lippen-Gesicht bei aggressiven Schimpansen, oder das sogenannte Huuh-Machen, um ein anderes Tier zu besänftigen oder Kontakt zu knüpfen sowie das Harmlosigkeit vermittelnde Spielgesicht. Allerdings ging die Wissenschaft bisher davon aus, dass die Mimik ebenso wie das Lautgeben völlig unkontrolliert und rein emotional passiert. Die Forscher dachten, die Affen könnten allein die Gesten absichtlich einsetzen.

Der Dreiklang: Vokalisation, Mimik und Gesten im Einklang

Diese Thesen stellt Gesten-Expertin Liebal aber in Frage: Sie will neue Wege gehen und gemeinsam mit zwei anderen Spezialisten eine umfassende Grundlage für weitere Studien schaffen: "Das Ziel unserer Forschung in den kommenden Jahren ist, dass wir genau die drei Stränge zusammenführen wollen, die bisher mehr oder weniger einzeln verliefen, also Gestik, Mimik und Vokalisation." Dabei wollen sie den Dreiklang der Kommunikation, die drei Kommunikationsmodi, miteinander in Einklang bringen. Ihr Ziel ist es herauszufinden, welche Körperposition, welche Gesten der Hände, welchen Gesichtsausdruck und welche Vokalisation bzw. Laute ein Affe einsetzt, wenn er mit einem anderen Affen kommuniziert – und wie. Vor allem aber geht es ihnen auch darum zu analysieren, ob und wie sich die Bedeutung einer Geste verändert, wenn sie mit einem bestimmten Gesichtsausdruck oder einem bestimmten Laut kombiniert wird. Denn nicht immer ist die Sprache der Affen so einfach zu verstehen wie der nackte Hintern der Schimpansin Alexandra am frühen Morgen.

Adressen & Links

Das Max-Planck-Institut stellt auf den Internetseiten des Wolfgang-Köhler-Primatenforschungszentrums alle Tiere des Pongolands im Leipziger Zoo sowie die Arbeit seiner Wissenschaftler vor unter:
http://wkprc.eva.mpg.de

Das Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie bietet außerdem auf seinen – überwiegend englischsprachigen – Internetseiten Informationen der Abteilung Primatologie:
www.eva.mpg.de

Der amerikanische Verhaltensforscher Roger Fouts stellt seine Arbeit mit der Gebärdensprache auf den Internetseiten des "Chimpanzee and Human Communication Institute" an der Universität von Washington detailliert vor unter:
www.cwu.edu

Über die einzelnen Schimpansen, die Teil des Projektes waren und sind:
www.friendsofwashoe.org

Autorin: Kristal Davidson (NDR)

Stand: 11.09.2013 14:16 Uhr

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