So., 18.01.09 | 17:03 Uhr
Das Erste
Wüstenameisen mit Navigationssystem
In der Wüste können sich Menschen leicht verirren. Sie glauben, dass sie geradeaus gehen, doch in Wirklichkeit laufen sie im Kreis. Das kann der Wüstenameise Cataglyphis fortis nicht passieren. Sie findet immer den kürzesten Weg zurück zum Nest, obwohl die Tiere auf Futtersuche große Strecken zurücklegen und nicht wie ihre europäischen Verwandten Ameisenstraßen bilden.
Das macht sie für die Forscher so interessant. Die Wüstenameise hat eine erstaunliche Fähigkeit, sich zu orientieren. Wofür der Mensch anspruchsvolle Navigationsgeräte braucht, berechnet sie im Kopf.
Wie aber machen das die winzigen Insekten? Forscher der Universitäten Ulm und Zürich haben jetzt herausgefunden, wie die kleinen Tiere ihre zurückgelegten Wegstrecken messen.
Kompass im Kopf
Um schnurgerade das Nest wiederzufinden, muss die Ameise Richtung und Entfernung zum Bau genau kennen. Bekannt ist, dass sich die Ameisen an der Sonne orientieren. Das Licht der Sonne wird auf dem Weg durch die Atmosphäre polarisiert – wenn es auf der Erde ankommt, schwingt es bevorzugt in eine bestimmte Richtung. Die Ameisen besitzen spezielle Sehzellen am oberen Rand ihrer Augen. Mit diesen erkennen sie den Grad der Abweichung ihres Weges vom Sonnenstand. Diese Information wird im Ameisenhirn mit Hilfe der sogenannten Kompassneuronen verrechnet.
Doch neben der Richtung können die Ameisen offensichtlich auch die Länge einer gelaufenen Strecke messen und verarbeiten. Experimente haben gezeigt, dass sich die Tiere mit Hilfe einer "Wegintegration" in ihrer Umwelt orientieren. Für jeden ihrer Wegabschnitte merken sie sich Richtung und Entfernung. Aus diesen Daten ermitteln sie den direkten Rückweg zum Nest.
Ameisen auf Stelzen
Eine Frage mussten die Wissenschaftler noch klären: Wie bestimmen die Insekten die Wegstrecke beziehungsweise Entfernung zwischen den einzelnen Punkten? Ein ausgeklügeltes Experiment brachte die Antwort: Die Wüstenameise "zählt" ihre Schritte, sie benutzt einen "Schritt-Integrator". Für den Nachweis veränderten die Wissenschaftler bei den Ameisen, die sich mit ihrem Beutefund auf den Rückweg machen wollten, die Länge der Schritte. Einige der Versuchstiere erhielten Stelzen aus Schweineborsten, anderen wurden die Beine gekürzt. Der Eingriff schadete den Tiere in ihrer Beweglichkeit nicht. Doch er veränderte ihre Zielgenauigkeit. Die Ameisen mit verlängerten Beinen rannten am Nest vorbei, die kurzbeinigen Tieren stoppten bevor sie ihr Nest erreichten. Sie hatten offensichtlich berechnet wie viele Schritte sie auf dem Rückweg zum Nest benötigen würden, lagen wegen ihrer veränderten Schrittlänge aber falsch.
Die Versuchstiere zeigten sich übrigens von den Experimenten völlig unbeeindruckt. Sowohl Tiere mit Stelzen als auch mit gekürzten Beinen kehrten in ihr Nest zurück, rückten im normalen Rhythmus wieder zur Futtersuche aus und lebten genauso lang wie ihre Artgenossen.
Navigation für Roboter
Die Forschungen über das Schrittezählen der Ameisen ist für die Wissenschaftler vorrangig Grundlagenforschung: wichtig für das Verständnis der Navigations- und Orientierungsleistungen von Tier und Mensch. In der Zukunft könnte das neue Wissen in einem anderen Bereich interessant sein: für die Entwicklung autonomer Robotersysteme. Solche Maschinen sollen sich möglichst unabhängig von Funksteuerung und Satellitennavigation bewegen können. Doch bis jetzt haben radgetriebene Fahrzeuge wie Laufroboter zum Beispiel auf Untergrund mit hohem und unkalkulierbar variablem Schlupf beträchtliche Schwierigkeiten unabhängig zu navigieren.
Die Ameisenforscher wollen deshalb in einem nächsten Schritt herausfinden, wie die Wüstenameisen auf Basis der fehleranfälligen Schrittintegration so exakt navigieren können. Dabei interessiert die Wissenschaftler besonders, wie die Tiere Fehler ausgleichen und vermeiden. Genau davon können auch technische Navigationssysteme profitieren.
Autor: Daniel Münter
Stand: 31.10.2012 12:02 Uhr