So., 18.01.09 | 17:03 Uhr
Das Erste
Mit Toschka kam die Fruchtbarkeit
Das Toschka-Projekt ist das erste große Projekt einer geplanten Vielzahl von Projekten, mit denen die ägyptische Regierung eine Erschließung der Wüste westlich des Nils in Angriff nimmt.
Ziel ist es, in erster Linie der wachsenden Bevölkerung, die fast vollständig im fruchtbaren Niltal auf nur vier Prozent der Landesfläche lebt und das kostbare Ackerland damit regelrecht zubaut, eine neue „Kornkammer“ zu erschließen und Lebens-Perspektiven zu geben.
Pump Station bei Abu Simbel
1997 hat der ägyptische Präsident Hosni Mubarak nördlich von Abu Simbel eine der weltgrößten Pumpstationen eingeweiht. Mit der Mubarak-Pumpstation kann Nilwasser aus dem Nasser-Stausee 54 Meter hoch in einen neuen, 50 Kilometer langen Kanal, den Scheich-Zayed-Kanal, befördert werden. Von diesem aus führen zwei je 22 Kilometer lange Seitenkanäle das Wasser zu den zwei großen Farmen, die es bislang dort gibt: die Kadco-Farm des saudischen Milliardärs Al Walid bin Talal und die regierungseigenen South Valley Farm.
Effiziente Bewässerungssysteme
Die beiden Farmen verfolgen unterschiedliche Konzepte: Kadco produziert fast ausschließlich für den Export, South Valley für den einheimischen Markt. Kadco ist stark unternehmerisch ausgerichtet. Mit wohl höchstmöglicher Effizienz (circa 80 bis 90 Prozent des Wassers gelangen zur Frucht) werden bei Temperaturen um bis zu 50 Grad Celsius Trauben und Luzerne (Alfalfa) produziert, daneben unter anderem: Mangos, Datteln und Zitrusfrüchte.
Im Einsatz sind riesige, um Drehschemel kreisende Bewässerungsanlagen und Tröpfchenbewässerung. Hightech-Geräte messen Bodenfeuchtigkeit und Wetterfaktoren und helfen so, auf täglicher Basis die jeweils optimale Bewässerungsdosis zu bestimmen. Alle Fruchtsorten durchlaufen erst ein Teststadium auf einer Versuchsfarm: Pfirsiche haben sich als nicht geeignet für den Wüstenanbau erwiesen, da sie längere Kühlungsperioden brauchen. Weizen gilt auf der Kadco-Farm wegen der instabilen Weltmarktpreise als riskantes Produkt und wird daher nicht angebaut.
Mais und Weizen zur Selbstversorgung des Landes
Anders beim regierungseigenen South Valley Projekt: Hier werden großflächig Mais und Weizen angebaut, ganz im Sinne der Regierungsstrategie, einen höheren Grad der Selbstversorgung zu erreichen. Auch hier wird mit modernen Bewässerungsmethoden die Effizienz der Wassernutzung deutlich verbessert. Laut Schätzungen arbeiten die Fellachen im Niltal mit ihrer herkömmlichen Flutbewässerung nur mit rund 30 Prozent Effizienz. Regierungsbeamte geben allerdings zu, dass auch das ehrgeizige Toschka-Projekt nur eine marginale Steigerung der Selbstversorgung bringen kann. So wird Ägypten wohl auch in Zukunft gut die Hälfte seines Weizenbedarfs aus Importen decken müssen.
Hohe Kosten und Versalzungsgefahr
Die Begrünung der Wüste stößt auf weitere Probleme. Da sind zum einen die Kosten. Bis zum Jahr 2017 sind allein für die Infrastruktur 60 bis 70 Milliarden Dollar veranschlagt, die aus Sicht von Kritikern besser in andere Projekte in dem Entwicklungsland angelegt wären.
Allerdings sind die großen Anfangsinvestitionen bereits geleistet, und so haben sich Kritiker mittlerweile wohl oder übel mit den Gegebenheiten abfinden müssen. Für viele wie den Agrarwissenschaftler Prof. Mohamed Abdel Aal gilt es nun, das beste aus Toschka zu machen. Technisch gesehen sei die Wüste fruchtbar zu machen, selbst wenn in Toschka sehr lehmige Böden und nicht die sandigen Böden des Niltals vorherrschen.
Auch gegen die Versalzung, ein ständiges Problem bei der Bewässerung von Wüstenböden, gibt es Mittel: Auf der Kadco-Farm etwa wird Salz in regelmäßigen Abständen durch wohldosierte Mehr-Bewässerung aus dem Wurzelbereich herausgewaschen. Gegen Salzreste, die die Wirksamkeit des hier unverzichtbaren Kunstdüngers hemmen können, hilft die Beigabe von Säure.
Viele Länder benötigen Nilwasser
Die wohl größte Herausforderung ist für Ägypten, einen ausreichenden Zufluss von Nilwasser zu sichern. Die Nilwassermenge schwankt ähnlich dem biblischen Rhythmus der "sieben mageren und sieben fetten Jahre". Doch klimatische Veränderungen könnten zu einer Verknappung der Gesamtmenge führen.
Besonders umstritten ist dabei die Frage, wem eigentlich das Nilwasser gehört. Die anderen neun Nilanrainer beanspruchen angesichts ebenfalls wachsender Bevölkerungen immer größere Wassermengen. Vor allem nach Äthiopien und in Richtung Sudan schaut Ägypten in dieser Hinsicht mit Sorgen. Äthiopien meint auch, gute Argumente für einen höheren Wasserverbrauch in Zukunft zu haben, denn über 80 Prozent des Wassers, das Ägypten erreicht, stammt aus dem Blauen Nil, der im äthiopischen Hochland entspringt und dann den Sudan durchfließt.
Beide Länder wollen mit Staudämmen ihre Nutzung des Nils für landwirtschaftliche und hydroelektrische Zwecke ausweiten. Mit dem Sudan hat Ägypten im Jahr 1959 einen Nilwassernutzungsvertrag geschlossen, der auch konkrete Quoten enthält. Seinen Anteil hat der bürgerkriegsgeschüttelte Sudan jedoch bislang nicht einmal nutzen können. Das Verhältnis zu Äthiopien hat sich nach Jahrzehnten offener Feindschaft - unter Präsident Sadat gab es sogar Kriegsdrohungen gegen das marxistische Mengistu-Regime - zum Ausgang des 20. Jahrhunderts entspannt. Zwar sind die Forderungen der Äthiopier weiter groß, doch fehlen Äthiopien noch die Mittel zu großen Staudammprojekten.
Kooperation der Nil-Anrainerstaaten
In diesem Spannungsfeld setzt Ägypten auf verstärkte Kooperation. Hoffnung machen aktuelle diplomatische Entwicklungen: Erstmals in der Geschichte des Nils verhandeln alle Nilanrainer gemeinsam in der von internationalen Gebern geförderten "Nilbecken-Initiative" (NBI). Offenbar ist die Unterzeichnung eines Rahmenvertrags durch alle Nilanrainer greifbar nahe (Stand Ende 2008).
Die Kooperation basiert auf "win-win"-Projekten, unter anderem in den Bereichen Wassernutzung, Umweltschutz und Ausbildung. Eine innovative Idee ist es, Nilwasser in Äthiopien auch für den Verbrauch in Ägypten zu stauen. Sollte ein entsprechendes Kontrollsystem die Weiterleitung garantieren, so könnte Ägypten profitieren, da im äthiopischen Hochland weit weniger Wasser verdunstet als im Nasser-See, wo Ägypten mit einer Verdunstungsquote von zehn Prozent extreme Wasserverluste in Kauf nimmt. Ägypten könnte entsprechend seine Staumenge im Nasser-See reduzieren.
Ob das Toschka-Projekt zum Erfolg wird, entscheidet sich insofern an der zur Verfügung stehenden Wassermenge, aber auch daran, ob es der Regierung gelingt, wie gewünscht drei Millionen Ägypter zum Leben in die Wüste zu locken. Letzteres bezweifeln Kritiker weiter: Zwar gibt es die ersten Häuserblöcke für die Wüstenbauern. Doch "Toschka-City" steht leer. Denn für Familien unerlässliche Infrastruktur wie Krankenhäuser oder Schulen fehlen in Toschka noch.
Autor: Clemens Oswald
Stand: 06.11.2015 14:32 Uhr