So., 20.12.09 | 17:03 Uhr
Das Erste
Schokolade wirkt!
Schokolade wirkt – in homöopathischen Dosen
Der bislang älteste Mensch war eine Frau aus Südfrankreich: Sie lebte 122 Jahre, fünf Monate und 14 Tage. Nach dem Geheimnis ihres stolzen Alters gefragt, nannte sie unter anderem Schokolade. Diese will sie in großen Mengen verzehrt haben – in dem Glauben, dass das ihrem Körper gut tut oder zumindest nicht schadet. Und tatsächlich finden Wissenschaftler immer mehr Anhaltspunkte, dass in Schokolade nicht nur figurfeindliches Fett und zahnschädlicher Zucker stecken, sondern auch gesunde Stoffe. Manche Forscher gehen sogar so weit anzunehmen, dass sich einige dieser Stoffe zur Behandlung von Krankheiten eignen.
Mythen ranken sich viele um die Schokolade und ihre süßen Geheimnisse. Ein betörendes Aphrodisiakum soll Schokolade sein; und auch ein Glücklichmacher. Gleichzeitig aber hat Schokolade den bösen Ruf eines Dickmachers – und sogar eines Suchtmittels. All das legt die Vermutung nahe, dass Schokolade eigentlich nicht ins Supermarktregal gehört, sondern besser in die Medikamenten-Schubladen von Apotheken. Und tatsächlich: Noch vor etwas mehr als 100 Jahren war Schokolade ausschließlich in Apotheken erhältlich; als Kräftigungsmittel und für die Nerven. Auch damals schon wurde sie nicht in Pillenform oder gar als Tinktur verabreicht, sondern in Tafeln. Doch sollten Wissenschaftler Recht behalten, könnte die Schokolade bald schon in pharmazeutischer Darreichungsform mitsamt Beipackzettel verschrieben werden.
Anwendungsgebiet: depressive Verstimmungen
Schokolade macht glücklich, heißt es. Verantwortlich dafür sei Serotonin, das umgangssprachlich oft als Glückshormon bezeichnet wird. Serotonin in Reinform wird tatsächlich oftmals gegen Depressionen verschrieben. In Schokolade ist Serotonin selbst nicht enthalten, aber es entsteht im Körper, wenn Tryptophan abgebaut wird, das wiederum in Schokolade beziehungsweise im Kakao zu finden ist. Allerdings, schränkt Klaus Roth ein, sei Tryptophan in jedem Protein enthalten und damit in vielen Lebensmitteln. Der Professor für Organische Chemie an der Freien Universität in Berlin nennt in diesem Zusammenhang gerne das Frühstücksei: "Da steckt noch deutlich mehr Tryptophan drin als in Schokolade, aber trotzdem hat zumindest bei mir noch kein Frühstücksei beim Essen irgendwelche Glücksgefühle hervorgebracht."
Der Grund dafür sei die zu niedrige Dosis von Tryptophan – im Ei und erst recht in Schokolade. Dennoch hat sich der Glaube an die glücklich machende Schokolade in der westlichen Kultur eingenistet. Verschiedene Studien zeigen aber, dass das Glücksgefühl nur deshalb entsteht, weil wir den Schokogenuss mit schönen Erinnerungen verbinden. Kinder werden beispielsweise von ihren Großeltern mit Schokolade getröstet und in den Arm genommen, wenn sie sich beim Spielen weh getan haben. Als Erwachsene erinnern sie sich an das Wohlgefühl der tröstenden Umarmung und Zuwendung im Zusammenhang mit der Schokolade.
Vielleicht deshalb naschen gerade auch Frauen, wenn sie sich zyklusbedingt schlecht fühlen. Monat für Monat sinkt nach dem Eisprung der Serotoninspiegel im Blut. Die Folge: das sogenannte prämenstruelle Syndrom, Stimmungsschwankungen und Reizbarkeit inklusive.
In Wahrheit ist Schokolade hier aber nichts weiter als ein Placebo – der allenfalls psychologisch wirkt.
Da hilft es auch nicht, dass Schokolade einen zweiten bekannten Glücklichmacher-Stoff aus dem Kakao enthält: Theobromin. Doch auch hier ist die Dosis eher homöopathisch und daher nicht ausreichend. "Diese Harmlosigkeit gilt aber nicht bei allen Lebewesen", schränkt Klaus Roth ein, "der Hund zum Beispiel kann Theobromin im Körper nur sehr langsam abbauen. Wenn also ein nicht sehr großer Hund mit einem Körpergewicht von zehn Kilogramm eine ganze Tafel Edelbitterschokolade frisst, kann das für ihn lebensgefährlich enden".
Anwendungsgebiet: Lustmangel
Schon der französische Sonnenkönig Ludwig XIV. schwor auf Kakao im Bett, um seine Lust und die seiner Gespielinnen zu steigern. Angeblich glaubte er sogar an eine Leistungssteigerung. Und tatsächlich enthält Kakao Phenylethylamin. Ein Stoff, der in besonders hoher Konzentration durch unsere Blutbahnen rauscht, wenn wir verliebt sind. Phenylethylamin gilt als Muntermacher, der den Puls sowie den Blutdruck und auch den Blutzuckerspiegel erhöht. Das ist wissenschaftlich gesichert. Doch auch das gilt nur für eine hohe Dosis. "Soweit ich das sehe, gibt es keine Studien, die belegen, dass durch Schokolade die Lust gesteigert wird", sagt Joachim Westenhöfer, Professor für Ernährungspsychologie an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg. Und der Chemiker Klaus Roth ergänzt: "Es ist einfach die Lust am Genuss, die Phantasien freisetzt und nur die wirken aphrodisisch."
Luststeigerung durch Schokolade scheint also eher ein Irrglaube zu sein, ganz zu schweigen von Leistungssteigerung im Bett. Die berühmten blauen Pillen kann die Schokolade also nicht ersetzen.
Anwendungsgebiet: Leistungsschwäche des Gehirns
Polyphenole sind Bitterstoffe, die eigentlich die Kakaopflanze vor Fressfeinden schützen. Im menschlichen Körper aber weiten sie auch die Blutgefäße im Gehirn und verbessern so die Wahrnehmung. Das gilt auch für Flavonole, glauben Wissenschaftler an der Universität Nottingham. Sie verabreichten Probanden einen eigens gemixten, sehr hoch dosierten Flavonol-Kakaotrunk und guckten dann in die Röhre: Mit Magnetresonanztomographie stellten sie fest, dass Teile des Gehirns besser mit Blut versorgt wurden als ohne den Trunk. Die Forscher hoffen nun nachweisen zu können, dass mit Flavonolen sogar Demenz oder Schlaganfälle verhindert oder zumindest behandelt werden könnten. Allerdings würde ihnen zufolge dafür keinesfalls der Flavonolgehalt in Schokolade ausreichen.
Anwendungsbiet: Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Angeblich soll Schokolade – beziehungsweise Kakao – 66 Wirkstoffe enthalten, die Herz und Kreislauf schützen können. Dies ist allerdings in der Fachwelt umstritten. Immerhin gibt es einige Studien, die gewisse Inhaltsstoffe der Schokolade mit positiven Wirkungen auf das Herz-Kreislauf-System in Verbindung bringen. Dennoch warnt Ernährungspsychologe Joachim Westenhöfer davor, sich vermehrt Schokolade zur Stärkung des Herzens zu gönnen: "Übermäßiger Schokoladeverzehr trägt schließlich bekanntermaßen zu Übergewicht bei und das ist der wichtigste Risikofaktor im Zusammenhang mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen."
Ähnliches gilt für die Krebsvorsorge: Einzelne Studien legen eine schützende Wirkung von Schokoladenstoffen nahe. Gleichzeitig aber steht Übergewicht als Risikofaktor für zahlreiche Krebsarten fest.
Schokolade zur äußeren Anwendung
Kosmetikhersteller und Wellness-Branche haben längst entdeckt, wie wohltuend sich Kakaobutter auf der Haut anfühlt. Sie bringen Badezusätze und Lotionen mit dem reichhaltigen Stoff auf den Markt oder bieten warme Schokoladenmassagen und Schokoladenbäder an. Nun haben auch Forscher der Uni Münster eine geheime Wirkstoffkombination aus der Kakaobohne herausgelöst. Noch laufen ihre Studien, doch scheinen sie damit tatsächlich das Wachstum von Hautzellen fördern zu können. Sie erwarten davon eine Vielzahl von medizinischen Anwendungsmöglichkeiten – aber auch für die Kosmetik gegen Falten.
Zu Risiken und Nebenwirkungen: Macht Schokolade süchtig?
Neben dem Ruf als Glücklichmacher und Aphrodisiakum ein weiterer Mythos, der sich um die Schokolade rankt: Schokolade macht süchtig. Einer Studie zufolge bezeichnen sich fast alle Frauen als naschsüchtig – und immerhin zwei Drittel aller Männer. An der Princeton Universität wird derzeit erforscht, ob zumindest Zucker wirklich süchtig macht. Einiges spricht in ihren Studien an Ratten dafür, das Endergebnis ist aber noch offen.
Dagegen sind in Schokolade durchaus Stoffe enthalten, die erwiesenermaßen süchtig machen und in ihrer Struktur Stoffen in Haschisch ähneln. Ein Beispiel: Anandamid. Doch auch hiervon steckt in Schokolade deutlich zu wenig, um eine echte Sucht hervorzurufen. "Wenn etwas so gut schmeckt, dann hat man den Verdacht, dass da irgendwas drinsteckt, was einen zwingt, es zu essen", erklärt Klaus Roth. Tatsächlich gebe es Menschen, die süchtig nach Schokolade seien und die klinisch behandelt werden können. "In einer Studie konnte man aber zeigen, dass diese Abhängigkeit rein psychischer Natur ist: Man führte den Patienten alle Stoffe aus der Schokolade versteckt zu und trotzdem hatten sie weiterhin diese Sehnsucht nach Schokolade." Roth und Westenhöfer empfehlen daher, Schokolade einfach als etwas herrlich Leckeres zu genießen und nicht immer das böse, im Geheimen versteckt Lungernde zu suchen.
Herrlich lecker – ohne Beipackzettel
Neben der Prägung, die meist schon in der Kindheit stattfindet, glaubt Klaus Roth an einen weiteren Grund für die Unwiderstehlichkeit der Schokolade: "Es ist die einzige Speise, die bei Raumtemperatur fest ist und uns bei Körpertemperatur zart auf der Zunge zergeht."
Schokolade beinhaltet also durchaus viele vielversprechende Stoffe. Diese sind jedoch stets zu niedrig dosiert, selbst in dunklen Tafeln mit äußerst hohem Kakaoanteil. Daher wird das süße Naschmittel wohl auch in Zukunft keinen Beipackzettel benötigen und weiterhin in Supermarkt, Tankstelle und Kiosk zu haben sein. Ein Schokoladenhersteller hatte kürzlich versucht, seine Tafeln mit Gesundheitsversprechen in Apotheken zu verkaufen. Damit ist er aber gescheitert.
Immerhin als Spaßgeschenk sind Schokoladenpillen bereits käuflich zu erwerben – gegen Liebeskummer. Garantiert nicht apothekenpflichtig.
Adressen & Links
Interessante Adressen von Verbänden und Forschungseinrichtungen, die sich mit Kakao bzw. Schokolade befassen, listet die Stiftung der Deutschen Kakao- und Schokoladenwirtschaft auf ihren Internetseiten auf:
www.kakao-stiftung.de
Einen Streifzug durch 3.000 Jahre Schokoladengeschichte bietet das Kölner Schokoladenmuseum:
www.schokoladenmuseum.de
Klaus Roth hält immer wieder Vorträge über Schokolade – Auszüge und Informationen daraus bietet u.a. dieser Link:
www.chf.de
Der Drehort für unseren Beitrag war die historische Lauenburger Rathsapotheke im Altonaer Museum, in der auch regelmäßig Workshops für Kinder angeboten werden:
www.altonaermuseum.de
Autorin: Kristal Davidson (NDR)
Stand: 11.05.2012 13:01 Uhr